Die Zahlen belegen es, die Ärzteschaft ist sich einig, die Politik hat das Problem erkannt: Die deutsche Versorgungsstruktur muss sich ändern. Doch wo stehen wir mit der Ambulantisierung und was muss als nächstes passieren?
Im europäischen Vergleich stehen wir in Deutschland einmalig gut dar was die Pro-Kopf-Betreuung der Bevölkerung mit Ärzten und Praxen bzw. Krankenhäusern angeht. Grund dafür ist unter anderem die strikte Trennung von ambulanter und stationärer Versorgung. Ein Relikt, das zu Gunsten von Effektivität, Fachkräfteausgleich und fairer Vergütung jetzt einmal mehr reformiert werden soll. Das politische Stichwort lautet Krankenhausreform, und eine Dimension davon ist die – schreckliches Wort – Ambulantisierung weiterer Teile der stationären Versorgung.
Nicht, dass hier nicht schon einiges passiert wäre: Länder, Kommunen und private Träger gehen den Strukturwandel im Krankenhausbereich schon seit einiger Zeit an. Und es hat sich einiges getan: So hat das Land Baden-Württemberg beispielsweise seit 1990 sowohl die Gesamtzahl der Krankenhäuser von 317 auf 250, als auch die Anzahl der Betten von 69.328 auf 55.462 reduziert. Damit ist der Strukturwandel in Sachen Bettenabbau – zumindest im Südwesten – nahezu abgeschlossen.
Für neuen Wind bei dem Thema hat nun ein aktuelles Gutachten des IGES-Instituts gesorgt. Seine Bedeutung ist umstritten: Die einen feiern es als Wegbereiter zu einer intersektoralen Versorgungsstruktur; die anderen sehen darin nur eine von vielen Einlassungen, die es zum Thema Ambulantisierung schon gab. Die Gutachter jedenfalls sagen, dass eine ganze Menge mehr an bisher stationär erbrachten Leistungen auch ambulant erfolgen könnte. Der Leistungsumfang des Katalogs Ambulantes Operieren (AOP) wird dazu nahezu verdoppelt. Ginge es nach IGES, kämen zu den bisher 2.879 Leistungen noch einmal 2.476 neue hinzu. Darunter sind, natürlich, vor allem verhältnismäßig simple Eingriffe, etwa aus dem endoskopischen Eingriffsspektrum.
In Klinikkreisen geht man davon aus, dass der AOP-Katalog Anfang nächsten Jahres noch einmal punktuell erweitert wird. Doch Ambulantisierung muss aus Sicht der Krankenhäuser über den AOP-Katalog hinausgehen: „Im Mittelpunkt sollte in Zukunft ein ambulant-klinischer Leistungsbereich stehen. Hier könnte es einen eigenen Katalog geben, der wesentlich komplexere und speziellere Leistungen abdeckt, die bestimmte infrastrukturelle Voraussetzungen benötigen, die nur am Krankenhaus erbracht werden können“, erklärt Dr. Matthias Einwag, Hauptgeschäftsführer der BWKG (Baden-Württembergische Krankenhausgesellschaft).
Doch diese „Ambulantisierung am Krankenhaus“ ist noch ein Schlagwort, das nicht zu Ende diskutiert ist. Es gibt ebenso den Ruf nach weiteren multiprofessionellen, sektorenübergreifenden Versorgungseinrichtungen. Ein Beispiel sind die seit einigen Jahren möglichen Intersektoralen Gesundheitszentren (IGZ), welche das bisherige Institutionsspektrum ergänzen. Diese, zunächst von den KVen getragenen, später von niedergelassenen Ärzten übernommenen Zentren einer „erweiterten ambulanten Versorgung“ sollen vor allem in dünn besiedelten Regionen Krankenhäuser (teilweise) ersetzen und mit ähnlichen medizinischen Möglichkeiten ausgestattet sein. Typischerweise setzen sie auf ehemaligen, kleineren, ländlichen Krankenhäusern auf, die geschlossen werden, weil sie sich nicht mehr rechnen.
Gegen die von den Krankenhäusern präferierte „Ambulantisierung am Krankenhaus“ kommt von Seiten der KBV in jedem Fall der Einwand, dass die Krankenhäuser „keine Jägerzäune aufbauen dürfen“, wenn es darum geht, dass auch niedergelassene Ärzte unter den gleichen strukturellen und finanziellen Bedingungen ambulante Operationen durchführen. Gemeint ist: Wenn schon „am Krankenhaus“, dann dürfen die Hürden der ambulanten Tätigkeit für niedergelassene Ärzte nicht unnötig hoch gesetzt werden.
Fragen nach der konkreten Einbindung niedergelassener Ärzte in den ambulant-klinischen Bereich oder nach den Kooperationen von Kliniken und alternativen Versorgungseinrichtungen blieben im Detail noch zu klären – sind aber laut Krankenhausseite mehr eine nachgelagerte Detailfrage.
Egal auf welche infrastrukturelle Ausgestaltung sich Politik und Ärzte bei der weiteren Ambulantisierung einigen: Beantwortet werden muss in jedem Fall, auf welchem finanziellen Bett das „neue“ System liegen soll. Ein Stichwort in diesem Zusammenhang, das es in den Koalitionsvertrag geschafft hat: Hybrid-DRG. Bei den Hybrid-DRG gibt es – in der Theorie – für ambulant erbringbare Leistungen immer die exakt gleiche Vergütung, egal ob sie von Niedergelassenen oder von Krankenhausseite erbracht werden. Das ist eine Lesart. Eine andere besagt, dass Hybrid-DRG eher als „gemeinsame“ Vergütungen für ambulant (oder auch ambulant und klinisch) erbringbare Leistungen konzipiert sein sollten, bei der sich die Leistungserbringer dann quasi intern über die Verteilung einigen.
„Das von der Koalition angedachte Konzept der Hybrid-DRGs wird ein wesentlicher Bestandteil für die Krankenhausreform sein müssen. Versorgung in Krankenhäusern muss neu gedacht werden. Dafür sind die Türen der Fachärzteschaft an allen Enden offen: Die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands sind bereit und willens, einen wachsenden Anteil an potenziell ambulant zu erbringenden Versorgungsleistungen zu übernehmen, um die Krankenhäuser an dieser Stelle zu ergänzen und zu entlasten, sowie damit einen Strukturwandel im deutschen Gesundheitswesen zu begleiten“, sagt Dr. Helmut Weinhart, der stellvertretende Vorsitzende des SpiFa.
Bedenken von Krankenhausseite betreffen in diesem neuen System unter anderem den Wegfall von Investitionsfinanzierungen. Kommen die Bundesländer, wie fast standardmäßig, ihren Investitionsverpflichtungen nicht im nötigen Umfang nach, können die Krankenhäuser das im derzeitigen Finanzierungsmodell mit Hilfe stationärer Fallzahlsteigerungen kompensieren. Das ginge in einem Hybrid-Modell so nicht. Dr. Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschafft, hält deswegen auch nichts von einer reinen Hybrid-DRG-Diskussion:
„Die wichtigste Voraussetzung für eine strukturierte Krankenhausplanung ist ein Ende des kalten Strukturwandels. Das bedeutet aber auch, dass die seit langem offenen Finanzierungsfragen zu regeln sind. So müssen wir die rein leistungsbezogene Finanzierung reformieren und deutlich mehr Vorhaltekomponenten einführen, und die Länder müssen die Investitionsfinanzierung endlich sichern.“
Letztlich ist das Thema Finanzierung in den Köpfen zwar schon relativ fest mit der Hybrid-DRG konnotiert, doch existieren auch weiterhin alternative Ideen wie beispielsweise Regionalbudgets, aus denen die Leistungen aller in einer Region Tätigen finanziert werden könnten. Es kommt nun also erst einmal darauf an, sich auf ein Konzept festzulegen.
„Es gibt vielerorts Reformbedarf im Gesundheitswesen. Die Einführung von Hybrid-DRGs ist aber Voraussetzung für weitere Reformvorhaben und sollte möglichst bald angegangen werden. Dementsprechend warten wir gespannt auf die Vorhabenplanung der Bundesregierung“, beschreibt SpiFa-Vorstandsmitglied Jörg Karst eine nun nötige Priorisierung der Aufgaben.
Da der Umbau des Sektors – auch wenn schon lange geplant und im Prozess – nicht von Heute auf Morgen abgeschlossen werden kann, ist es besonders den Krankenhausvertretern wichtig, eine stabile Übergangsphase zu etablieren. Diese gilt es politisch zu unterstützen und zu garantieren, wie Dr. Gerald Gaß zusammenfasst:
„Die Reformen müssen in einem Transformationsprozess eingebettet sein, der es den Krankenhäusern ermöglicht, die ambulanten Versorgungsstrukturen aufzubauen und neue ambulante Behandlungsprozesse zu etablieren. Dafür muss die Politik finanzielle Anreize setzen. Vollstationäre Leistungen umzuwandeln muss wirtschaftlich attraktiv sein, und auch die erforderlichen Investitionen in Infrastruktur und Abläufe müssen gesichert sein.“
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