Die bipolare Störung ist vererbbar. Eine Studie zeigt nun die Veränderung des Gehirns, während sich die Krankheit entwickelt. Das könnte einen neuen Ansatz für die Prävention liefern.
Die bipolare Störung geht häufig mit einer familiären Komponente einher und ist eine der am stärksten vererbbaren psychiatrischen Erkrankungen. Außerdem sind umweltbezogene Faktoren, wie beispielsweise kindliche Traumata, mitverantwortlich für das Auftreten der Erkrankung. Forscher haben zudem erkannt, dass ein Trauma in der Kindheit, zusammen mit bestimmten Kalziumkanal-assoziierten Genen, das Alter für das Auftreten einer bipolaren Störung beeinflussen kann. Daher wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv nach Genen geforscht, die das Krankheitsrisiko erhöhen.
Derzeit geht man davon aus, dass es sich bei der bipolaren Erkrankung um eine komplexe multifaktorielle Störung handelt, bei der zahlreiche genetische Faktoren mit Umweltfaktoren interagieren.
Aktuelle bildgebende Studien zeigen nun Konnektivitätsstörungen in wichtigen emotionalen und kognitiven Zentren, wie der Insula und dem Gyrus frontalis inferior, auf. Das führt zu den krankheitstypischen affektiven und neurokognitiven Störungen. Bisher wurde angenommen, dass die bipolare Störung mit einer verminderten Kommunikation zwischen Gehirnnetzwerken einhergeht, die an der emotionalen Verarbeitung und dem Denken beteiligt sind.
In einer im American Journal of Psychiatry veröffentlichten Studie haben Forscher nun nachgewiesen, dass diese Netzwerke bei jungen Erwachsenen mit hohem genetischem Risiko für die Entwicklung einer bipolaren Störung im Laufe der Zeit abnehmen. Das hat wichtige Auswirkungen auf zukünftige Interventionsstrategien.
Die Wissenschaftler analysierten die Gehirne von 183 Probanden, davon 97 mit nahen Verwandten, die an einer bipolaren Störung leiden und 86 Personen ohne familiäre Vorbelastung. Die Studienteilnehmer waren zwischen 12 und 30 Jahre alt und wurden mittels diffusionsgewichteter magnetischer Bildgebung (dMRI) untersucht. Bei den Scans der Risikopatienten wurde über einen Zeitraum von zwei Jahren eine Abnahme der Konnektivität zwischen den Hirnregionen festgestellt. In der Kontrollgruppe wurde hingegen das Gegenteil beobachtet: Die neuronalen Verbindungen zwischen den gleichen Regionen nahmen zu. Das bedingt die korrekte Entwicklung emotionaler und kognitiver Fähigkeiten.
Das lebenslange Auftreten von mindestens einer schweren depressiven Episode, einer lebenslangen DSM-IV-Diagnose oder einer Angststörung war in der Hochrisikogruppe signifikant höher als in der Kontrollgruppe. Das stimmt mit früheren Berichten überein. Bei 18 der Hochrisiko-Teilnehmer trat eine DSM-IV-Störung neu auf, 8 erlebten eine erste Stimmungsstörung zwischen Studienbeginn und Nachuntersuchung. Von diesen hatten 4 einen ersten Ausbruch einer manischen oder hypomanischen DSM-IV-Episode, 3 einen neuen Ausbruch einer schweren depressiven Episode und einer beides. Es gab also fünf Konvertierungen in eine bipolare Störung.
„Diese Studie ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu bildgebenden und genetischen Tests, um Risikopatienten zu definieren, bevor sie behindernde und belastende Symptome der Störung entwickeln. Dies würde die Psychiatrie näher an andere Bereiche der Medizin heranführen, in denen Screening-Tests zur Standardversorgung gehören“ erklärt Prof. Michael Breakspear.
Die Entwicklung einer bipolaren Störung geht einher mit der letzten Phase der Neuronenentwicklung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese strukturellen Netzwerkveränderungen könnten als neurobiologische Marker fungieren. So könnte man die Veränderung des Gehirns dazu nutzen, frühzeitig Medikamentation und Therapien einzuleiten, bevor sich die Krankheit komplett entfalten kann.
„Die Studie hilft uns den Weg zu verstehen, den Menschen mit dem Risiko einer bipolaren Störung einschlagen. Wir haben jetzt eine viel klarere Vorstellung davon, was in den Gehirnen junger, vorbelasteter Menschen passiert, während sie aufwachsen“ erklärt Prof. Philip Mitchell, Psychiater der UNSW Medicina & Health. „Wir sehen viele intelligente, fähige Kinder, die das Leben wirklich genießen. Da kann eine bipolare Störung ein großes Hindernis für das sein, was sie erreichen wollen. Mit unserem neuen Wissen darüber, was tatsächlich im Gehirn passiert, wenn sich gefährdete Teenager dem Erwachsenenalter nähern, haben wir die Möglichkeit, neue Interventionsstrategien zu entwickeln, um die Krankheit entweder in ihrem Verlauf zu stoppen oder ihre Auswirkungen zu verringern“, ergänzt er.
Die Forscher planen außerdem weitere Untersuchungen sowie die Entwicklung eines Online-Programms als Hilfestellung zur Risikoreduktion.
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