Ein neuer Trend aus den USA: Per App kommt der Arzt virtuell zum Patienten. Laien sind begeistert, schließlich sparen sie Zeit und Geld. Hierzulande gibt es ähnliche Trends – trotz fehlender Infrastrukturen. Auch das Fernbehandlungsverbot erschwert Innovationen.
Kopf- und Gliederschmerzen, Schüttelfrost und Halsschmerzen: Grippale Infekte stehen momentan auf der Tagesordnung. Jetzt noch zum Arzt – einen Termin bekommen, das halbe Wartezimmer anstecken – nur für eine Krankschreibung und ein Rezept? Zumindest in den USA gibt es Alternativen.
Derzeit wachsen Anbieter von Online-Sprechstunden wie Pilze aus dem Boden. Beispielsweise setzt „first opinion“ auf Textnachrichten. Per Software wählt der Anbieter über Kriterien wie Geschlecht, Schwangerschaft oder Alter geeignete Ärzte aus. Ein Abo schlägt mit 25 US-Dollar zu Buche. Dafür stehen Ärzte rund um die Uhr zur Verfügung. Patienten bleiben anonym, nur ihr Vorname erscheint. Stellen sie medizinische Fragen, antworten Ärzte per Chatfunktion, ähnlich wie bei WhatsApp. Sie melden sich auch, falls der Weg zur Sprechstunde erforderlich ist. Patienten schätzen diesen Service: Bereits vier Monate nach der Einführung haben dem Entwickler zufolge 20.000 Menschen Dienste über „first opinion“ in Anspruch genommen.
„Doctor on Demand“ verfolgt ähnliche Ziele, jedoch mit anderen Technologien. Wer Ärzte per App kontaktieren möchte, beantwortet zuerst Fragen rund um seinen Gesundheitszustand. Dann wird ein audio- oder videobasierter Besuch bei Health Professionals arrangiert. Für 40 Dollar gibt es virtuelle Konsultationen inklusive Diagnose und, falls erforderlich, Rezept. Psychologen oder Stillberater stehen ebenfalls bereit. Der Anbieter verspricht, „akute gesundheitliche Probleme wie grippale Infekte oder Migräne zeitnah und unkompliziert zu behandeln und entsprechende Medikamente zu verschreiben“. Patienten können ihren Arzt oder Experten anschließend über ein Punktesystem bewerten.
Keine Einzelfälle: American Well, TelaDoc, Interactive MD oder Healthcare Magic konnten sich schon länger auf dem Markt behaupten. Wer jetzt über die vermeintliche Technikverliebtheit amerikanischer Patienten schmunzelt, wird von Pat Basu eines Besseren belehrt. Der Chief Medical Officer von „Doctor on Demand“ kritisiert, Konsultationen würden in den Staaten durchschnittlich drei Stunden Zeit in Anspruch nehmen – falls Patienten überhaupt Termine bekommen. Damit nicht genug: Arztbesuche schlagen mit bis zu 120 US-Dollar zu Buche, beim Bereitschaftsdienst werden schnell 160 US-Dollar fällig. Selbst Versicherte, deren Zahl steigt dank Barack Obamas „Patient Protection and Affordable Care Act“ stetig an, müssen 40 US-Dollar Zuzahlung berappen. Genau hier setzen Apps mit günstigen Preisen an. In Europa geht es eher darum, Zeit zu sparen.
Einige Beispiele: Während in Großbritannien DrEd mit virtuellen Konsultationen schon seit Jahren für Schlagzeilen sorgt, bietet Patientus entsprechende Dienstleistungen auch hierzulande an. Nicolas Schulwitz, Gesellschafter-Geschäftsführer bei Patientus, will „den Arztbesuch sinnvoll ergänzen, aber nicht ersetzen“. Mittlerweile haben Entwickler Betatests ihrer Software erfolgreich abgeschlossen. Seit August 2014 sind Konsultationen auch in Deutschland per Videokonferenz möglich. Ärzte können beim Erstkontakt allgemeine Fragen zu Therapiemöglichkeiten und zur Kostenübernahme klären – Patientus bezeichnet dies als „Informationssprechstunde“. Bestandspatienten haben die Möglichkeit, Nachkontrollen oder kontinuierliche Kontrolltermine per Videoschaltung wahrzunehmen. Bleibt noch die „Zweitmeinungssprechstunde“, falls Laien weitere Einschätzungen zur geplanten OP benötigen. Sie können mit einem Arzt auch Bildmaterial diskutieren. Abgerechnet werden entsprechende Leistungen gemäß EBM wie eine telefonische Beratung. Ärzte zahlen 189 Euro pro Monat. Damit nicht genug: Bei Klara, früher goderma, fotografieren Patienten Hautläsionen und tauschen sich mit einem Dermatologen aus. Auch hier spricht der Anbieter von Verlaufskontrollen oder weiteren Ratschlägen – schließlich greift das Fernbehandlungsverbot gemäß Musterberufsordnung: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlung, insbesondere auch Beratung, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“
Experten kritisieren diesen Passus immer häufiger. Beim vierten E-Health-Forum in Freiburg forderten sie, besagte Regeln weiterzuentwickeln. Damit ist es nicht getan. In Deutschland fehlen Hermann Gröhe (CDU) zufolge bei der Health IT sichere, hochwertige Infrastrukturen. Grund genug für den Bundesgesundheitsminister, mit seinem E-Health-Gesetz Druck zu machen. Mittlerweile sehen Ärzte, dass es ihm nur um die elektronische Gesundheitskarte (eGK) und um die Arzneimitteltherapiesicherheit geht. Start-ups müssen weiterhin ihre eigenen Technologien entwickeln. Das Interesse vom „Patienten 2.0“ ist jedenfalls da.