Bewegungsmangel ist Ursache einer ganzen Reihe von Erkrankungen, trotzdem ist er weit verbreitet. Kann eine ärztliche Empfehlung die Patienten von der Couch loseisen? Wir haben nachgefragt.
Man hört es immer und immer wieder, aber trotzdem tut sich wenig: Deutschland bewegt sich nicht genug. Dabei sind die gesundheitlichen Vorteile von Bewegung zahlreich und hinlänglich bekannt. So senkt Sport unter anderem das Risiko einer Altersdemenz (wir berichteten) und kann die Krebstherapie unterstützen (wir berichteten). Körperliche Inaktivität zählt hingegen zu den führenden Treibern von Mortalität und Morbidität und so ist der Bewegungsmangel in unserer Gesellschaft ein ernstes gesundheitliches Problem.
Trotzdem fällt es vielen Menschen schwer, die von der WHO empfohlenen mindestens 150 Minuten moderater Bewegung pro Woche (oder 75 Minuten intensiven Trainings) zu erreichen – in den allermeisten Fällen ist das ein reines Motivationsproblem. Bei den bedenklichen Auswirkungen auf die Gesundheit stellt sich natürlich die Frage, welche Rolle Ärzte bei der Motivation zur Bewegung spielen sollten. Können sie ihre Patienten erfolgreich zu mehr körperlicher Aktivität bewegen?
Ein aktuelles Review im BMJ liefert entsprechende Hinweise. Thema der Analyse: Die Effektivität von Bewegungsinterventionen, die von medizinischem Fachpersonal angestoßen bzw. durchgeführt werden. 46 randomisierte, kontrollierte Studien mit insgesamt 16.198 Teilnehmern wurden dazu in Hinblick auf die wöchentlichen Bewegungsminuten von Interventionsgruppe und Kontrollgruppe ohne Intervention (bzw. mit üblicher Behandlung) untersucht. Auch der Anteil der Teilnehmer, die dadurch die WHO-Richtlinien erfüllten, wurde ermittelt.
Bei den Interventionen stand meist die körperliche Aktivität im Vordergrund; bei einigen ging es aber auch um andere Verhaltensinterventionen, die Bewegung mit einschlossen. Die Nachbeobachtungsphase reichte dabei von einem Monat bis hin zu 5 Jahren.
Was brachten die Interventionen nun? Im Mittel 14,4 Minuten Bewegung mehr pro Woche als in der Kontrollgruppe (95 % CI 4,2 - 24,6). Die Ergebnisse fielen dabei sehr heterogen aus: Es machte nämlich einen großen Unterschied, ob die Einschätzung der Bewegungsminuten auf Selbstauskünften der Patienten beruhten oder auf Messungen von Bewegungsmessern. Während bei den Studien, die auf Selbstauskünften beruhten, im Mittel ein Plus von 24 Minuten pro Woche (95 % CI 6,3 – 41,8) erzielt wurde, konnte bei Beschränkung auf gemessene Studien kein statistisch signifikanter Effekt beobachtet werden.
Wichtig war auch, wie viele Kontakte die Probanden zu ihren Interventionisten hatten. Waren es mehr als 5, war der Erfolg größer. Weiterhin fiel bei der Analyse auf, dass Studien mit einer längeren Nachbeobachtungszeit (> 7 Monate) ebenfalls bessere Ergebnisse erzielten – womöglich ein Hinweis darauf, dass es sich bei der Bewegungssteigerung um einen langfristigen Prozess handelt, der nicht von heute auf morgen vollzogen wird.
Auch der Anteil derjenigen, die ihre wöchentlichen 150 Minuten erreichten, war in den Interventionsgruppen höher als in den Kontrollgruppen (OR 1.33, 95 % CI 1.17 – 1.50). Auch hier spielte es eine Rolle, ob das Ergebnis durch Messgerät oder Selbstauskunft erfasst wurde; signifikante Ergebnisse gab es erneut nur bei den Selbstauskünften.
Die Gefahr einer Überschätzung durch Selbstauskünfte ist offensichtlich. Aber auch eine Unterschätzung der Ergebnisse wäre laut Autoren denkbar: In einigen Studien beinhaltete die übliche Versorgung der Kontrollgruppen auch einen kurzen Ratschlag zu körperlicher Aktivität – wodurch potentiell auch in diesen Kontrollgruppen die körperliche Aktivität zugenommen haben könnte.
Die Forscher kommen also zu einem grundsätzlich positiven Fazit: „Solche Interventionen sollten für eine routinemäßige Umsetzung in Betracht gezogen werden, um das Niveau der körperlichen Aktivität zu erhöhen.“ Der Effekt möge zwar zuerst einmal gering erscheinen, aber schon kleine Steigerungen der körperlichen Aktivität seien klinisch relevant.
Ärzte können also durchaus ihre Patienten zu mehr Sport motivieren. Diese Einschätzung deckt sich auch mit der Erfahrung deutscher Sportmediziner: „Der ärztliche Rat hat nach wie vor eine hohe Signalwirkung für die meisten Menschen“, erklärt Prof. Hans-Georg Predel von der Deutschen Sporthochschule Köln. „Den gesundheitlichen Hinweisen in der ärztlichen Praxis wird eine hohe Bedeutung beigemessen.“
Dr. Thomas Schramm, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention, schließt sich der Einschätzung an: „Die Patienten hören auf Ihren Arzt und zwar besser als auf Freunde, Bekannte oder auch sich selber.“ Gerade besonders gefährdete Patientengruppen wie Hochdruckkranke oder Patienten mit Durchblutungsstörungen kann der Arzt am besten erreichen. „Ich glaube, es gibt eine große Gruppe von Patienten, die eigentlich genau auf so einen Impuls des Arztes warten oder hoffen. Weil sie sich eigentlich im Inneren auch mehr bewegen wollen, es aber alleine nicht schaffen. Um die müssen wir uns ärztlich kümmern.“
Mit einem einfachen Hinweis à la „Machen Sie doch mal mehr Sport“ ist es allerdings nicht so einfach getan – und das ist die Krux an der Sache. Wichtig sei es, Ratschläge konkret und bezogen auf die individuellen Lebensumstände des Patienten zu formulieren, betont Predel. Schramm weist darauf hin: Den Patienten gründlich zu beraten und herauszufinden, welche Art der körperlichen Aktivität ihm am meisten liegen könnte, ist aufwändig und braucht relativ viel Zeit. Es sei daher ein großes Problem, dass diese aufwändige Beratung im Erstattungswesen nicht genügend honoriert werde. „Es ist aber wichtig, dass der Arzt – ähnlich wie bei Rauchern – sich die Zeit und auch Empathie nimmt, dem Patienten zu vermitteln, dass er es ernst meint.“
Am besten klappt das mit Verschreiben: „Die meisten Menschen sind daran gewöhnt, beim Arzt irgendein Rezept verschrieben zu bekommen und von daher kam auch die Idee zum Rezept für Bewegung“, erzählt Schramm. Ein großer Vorteil sei, dass das Rezept eine gewisse Verbindlichkeit erzeuge. Damit „Sport als Medikament“ funktionieren kann, sei es eben auch wichtig, ihn regelmäßig zu machen. „Der Panikspaziergang jeden Sonntag oder einmal die Woche Schwimmen gehen reichen eben nicht aus“, so Schramm. Besser sei es jeden Tag 20 Minuten etwas zu machen. Was, sei dabei relativ egal, „hauptsache man verbrennt eben die Kalorien und bewegt sich.“
Auch Predel empfiehlt Ärzten deutlich, mehr Sport zu verschreiben. Das Projekt des Bewegungsrezepts zahlt sich auch in seinen Augen aus, jedoch sei auch noch viel Luft nach oben. „Das Bewegungsrezept sollte immer wieder verordnet werden mit sehr konkreten Angaben und Hinweisen. Vor allem benötigen wir effektive Netzwerke, die Sportstudios, Physiotherapeuten, Sportvereine etc... mit einbeziehen.“ Die Bedeutung der Netzwerkstrukturen betont auch Schramm: „Ein Patient, der noch nie Sport gemacht hat, steht häufig vor dem Problem, dass er gar nicht weiß, was er machen soll und an wen er sich wenden kann.“ Das Wissen um mögliche Ansprechpartner ist dann sehr hilfreich.
Was können Ärzte sonst noch tun, um ihre Patienten zu motivieren? Predel empfiehlt natürlich das persönliche Gespräch mit dem Patienten, weist aber auch darauf hin: „Hierfür benötigt der Arzt/die Ärztin allerdings eine gewisse sportmedizinische Expertise und Kenntnisse einer wirksamen Gesprächsführung.“ Diese Fähigkeiten sollten in regelmäßigen Fortbildungen erworben werden. Auch der Einsatz von Biosensoren wie Pulsuhren und Schrittzählern kann sehr wirksam sein. Auch Apps und Telefonprogramme, die die Patienten regelmäßig daran erinnern, sich körperlich zu betätigen, zahlen sich aus.
„Wichtig ist, dass Bewegungsmangel genau so ein wichtiger Risikofaktor ist wie Fettstoffwechselstörungen, Zucker und Übergewicht. Daher sollte er auch in der Anamnese immer evaluiert werden“, legt Schramm seinen ärztlichen Kollegen zum Schluss noch nahe. In der Diagnostik sei es auch wichtig, Belastungs-EKGs durchzuführen, um den Leistungsstand der Patienten objektiv einschätzen und auch im Verlauf kontrollieren zu können.
Predel weist abschließend noch auf einen weiteren Punkt hin, der hilft, Patienten in Bewegung zu bringen: Die Vorbildfunktion des Arztes selber dürfe man nicht vergessen. „Studien haben belegt, dass Ärzte, die selbst sportlich aktiv sind, ihre Patienten erfolgreich zur Nachahmung animieren.“
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