Die Masern galten als ausgerottet, doch die aktuelle Masern-Welle und der Tod eines Kindes in Berlin bestätigen, was Schuleingangsuntersuchungen andeuten: Die Impfbereitschaft in Deutschland reicht nicht aus, um die Masern dauerhaft zu eliminieren.
Im Jahr 2000 erklärten die USA Masern als eliminierte Krankheit. Im Jahr 2014 kam es jedoch zu 644 gemeldeten Erkrankungen durch das Virus – verteilt über 27 Staaten der USA. Zuletzt erwischte es zahlreiche Menschen, die im Dezember den Vergnügungspark Disneyland in Kalifornien besucht hatten. Ende Januar erreichte die Zahl der dort infizierten Menschen knapp 60. Sie waren zwischen sieben Monaten und 70 Jahren alt. 34 dieser Personen hatten einen dokumentierten Impfstatus. 28 von ihnen hatten keine Mumps-Masern-Röteln-Impfung erhalten, eine Person lediglich eine Impfdosis und fünf Personen hatten zwei oder mehr Impfdosen erhalten. Vier infizierte Kinder waren jünger als 12 Monate – zu jung für eine Immunisierung. Auch nach Deutschland schwappen immer wieder Masernwellen, die letzte größere im Jahr 2013. Damals erkranken über 1.800 Menschen an Masern. Einige von ihnen hatten mit schweren gesundheitlichen Folgen zu kämpfen. Eine Impfdosis des Kombinationsimpfstoffs gegen die Erreger von Mumps, Masern und Röteln gilt als zu 95 Prozent effektiv. Die Stiko empfiehlt diese erste Immunisierung bei Kindern zwischen dem 11. und dem 14. Lebensmonat. Eine zweite Impfdosis erhöht den Schutz auf über 99 Prozent – empfohlen wird sie zwischen dem 15. und dem 23. Lebensmonat.
Die Durchimpfungsrate in Deutschland liegt im Durchschnitt bei 92,4 Prozent, allerdings mit starken regionalen Schwankungen, wie Daten der Schuleingangsuntersuchungen von 2012 zeigten. Für die Herdenimmunität reicht dieser Wert nicht aus. Dieser ist erst dann erreicht, wenn 95 Prozent der Bevölkerung geimpft sind. Dann ist davon auszugehen, dass sich eine Infektionskrankheit nicht mehr in der Bevölkerung ausbreiten kann. Diesen Status hat in Deutschland bisher nur Mecklenburg Vorpommern erreicht. In allen anderen Bundesländern gibt es mindestens einen Landkreis, in dem eine Durchimpfungsrate von 95 Prozent nicht erreicht wird. Vor allem in Bayern und Baden-Württemberg leben zahlreiche Impfverweigerer. Dort gibt es Regionen, in denen nur 75 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen Masern geimpft sind. In Sachsen haben sogar weniger als 75 Prozent der Bevölkerung die Grundimmunisierung gegen Masern abgeschlossen.
Der Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) will nun aktiv gegen die Impfmüdigkeit im Land vorgehen. Ende letzten Jahres sprach er sich für eine obligatorische Impfberatung für alle Eltern aus, die ihr Kind in einer öffentlichen Betreuungseinrichtung versorgt haben möchten. Bei der Kita-Anmeldung sollen Eltern in Zukunft einen Nachweis vorlegen, dass sie ärztlich über die notwendigen Impfungen beraten wurden. „Wir wollen damit die Sorgeberechtigten an die Impfempfehlungen erinnern und die Impfraten erhöhen“, sagte eine Sprecherin des Bundesgesundheitsministeriums. Eine Impfpflicht wird es jedoch nicht geben. „Das wäre ein erheblicher Eingriff in die Rechte der Eltern und Kinder“, erklärte Gröhes Sprecherin. Da immer mehr sehr junge Kinder in Kitas und Krippen betreut würden, sei diese Maßnahme notwendig, um auch diese Kinder vor Masern und anderen Viruserkrankungen zu schützen.
In Deutschland gelten rund zehn Prozent der Eltern als Impfskeptiker, zwischen drei und fünf Prozent der Eltern als strikte Impfgegner. Sie sind überwiegend Anhänger naturheilkundlicher Verfahren und halten insbesondere die Adjuvantien in den Impfpräparaten für schädlich. Manche Eltern setzen sogar auf Masern-Partys, um ihre Kinder den gesundheitlichen Vorteilen auszusetzen, die das natürliche Durchleben von Infektionskrankheiten mit sich bringen kann. „Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen, dass eine Mutter ihrem Kind freiwillig die Masern wünscht“, so die Kinderärztin Katja Schneider aus Bonn gegenüber der Welt. „Masern sind eine äußerst schwerwiegende Erkrankung, können unwiderrufliche Schäden hervorrufen und in Einzelfällen sogar tödlich verlaufen.“
Doch nicht nur die Nebenwirkungen von Impfungen und insbesondere die von Mehrfachimpfungen sind immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Denn seit der Einführung der Kostenübernahme der von der Stiko empfohlenen Impfungen in der Gesundheitsreform am 1. April 2007 haben die Stiko-Empfehlungen einen noch größeren Einfluss auf die Kosten des Gesundheitssystems und den Umsatz von Arzneimitteln. Seit einigen Jahren füllt sich der Impfkalender der Stiko stetig: 2004 wurde die Windpocken-Impfung für alle Kleinkinder aufgenommen, 2006 die Pneumokokken- und Meningokokken-Impfung. 2007 kam die kostenintensive HPV-Impfung für 12- bis 17-jährige Mädchen dazu. In diesem Zusammenhang ist auch die Unabhängigkeit der Stiko-Mitglieder immer wieder Gegenstand von Diskussionen. Darauf hat das RKI bereits reagiert. Auf der Webseite des Instituts lassen sich die möglichen Interessenskonflikte, die die 17 Stiko-Mitglieder als Selbstauskunft erteilt haben, nachlesen.
Die weit überwiegende Zahl der Kinder- und Jugendärzte sieht Impfbedenken als unbegründet an; die heute eingesetzten Präparate seien wissenschaftlich gründlich erforscht und böten als einzige einen sicheren Schutz vor Krankheiten. Spätestens alle fünf Jahre prüft das Paul-Ehrlich-Institut zudem, ob ein Impfstoff noch dem neuesten medizinischen Standard entspricht. „Damit gehören Impfstoffe zu den sichersten Medikamenten, die wir in Deutschland haben. Die modernen Kombinationsimpfstoffe für Kinder, die hierzulande verwendet werden, sind zudem inzwischen quecksilberfrei“, heißt es auf der Webseite des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte. Alternativen zu den empfohlenen Impfungen gäbe es nicht.