Medikament vom Arzt verschrieben, in der Apotheke abgeholt – fertig. Aber so einfach ist es bei Cannabis nicht. Das zeigt ein aktuelles Gerichtsurteil auf eindrückliche Weise.
Es ist ein Thema, das seit fünf Jahren – genauer gesagt seit dem 10. März 2017 – immer wieder hervorgeholt und gehyped wird: Cannabis auf Rezept. Viele Kunden sind neugierig, kennen aber nicht den Unterschied zwischen den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon, Cannabisblüten, Cannabisextrakten in standardisierter Qualität und freiverkäuflichen CBD-Produkten oder Hanfölen. Hier muss immer wieder Aufklärung betrieben werden.
Doch auch der ein oder andere Arzt schießt bei der Verordnung über das Ziel hinaus. Das kann man schön an mehreren Gerichtsverfahren erkennen, bei denen die Notwendigkeit für eine Verordnung von Cannabisblüten nicht gesehen wurde. Wo sind die Grenzen der Verordnungsfähigkeit, welche Erkrankungen dürfen damit behandelt werden und wann haben Apotheken eine Prüfpflicht, damit sie nicht Gefahr laufen, dass die Kassenrezepte retaxiert werden?
Das Gesetz sieht vor, dass ein Arzt Medizinalhanf auf Rezept nur dann verordnen darf, wenn dessen Konsum die Symptome oder den Krankheitsverlaufs voraussichtlich verbessert, was bei Vorerkrankungen wie Multipler Sklerose oder bestimmten psychiatrischen Erkrankungen der Fall sein kann. Auch bei chronischen starken Schmerzen dürften Cannabisblüten eingesetzt werden, wenn andere therapeutische Möglichkeiten ausgeschöpft sind, oder der behandelnde Arzt im Einzelfall entscheidet, dass therapeutische Alternativen nicht angebracht sind. Diese Patienten haben laut § 31 Abs. 6 SGB V Anspruch auf eine Versorgung mit medizinischem Cannabis.
Und hier steckt quasi der Teufel im Detail: Die Einzelfallentscheidung des Arztes kann in der Apotheke nicht so einfach nachvollzogen werden wie eine bereits bekannte Erkrankung, beispielsweise eben MS. Da solche Verordnungen erst dann ausgestellt werden dürfen, wenn die Krankenkassen diesen Bedarf auf Erstantrag auch anerkennen, häufen sich hier bereits die ersten Klagen von Patienten, denen das begehrte Medikament verweigert wird.
Der neueste bekannt gewordene Fall ist der eines Mannes, der gegen seinen „Saufdruck“ viele Jahre selbst Cannabis zuhause angebaut hat, deshalb angeklagt wurde und nun versucht hat, sich die Blüten von der Krankenkasse bezahlen zu lassen. Das Landessozialgericht Hessen sah diese Begründung als nicht stichhaltig an und lehnte die Behandlung mit Cannabisblüten auf Rezept ab, da andere Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden.
Grundsätzlich läuft es folgendermaßen ab, wenn zum ersten Mal ein solches Rezept ausgestellt wird:
Diese Genehmigung darf durch die Krankenkassen nur in begründeten Ausnahmefällen abgelehnt werden.
Auch wenn die Apotheken eigentlich offiziell keine Prüfpflicht haben, zeigen etliche Fälle aus der Vergangenheit, dass einige Krankenkassen peinlich genau darauf achten, dass die Genehmigung vorgelegen hat, bevor das Rezept in der Apotheke eingelöst wurde. Daher sollte das abgebende pharmazeutische Personal sichergehen, dass die Genehmigung der Krankenkasse über die Kostenerstattung bereits vorliegt, oder die Genehmigungsfrist bereits überschritten ist und sie damit quasi fiktiv als genehmigt anzusehen ist.
Also vor jeder Neubelieferung sollte der Patient darum gebeten werden, seine Genehmigung einmalig vorzuzeigen. Alternativ kann die abgebende Apotheke in den Fällen, in denen der Patient entweder keine Genehmigung vorliegen hat, oder diese nicht vorzeigen möchte, auch bei der Krankenkasse vor der Rezeptbelieferung nachfragen, ob eine solche vorliegt. Die ABDA erklärt, dass bislang nur der Verband der Ersatzkassen (vdek) dem Deutschen Apothekerverband schriftlich bestätigt hat, dass für die abgebenden Apotheken keine Pflicht zur Prüfung auf Vorliegen einer Leistungszusage der Krankenkasse besteht und folglich auch keine Retaxationen auf Basis fehlender Leistungszusage erfolgen werden (Stand: 07. September 2021).
Es scheint grundsätzlich nicht fair zu sein, dass die Apotheke in Regress genommen wird für etwas, für das sie keinerlei Prüfpflichten hat und nicht der Arzt, der die Verordnung ausgestellt hat. Aber was ist schon fair, wenn es darum geht, den Krankenkassen Geld zurückzugeben?
Ebenfalls retaxiert werden können Rezepte, auf denen verschiedene Extrakte oder Blütensorten verschrieben werden. Das liegt erstens daran, dass nach Bundesmantelvertrag pro Verordnungsblatt nur eine Rezeptur verordnet werden darf (was aber nur die verordnenden Ärzte betrifft und ausnahmsweise einmal nicht die Apotheken) und zum anderen, dass eine Abrechnung mittels 40-stelligem Hash-Code dann technisch nicht mehr möglich ist. Ein Austausch der Blütensorten durch die Apotheken ist ebenfalls nicht zulässig, selbst wenn die verordnete Blütensorte nicht lieferbar sein sollte. Hier ist eine Neuausstellung des BTM-Rezeptes nötig.
Es existieren also zahlreiche Fallstricke, mit denen bei der Belieferung mit diesen Rezepten gerechnet werden muss. Dass die Kassen selbst bei grundsätzlich vorliegender passender Vorerkrankung – also kein „Saufdruck“ – nicht dazu verpflichtet sind, diese zu bezahlen, zeigt ein weiterer Fall. Er wurde ebenfalls kürzlich, nämlich am 27. Januar 2022, vor dem Sozialgericht in Karlsruhe verhandelt.
Ein junger Mann mit einem chronischen Schmerzsyndrom, starken dauerhaften Schmerzen vor allem im Bereich des unteren Rückens mit Ausstrahlung in beide Beine, hatte zunächst vergeblich verschiedene verschriebene Schmerzmittel ausprobiert. Erst als der behandelnde Arzt ein Mundspray mit Cannabisextrakten verordnete, konnte der Patient eine deutliche Schmerzlinderung feststellen.
Die Kasse verwies jedoch darauf, dass ihrer Meinung nach noch nicht alle alternativen Therapien ausgeschöpft wurden, und lehnte eine Versorgung mit dem Mittel ab. Wie man hier deutlich sehen kann, ist es für die Rechtssicherheit der Apotheken sinnvoll, erst nach dem Vorliegen einer Kostenübernahmeerklärung die Bestellung und Abgabe zu veranlassen – selbst, wenn die Diagnose passt.
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