Medikamente lassen sich jetzt per App in 30 Minuten nach Hause liefern – sogar in Zusammenarbeit mit Vor-Ort-Apotheken. Was mich daran stört: ausbeuterische Methoden.
Wer keine Lust hat, sich etwas zu kochen, der schaut schnell mal bei Lieferando rein. Wem die Getränke ausgegangen sind, der bestellt bei Flaschenpost. Wer sich das Gedränge im Supermarkt ersparen möchte, der nutzt die App von Gorillas. Und was machen die, die etwas aus der Apotheke brauchen, dafür aber nicht mehr in die Schuhe schlüpfen wollen? Die haben auch eine Bestell-App, beispielsweise von Mayd, Cure, Kurando oder First-A.
Neuerdings mischt auch in der Münchner Umgebung der Essens-Lieferdienst Knuspr mit, der neben heimischen Essenserzeugnissen auch OTC-Produkte an die Haustüre bringt. Die unterschiedlichen Lieferdienste erhalten für diese Art der Zusammenarbeit ein kleines Transportgeld vom Kunden und einen Anteil am Umsatz von den Apothekeninhabern, der, wie kolportiert wird, nicht selten bei etwa 20 bis 30 Prozent des Umsatzes liegt.
Start-Ups wie First-A wurden schon zur Zeit ihrer Gründung im September 2021 von vielen Apothekeninhabern schief angesehen – zurecht, denn vor wenigen Tagen wurden sie aufgekauft. Ausgerechnet von der Shop Apotheke, die ja nun nicht gerade als Freund der Vor-Ort-Apotheken bekannt ist, die jetzt für sie arbeiten dürfen.
Was treibt die Apothekenleiter an, die sich dazu bereitzuerklären, mit diesen Lieferanten zusammenzuarbeiten? Und wie steht man dieser Art Arzneimittelversand überhaupt gegenüber? Ist es in Ordnung, dass nach einer Bestellung eine Kaskade anläuft, bei der die ersten Fragen nicht BAK-gerecht lauten: „Für wen ist das Arzneimittel gedacht, stimmt die (Eigen-) Diagnose, welche anderen Medikamente werden eingenommen und sollte sich ein Arzt das ansehen?“, sondern nur „Wie schnell kann der ‚Picker‘ das Paket versandfertig dem Fahrer übergeben und wie staufrei ist der Weg zum Kunden?“
Das Angebot eines Beratungs-Chats innerhalb der App ist nämlich freiwillig. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass er beispielsweise bei der Bestellung von 5 abschwellenden Nasensprays für eine Einzelperson automatisch als Voraussetzung für den Kauf gilt.
Apotheken, die sich für so etwas hergeben, können ihren eigentlichen Aufgaben nicht mehr gerecht werden, sondern machen sie sich in meinen Augen einfach nur zum Handlanger einer Organisation, die dafür sorgt, dass die Untersten der Hackordnung (‚Picker‘ und Fahrer) zeitlich unter Druck gesetzt und finanziell ausgebeutet werden. Das hat nichts mit der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu tun, sondern ausschließlich mit Profit. Zu welchem Preis opfern diese Apotheker ihr berufliches Selbstverständnis?
Und noch eine Frage tat sich bei vielen schon zu Beginn von First-A auf: Wohin fließen die Daten letztlich? Und wie schaut es mit der Vergütung aus? Im Grunde genommen muss man sich nur die Struktur von Plattformen wie beispielsweise Lieferando anschauen, um zu sehen, wohin die Reise gehen wird. Dort war es beispielsweise in Berlin so, dass zunächst von den teilnehmenden Restaurants eine Provision von 30 Prozent des Umsatzes genommen wurde. Das ist eine Preisstruktur, die den teilnehmenden Apotheken ohnehin das Genick bräche, wenn sie so übernommen werden würde, dass die eigenen Preise nicht mehr durch die Inhaber kalkuliert, sondern durch die Plattformbetreiber vorgegeben würden.
Zu guter Letzt würde der Kundenstamm auch noch abgeworben. Wie bei Lieferando: Der große Plattform-Partner hat sich eine Zeit lang offenbar angesehen, welche Gerichte am beliebtesten waren, und nun „Ghost-Restaurants“ eröffnet, die besonders kostengünstig in Containerküchen eben diese Gerichte zubereiten und ausliefern. Das Nachsehen hat das ausgebeutete Restaurant, das sowohl seine Wirtschaftlichkeit als auch seine Kunden verloren hat.
Was bedeutet das, übertragen auf die Lieferdienste von OTC-Produkten aus den Apotheken? Ist es so unwahrscheinlich, dass beispielsweise die Produkte einer bestimmten Marke zukünftig einen gewissen Betrag nicht mehr überschreiten dürfen, wenn sie dort angeboten werden? Dass 20 bis 30 Prozent des Umsatzes der bestellten Produkte in die Taschen der Plattformbetreiber fließen? Dass bestimmte gut laufende Kosmetika irgendwann direkt vom Plattformbetreiber verkauft werden, sobald dieser weiß, was die Kunden so alles bei den Apotheken bestellen? Dass Kundendaten ausgespäht werden, die dann umgehend der Meistbietende in Händen hält, der die Start-Ups nach wenigen Monaten aufkauft?
Letzteres ist gerade geschehen und sollte den teilnehmenden Apotheken zu denken geben. Die durch die Gründerin Antonie Jo Nissen vorgeschobene Behauptung, es handele sich hier um eine Win-win-Situation und eine „Stärkung der Vor-Ort-Apotheke“ ist spätestens jetzt offenbart, denn gerade die Shop Apotheke ist einer der größten Konkurrenten und sucht bereits seit einer Weile nach Apotheken, die mit ihr zusammenarbeiten möchten. Was diese Versender bislang nicht hatten, nämlich eine Dependance vor Ort, welche die berühmte letzte Meile zum Kunden übernimmt, ist so möglich geworden. Und die Apotheken, die eigentlich nicht mit den Versendern zusammenarbeiten wollten, sich aber mit diesem Lieferdienst zusammentaten, haben sich durch das Trojanische Pferd First-A täuschen lassen. Die Daten ihrer Kunden liegen nun dort. Es sollte ihnen eine Lehre sein!
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