Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist so ein unscheinbares Formular – und hat doch so einige Tücken zu bieten. Was tun, wenn „Keine-Lust-Patienten“ auftauchen und eine AU verlangen?
Manchmal glaube ich, dass eines meiner wertvollsten therapeutischen Instrumente mein Kugelschreiber ist. Denn damit kann ich sehr viele nützliche Dinge in Gang setzen: Medikamente, Heil- oder Hilfsmittel anfordern, Reha-Anträge unterschreiben und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) ausstellen.
Gerade die AU kommt in letzter Zeit wieder ganz neu zur Geltung, seit alles wieder aus dem Home-Office ins Büro zurückkehrt – und das schon vorher knappe Personal aktuell durch Omikron weiter dezimiert wird.
Hier meine (völlig subjektive und sicher überspitzt formulierte) Kategorisierung:
Es geht eben nicht um die AU als reinen Urlaub, sondern als Phase, in der man zwar schon auch schöne Dinge tut, um den Akku aufzuladen, aber sich eben auch überlegt, wie es danach weitergehen soll. Falls ich merke, dass diese Entlastung nicht reicht (ja, ich sehe diese Patienten wöchentlich), versuche ich dann auch frühzeitig eine Psychotherapie oder eine Reha zu initiieren, weil die Wartezeiten gerade in diesem Bereich gefühlt eine Ewigkeit dauern. Nochmal zur Klarstellung: Auch das ist keine Kritik an den Kollegen, die sich um die Psychotherapie kümmern – mir ist klar, dass es aktuell ein krasses Missverhältnis zwischen Nachfrage und Therapieplätzen gibt.
Aber da kommen wir in Graubereiche, die es schwierig machen: Mein Gefühl ist, dass zunehmend Patienten kommen, die z.B. nach der Kündigung direkt ihre AU wollen, damit sie „da nicht mehr hin müssen“. So ist das natürlich nicht gedacht. Einige haben dann schon vorher von Mobbing und anderen Schwierigkeiten berichtet und wenn das ein zeitlich überschaubarer Rahmen ist, sehe ich das nicht problematisch. Aber bei 3-6 Wochen „geplanter Dauer“ und Patienten, die einfach ganz ruhig erzählen, sie „wollen da nicht mehr hin“ (aus Prinzip) finde ich schwierig – denn diese Patienten sind nicht arbeitsUNfähig.
Sie haben nur schlichtweg keine Lust, sich mit den Konflikten auseinanderzusetzen. Das versuche ich den Patienten dann auch klarzumachen. „Keine Lust“ ist kein Grund für eine AU. Leider führt das dann teilweise dazu, dass sie direkt zum nächsten Arzt gehen und sich dann wegen Rückenschmerzen o.ä. krank schreiben lassen.
Damit stellt sich dann die Frage, was mir lieber ist: Dass sie mir von fiktiven Beschwerden erzählen, damit ich sie deswegen krankschreibe, oder dass sie mir ehrlich sagen, dass sie da nicht mehr hin wollen, damit ich keine unnötigen Untersuchungen anleiere? Beides ist natürlich schwierig: Je nach Untersuchung blockiere ich damit einfach Termine für andere Patienten oder setze meine Patienten z.B. beim Röntgen einer unnötigen Strahlenbelastung aus.
Andererseits will und darf ich auch keine Gefälligkeits-AUs ausstellen, weil das im Endeffekt ein ärztliches Gutachten ist und somit auch strafrechtlich relevant. Die meisten Patienten verstehen das auch, aber mein Gefühl ist, dass sie dann einfach zu einem anderen Arzt gehen und dann doch die AU ins Haus flattert – nur eben nicht von uns. Ob das der Weisheit letzter Schluss ist ...
Last but not least: Die lückenlose Folgebescheinigung. DAS ist der Punkt, an dem es bei uns am häufigsten Ärger gibt. Auch wenn wir es tausendmal erklären: Es darf keine Lücke in der Krankschreibung entstehen. Das heißt, wenn die AU bis zum 25. Mai ging, muss der Patient allerspätestens am 26. Mai BEI UNS sein. Denn eine telefonische AU ist gerade bei längerfristigen AUs nicht zulässig.
Manchmal finde ich diese Regelung auch ziemlichen Quark: Da nämlich das Krankengeld immer rückwirkend gezahlt wird, kommen die meisten Patienten dann im 2-Wochen-Intervall zu uns. Dabei wissen wir alle, dass aufgrund der Chemo und dem ganzen Drum und Dran der Patient mit dem Karzinom definitiv innerhalb der nächsten Wochen und Monate nicht arbeitsfähig sein wird. Aber wehe, er vergisst über all den medizinischen Maßnahmen diesen Termin. Das Geld ist dann quasi futsch. Das finde ich gerade in Anbetracht der Situation, in der sich viele Krebspatienten befinden, eine echt harte Regelung. Aber da sind meine Möglichkeiten auch begrenzt. Auf der AU kann nur vermerkt werden, wann ich es festgestellt habe – ohne Arztkontakt keine Feststellung. Fertig. Alles andere wäre Urkundenfälschung. Aber das führt auch zu Tränen, wenn es doch vergessen wurde – und fair finde ich die Regelung nicht.
Wie man also sieht: Auch so ein unscheinbares Formular wie die AU birgt einige Tücken. Es ist Segen für Viele, Fluch für Manche – und oft ein Grund zum Fluchen.
Bildquelle: Toa Heftiba, unsplash