Genetisch belastete Paare können ihre Embryonen vor einer Schwangerschaft testen lassen. Ethikkommissionen entscheiden, wer dafür in Frage kommt – doch sind sich dabei selbst nicht einig.
Paare sind zu Recht bei ihrer Familienplanung verunsichert, wenn sich in der Familie genetische Dispositionen für schwere Krankheiten finden. Sie fürchten, dass auch ihre eigenen Kinder betroffen sein könnten. Besonders alarmierend ist die Situation, wenn sie bereits ein erkranktes Kind haben. Embryonen können vor Schwangerschaftsbeginn auf bestimmte Erkrankungen untersucht werden, vorausgesetzt sie wurden in vitro gezeugt. Diese Präimplantationsdiagnostik (PID) war lange in Deutschland verboten und wirft nach wie vor medizinische, juristische und ethische Fragestellungen auf.
Seit dem 1. Februar 2014 ist die Durchführung der PID in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Bis dahin war die genetische Untersuchung eines Embryos vor dem intrauterinen Transfer rechtswidrig. Das über 30 Jahre alte Embryonenschutzgesetz musste um § 3a Präimplantationsdiagnostik erweitert werden, um diesen Schritt zu ermöglichen. Danach ist eine PID erlaubt, wenn aufgrund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteils eine schwerwiegende Erbkrankheit für das Kind mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Sie ist auch dann nicht rechtswidrig, wenn der Embryo auf eine schwerwiegende Schädigung hin untersucht wird, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.
Voraussetzung ist eine medizinische und psychosoziale Beratung, die schriftliche Einwilligung der Mutter und das positive Votum einer interdisziplinär zusammengesetzten PID-Ethikkommission, aktuell in Deutschland fünf an der Zahl. Eine Kommission besteht aus jeweils acht Mitgliedern, davon vier ärztliche Vertreter, ein Sachverständiger für Recht, ein Interessenwahrnehmer der Patientin und ein Vertreter einer Selbstorganisation für Menschen mit Behinderung. Eine PID darf nur in einem der 10 lizenzierten Zentren vorgenommen werden, die meist mit reproduktionsmedizinischen Einrichtungen kooperieren. Die Antragsstellung erfolgt über die Frau. Die Ethikkommission entscheidet im Einzelfall anhand der Schwere des klinischen Bildes, der Therapierbarkeit und der Verringerung der Lebenserwartung, ob eine Indikation zur PID vorliegt. Auf einen Indikationskatalog hat der Gesetzgeber bewusst verzichtet, um Träger von Erkrankungen nicht zu diskriminieren. Daher können die Entscheidungen der fünf Kommissionen kontrovers ausfallen. Eine alleinige Altersindikation wird einheitlich abgelehnt.
Paare kommen in die humangenetische Beratung, weil es anamnestisch genetische Erkrankungen in der Familie gibt. Oder die Geburt eines Kindes mit einer genetischen Normabweichung gibt Anlass zur Sorge. Familien, die mehrere Aborte oder intrauterine Fruchttode erleiden mussten, sind verunsichert und möchten Gewissheit bei der Ursachenerforschung.
Indikationen für eine PID können monogene Erkrankungen wie Osteogenesis imperfecta, Chorea Huntington oder Mukoviszidose sein. Strukturelle Chromosomenveränderungen, etwa eine Robertson-Translokation, werden ebenfalls als Grund für eine PID gesehen.
Der erste Schritt für die betroffene Familie ist eine humangenetische Beratung mit Evaluation, ob es sich um eine Indikation für eine PID handelt. Eine psychosoziale Beratung durch einen Arzt, der nicht in die Durchführung der PID involviert ist, wird für das weitere Verfahren vorausgesetzt. Zudem ist eine reproduktionsmedizinische Anbindung nötig, da eine PID nur nach In-vitro-Fertilisation möglich ist. Entscheiden sich zwei Drittel der Ethikkommissionsmitglieder für den Antrag, ist eine PID möglich.
Im Jahr 2018 wurde 319 PID-Anträgen zugestimmt, 23 wurden abgelehnt. 315 PID-Durchführungen fanden statt. Die Zahl der abgelehnten Anträge betrug im Mittel von 2014–2018 etwa 8 %. Die Kosten für die PID müssen die Paare weitgehend selbst zahlen; es sei denn, es liegt eine Fertilitätsstörung vor, bei der eine Teilerstattung möglich ist. Man geht von einer Höhe zwischen 12.000–20.000 Euro aus, die auf die Antragsteller zukommen.
Die Nichtinvasive Pränataldiagnostik (NIPT) hingegen wird ab Mitte des Jahres zur Kassenleistung (wir berichteten). Es werden deutlich mehr Beratungen in den PID-Zentren durchgeführt, als letztendlich Anträge bei den Ethikkommissionen eingehen, begründet durch die hohen Kosten und das aufwändige Prüfungsverfahren.
Am PID-Zentrum in Mainz kam es seit 2016 nach 65 Embryonentransfers bei 35 Frauen zu 15 Schwangerschaften. 11 Kinder wurden gesund geboren, es kam zu zwei Frühaborten und zwei Frauen sind noch schwanger. Das entspricht den Beobachtungen anderer vergleichbarer Zentren. Die stellvertretende Leiterin des Kinderwunschzentrums der Universität Mainz, Dr. Ruth Gomez, sieht einerseits den Vorteil einer PID darin, dass Schwangerschaftsabbrüche oder Fehlgeburten den Patientinnen erspart werden können. Andererseits führten falsch positive Befunde in 20 % dazu, dass eigentlich gesunde Embryonen nicht implantiert würden. Außerdem sei eine Pränataldiagnostik immer zusätzlich empfehlenswert, um andere Defekte auszuschließen. Hinzu kämen, so Gomez, die höheren gesundheitlichen Risiken einer reproduktionsmedizinischen Therapie im Vergleich zu einer natürlichen Zeugung.
Kritik verursacht die uneinheitliche Entscheidungshoheit der Ethikkommissionen. So kam es bereits vor, dass eine Kommission eine PID wegen Chorea Huntington abgelehnt hätte, eine andere hingegen bewilligt habe. Gegen das Votum ist kein Widerspruch möglich.
In Österreich und der Schweiz ist die PID, ähnlich wie in Deutschland, bei krankheitsbezogenen Indikationen eingeschränkt möglich, wobei in der Schweiz nur schwere Erkrankungen zulässig sind, wenn diese wahrscheinlich vor dem 50. Lebensjahr auftreten. In den Niederlanden ist mittlerweile der häufigste Grund für eine PID eine genetische Disposition für Mamma- und Ovarialkarzinom. In Großbritannien ist eine PID zur HLA-Typisierung möglich, um eine Eignung als späteren Gewebe- oder Stammzellspender für ein erkranktes Geschwisterkind zu eruieren. In der EU ist eine Geschlechtsbestimmung, die nicht medizinisch begründet ist, verboten. In einigen Teilen der USA ist es möglich.
Ist es ethisch vertretbar, an einem Embryo einen Gentest durchzuführen, sozusagen eine vorgeschaltete Pränataldiagnostik zu betreiben, und ihn bei positivem Befund zu verwerfen? Wer darf darüber entscheiden, mit welcher Erkrankung ein Leben lebenswert ist – für das Kind, für die Angehörigen?
Stephan Kruip, 57-jähriger Physiker, Marathonläufer und seit 2016 Mitglied im Deutschen Ethikrat, hat sich sehr intensiv mit den ethischen Fragestellungen der PID auseinandergesetzt. Er ist Bundesvorsitzender des Vereins Mukoviszidose e.V. und selbst Betroffener. Auf seiner Homepage schreibt er:
„Der Mukoviszidose e.V. hatte sich in der erhitzten PID-Diskussion nicht pauschal gegen die Methode ausgesprochen und stattdessen in seiner Stellungnahme vom 13.12.2002 vor dem Nationalen Ethikrat konkrete Bedingungen für eine Zulassung formuliert: Ethische Beurteilung im Einzelfall, eine individuelle Beratung an einer humangenetischen Beratungsstelle, strenge Qualitätskontrolle der Handelnden und die Beschränkung auf wenige Zentren“.
Diesen Forderungen wurde in der Ergänzung des Embryonenschutzgesetzt zur PID Rechnung getragen. Auch könnten Veränderungen bei der Definition einer „schwerwiegenden Erbkrankheit“ die Zahl der PIDs beeinflussen, so Kruip. Für die Mukoviszidose gäbe es positive Veränderung, was Therapierbarkeit und Lebenserwartung betrifft. „Wird Mukoviszidose in Zukunft überhaupt noch eine ausreichende Rechtfertigung zur Durchführung einer PID sein?“, so die Frage des Betroffenen.
Präimplantationsdiagnostik ist eines der schwierigsten Themen in der Medizinethik.
Es gilt, die Problematik aus der Perspektive aller Betroffenen zu betrachten:
Ermutigend ist, wenn medizinischer Fortschritt eine mögliche PID-Indikation überflüssig macht.
D. Foth et al; Präimplantationsdiagnostik in Deutschland: Historie und Aktuelles aus der Praxis; Frauenarzt, 63. Jahrgang, Januar 2022, S. 32–37.
Georg Marckmann (Hrsg.); Praxisbuch Ethik in der Medizin, 2.aktualisierte und erweiterte Auflage; Kapitel Präimplantationsdiagnostik (PID) von T. Krones und I. Hirschberg; S. 341–353.
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