Muss ein bedauernswerter unterbezahlter Beruf angeführt werden, dann ist es stets die Krankenschwester. Ob Politiker, Gewerkschafter, Journalist. „…das kann sich eine einfache Krankenschwester nicht leisten“. Der Präsident der Landespflegekammer Rheinland-Pfalz bläst ins gleiche Horn. Und es ist nicht nur das Entgelt, welches zu knapp bemessen ist, sondern die Rahmenbedingungen im Allgemeinen lassen die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben kaum zu.
Ganz klar vorweg: Der Pflegeberuf fordert eine ganze Menge ab. Und auch das Entgelt darf durchaus etwas höher sein. Dennoch fehlen mir die positiven Aspekte, die wohl nur einer weiteren Kampagne, welche für den Beruf werben, vorbehalten sind. Es lohnt, genauer hinzuschauen, wo das herkommt.
Bemerkenswert ist, dass anderen Berufen so ein Negativimage weit weniger anhaftet. In der nahen Verwandtschaft der Pflege könnten z.B. die Medizinischen Fachangestellten verortet werden. Das Entgelt ist deutlich niedriger, die Arbeitszeiten sind – je nach Praxisorganisation – auch nicht attraktiver. Kontakt mit Ausscheidungen und anderen ekelerregenden Situationen mögen dort auch geringer sein. Dann passen noch die Physiotherapeuten in den Dunstkreis. Die tarifliche Eingruppierung ist auch dort niedriger. Sonn- und Feiertagsarbeit sind zwar die Ausnahme, bedeuten aber auch keine steuerfreien Zulagen. Mal ganz davon abgesehen mussten sie jahrelang ihre Ausbildung selbst finanzieren statt ein Ausbildungsgehalt zu beziehen, welches in der Pflege mit am höchsten ist. Bewegen wir uns weiter weg und bleiben im Sozialbereich. Erzieherinnen mögen ein etwas höheres Entgelt haben. Aber auch sie erhalten keine Ausbildungsvergütung. Um die rund 45.000 €, die eine Auszubildende in der Pflege auszugleichen vergehen schon ein paar viele Monate.
Interessant wird es beim Blick auf andere frauentypische Berufe. Friseurin, Floristen, Bäckereifachverkäuferin. Allesamt Berufe, die im Entgeltniveau deutlich niedriger liegen.
Nach dem Blick auf die Finanzen muss es doch eher an den Rahmenbedingungen liegen, die den Beruf so bedauernswert erscheinen lassen. Pflege muss 24/7 geleistet werden. Krankheit und Pflegebedürftigkeit lassen sich nicht nun mal nicht abstellen. Das bedeutet meist Schichtarbeit und Nachtdienste sowie Arbeit an Wochenenden. Ein Blick in die Industrie verrät, dass diese Belastung wirklich deutlich weniger honoriert wird. Die Kehrseite des Schichtdienstes darf allerdings auch nicht übergangen werden. Um 6:00 Uhr Frühschicht bis um 13:30 Uhr und anschließend Feierabend. Zeit für 5 Stunden ins Schwimmbad, eine ausgiebige Shoppingtour oder einem Hobby nachgehen. Ärgerlich ist die Tatsache, dass Personalausfall kompensiert werden muss. Aber das ist nun mal so im Dienstleistungsbereich, wo sich Arbeiten nicht schieben lassen. Was sicher zugenommen hat ist die Arbeitsverdichtung. Zu Beginn meiner Ausbildung zum examinierten Krankenpfleger im Jahre 1975 betrug die durchschnittliche Liegedauer etwas über 22 Tagen. Heute ist ein Bett im gleichen Zeitraum drei Mal belegt. Für den ambulanten Pflegedienst wollte ich genau mit dem Argument Personal gewinnen: Reservierte Zeiten für jeden Einsatz, die ausreichend bemessen sind, seine Arbeit ordentlich zu erledigen. Keine Störungen durch Visite, Besucher, die nach Blumenvasen fragen und der Ambulanz, die einen Zugang hat. Selbst Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeitsbelastung als sehr groß empfunden hatten ließen sich nicht überzeugen, dass es in der ambulanten Pflege ruhiger zugeht.
So wirklich scheinen die Rahmenbedingungen auch nicht das Elend der Pflegeberufe begründen zu können. Da muss es noch was geben, was der Pflege dieses Image verpasst hat. Eine Theorie ist die Historie. Über lange Jahre waren Ordensschwestern aus der Pflege nicht wegzudenken. Dank ihres Armutsgelübdes ging es nie ums Geld. Dass freie Pflegekräfte die Arbeit ausüben um ihre Familie zu ernähren und ihre privaten Ausgaben zu decken schien nie wirklich in den Herzen der Ordensleute angekommen zu sein. Noch in den 70iger Jahren des 20. Jahrhunderts waren sowohl Finanzen als auch Fragen der Arbeitsbelastung vom Gedanken des selbstlosen Dienens überlagert, zumal in den Schaltstellen meist auch Angehörige des Ordens wirkten. Eigentlich sollte nach 50 Jahren mal ein neuer geist wehen können.
Oder liegt der Hund nicht noch an anderer Stelle begraben? Ich meine, einen Faktor ausgemacht zu haben, der mitverantwortlich ist für das kollektive Jammern: Wir heilen nicht! Das erklärt für mich die Ruhe bei den Physio- und Ergotherapeuten sowie Logopäden. Mit ihrer Arbeit lindern sie Schmerzen, fördern Beweglichkeit, Verhelfen Fähigkeiten wieder zu erlangen. Die Ärte stehen sowieso über allem. Und die Pflege? Wenn es gut läuft, schützen wir Menschen vor Verschlechterung und Sekundärerkrankungen. Vornehmlich übernehmen wir die „körperbezogenen Verrichtungen2, wie der Terminus bei der Pflegeversicherung lautet, die jeder Mensch an sich selbst vornimmt, so denn er nicht daran gehindert ist. Das Selbstverständliche ist eben nichts Besonderes. Dabei stimmt es zumindest in der Klinik kaum noch, wo die Bürokratie mehr Zeit verschlingt als die „Grundpflege“.
Wäre diese Hypothese zutreffend würde es die kollektive Selbstverachtung wohl erklären können. Und wenn wir selbst keine Achtung vor unserem Beruf haben, brauchen wir sie nicht von Anderen zu erwarten. Bedauernswerte Geschöpfe, die knapp über Harzt IV-Niveau dahinsiechen.
Was wäre, wenn wir uns bewusst wären, eine hochprofessionelle Dienstleistung zu erbringen, die im Zusammenwirken mit anderen Berufsgruppen darauf abzielt, dass Menschen wieder ein lebenswertes Leben führen können – oder auch in Würde ihr Leben beenden können. Wir wären nicht Angehörige der „Kulissenschieber“, wie wir mal vom Ratsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery mal betitelt wurden. Vielleicht passt dazu auch auf die Aussage eines Patienten im Krankenhaus „Sie sind schon ein halber Arzt“ meine Antwort „ Ich bin ein ganzer Pfleger. Ich möchte auch nichts Halbes sein.“