Wie praktisch wäre es gewesen, wenn Ivermectin tatsächlich gegen COVID-19 wirken würde? Aktuelle Auswertungen zeigen: Wenn es überhaupt Effekte gibt, dann nur bei gleichzeitigem Parasitenbefall.
Nachdem im Juni 2020 eine Studie des australischen Monash Biomedicine Discovery Institute (BDI) zeigen konnte, dass Ivermectin in vitro ein Inhibitor von SARS-CoV-2 ist, hatte man Hoffnung auf ein neues, wirksames und schnell verfügbares Medikament gegen Corona. Der Wirkstoff aus der Klasse der Antiparasitika schaffte es, in einem Zellmodell die RNA von COVID-19 innerhalb von nur 24 Stunden um 93 Prozent und in 48 Stunden um 99,8 Prozent zu reduzieren. Neuere Studien zeigen nun aber ganz deutlich: Der Wirkstoff scheitert hier bei der Anwendung am Menschen.
Es wäre so schön gewesen, wenn es funktioniert hätte. Wir hätten einen bereits zugelassenen Wirkstoff an der Hand gehabt, der sogar auf der Liste der unverzichtbaren Arzneimittel der WHO steht und damit schnell verfügbar gewesen wäre. Das Medikament, das für die Behandlung von Menschen und Großtieren bei parasitären Onchozerkosen, lymphatischen Filariosen und Loiasis sowie bei Strongyloidiasis, kutaner Larva migrans, Skabies und Rosazea eingesetzt wird, hatte seine Wirksamkeit gegen virale Erkrankungen ja bereits in Studien zu bovinen Herpesviren, gegen Dengue und Zika sowie HIV und Influenza unter Beweis gestellt – es sah also alles sehr vielversprechend aus.
Gerade in den ärmeren Ländern Afrikas oder Südamerikas waren die Menschen daher schnell überzeugt von der Idee, dass es ausreichend sein könnte, Ivermectin einzunehmen, um vor schwereren Corona-Verläufen geschützt zu sein. Dort, wo die medizinische Versorgung schlechter ist als hierzulande, wo man sich im Falle einer Infektion nicht einfach problemlos isolieren kann, weil einfach zu viele Menschen auf engem Raum miteinander leben, war es ein Hoffnungsschimmer, der auch nicht durch kritische Medienberichte zerstört werden konnte.
Am 8. Mai 2020 empfahl der peruanische Gesundheitsminister den Einsatz des Mittels gegen Corona; wohl auch, weil das damals besonders stark getroffene Land einfach zu wenig Möglichkeiten hatte, seine Patienten zu versorgen. Es fehlte an Krankenhausplätzen und Sauerstoff. Der peruanische Infektiologe Dr. Juan Celis erinnert sich an diese Zeit im Deutschlandfunk: „Nach einem Monat merkten wir schon, dass diese Medikamente nicht halfen, sondern eher zu mehr Verwirrung führten: Wenn jemand Herzrasen bekam oder Zittern, wussten wir nicht mehr, ob es vom Medikament kommt oder von COVID. Die Patienten nahmen das Medikament in ihrer Verzweiflung in viel zu hohen Dosen, völlig unkontrolliert, sie nahmen Ivermectin, das zum Gebrauch für Tiere gedacht ist, sie spritzten es sich. Evangelikale Missionare trugen es zu indigenen Gemeinden in Regenwald als angebliche magische Impfung.“
Es war an der Zeit, das Mittel nicht durch wahllosen Einsatz in der Bevölkerung zu testen, sondern sinnvolle Studien zu etablieren. Diese wurden nun ausgewertet – und es folgt Ernüchterung. Eine große, doppelt verblindete Studie aus Brasilien, die mit über 3.500 Teilnehmern durchgeführt wurde, zeigt sehr deutlich, dass Ivermectin sowohl in Bezug auf das Risiko einer Krankenhauseinweisung, als auch auf die Dauer eines Klinikaufenthalts oder die Genesung nach einer Infektion klinisch unwirksam ist. Verwendet wurde dabei Ivermectin in einer Dosis von 400 μg/kg KG für 3 Tage, im Vergleich zu einer reinen Placebo-Gruppe.
Man fragt sich nun, wie es dazu kam, wo doch im Vorfeld mindestens drei Meta-Analysen von Ivermectin-Studien stark auf einen Behandlungsnutzen hingewiesen hatten? Abgesehen von den möglicherweise vorliegenden qualitativen Mängeln der Studien sieht es ganz danach aus, dass die beobachteten positiven Effekte einer Ivermectin-Behandlung bei einer vorliegenden Corona-Infektion auf die antiparasitäre Wirksamkeit des Wirkstoffs gegen den Zwergfadenwurm zurückzuführen sind. Eine unbehandelte Infektion bei den Patienten der Vergleichsgruppen mit Strongyloides stercoralis könnte der Grund dafür gewesen sein, dass es den mit Ivermectin behandelten Menschen gesundheitlich schneller wieder besser ging, als denjenigen, die das Anthelminthikum nicht erhalten hatten.
Eine schnellere Genesung der mit Ivermectin behandelten Gruppe hätte in dem Fall also gar nichts damit zu tun gehabt, ob das Coronavirus auf den Wirkstoff reagiert. Eine Forschergruppe um um den Dermatologen Dr. Avi Bitterman von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York wollte das herausfinden und überprüfte eine 2021 veröffentlichte Original-Metaanalyse sowie alle weiteren Referenzen in der entsprechenden Ivermectin-Datenbank, beginnend mit Januar 2019 bis November 2021. Und es bestätigte sich tatsächlich: „Günstige Resultate zur Sterblichkeit fanden sich nur in Studien in Regionen mit hoher Strongyloidiasisprävalenz“, heißt es im Fazit. Es habe auch keine Hinweise auf einen Nutzen von Ivermectin auf das Sterberisiko in Regionen mit niedriger Prävalenz gegeben, teilt die Forschungsgruppe mit.
Bildquelle: Nadine Shaabana, unsplash