Negative Gefühle einfach weglächeln: Dass das nicht gesund sein kann, liegt auf der Hand. Wie es um die Studienlage steht und wie man dem Phänomen entgegenwirken kann, erfahrt ihr hier.
Laut einer Metastudie (wir berichten) ist lachen tatsächlich gesund – es soll der mentalen und der physischen Verfassung helfen. Wenn man lacht und glücklich ist, hat man demnach entscheidende Vorteile. Aber nicht jeder Mensch kann immer glücklich sein – soll man negative Gefühle also einfach weglächeln?
Auch wenn das meist keine Empfehlung von Psychologen ist, hört man es heutzutage doch häufig. Nicht nur auf Social-Media-Seiten und von verschiedenen Life Coaches wird das Positiv-Denken glorifiziert. Im analogen Leben hört man auch immer öfter Sätze wie „Das wird schon.“ anstatt „Wie geht es dir damit?“. Negativen Gefühlen wird damit kein Raum gegeben. Dieses moderne Phänomen nennt man Toxic Positivity oder toxische Positivität – und die scheint laut aktuellen Studien einen großen Einfluss auf die mentale Gesundheit zu haben.
Der Psychologe Dr. Konstantin Lukin definierte den Begriff 2019 zum ersten Mal: „Toxische Positivität ist die Praxis, sich ständig als optimistisch darzustellen und gleichzeitig alles abzulehnen, was als negative Emotion wahrgenommen werden könnte.“ Dabei kommt es natürlich immer darauf an, in welchem Maß negative Emotionen abgelehnt werden. Ein gesundes Maß an Optimismus kann aber auch einen positiven Einfluss auf die Gesundheit haben. Wenn dieses allerdings überschritten wird und Emotionen unterdrückt werden, kann es zu verschiedenen Krankheiten oder eben zu toxischer Positivität kommen – besonders in der Corona-Pandemie war dieser Effekt deutlich zu spüren.
Eine aktuelle Studie aus den Philippinen untersucht den Einfluss der toxischen Positivität auf den Lebenssinn und die Umweltbewältigung von entlassenen Arbeitnehmern während der Pandemie. Dabei wurde ein Zusammenhang zwischen der toxischen Positivität und einem niedrigen Maß an Umweltbewältigung festgestellt. Wer also über längere Zeit dauerhaft nur positive Gedanken zulässt, kann eher daran scheitern alltägliche Probleme zu lösen, Hindernisse in Herausforderungen zu verwandeln und gegebene Möglichkeiten zu nutzen.
Das bestätigt eine weitere Studie, die die Rolle der toxischen Positivität auf die psychische Gesundheit von College-Studenten während der Corona-Pandemie untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass sich toxische Positivität negativ auf psychologische Aspekte wie Kognition, Emotion und Verhalten bei College-Studenten auswirkt. Der Einfluss auf den emotionalen Zustand war hier besonders hoch. Die Befragten gaben an, ihre negativen Emotionen nicht teilen zu wollen, weil ihr soziales Umfeld diese abtun würde und sie sich durch das Nutzen der sozialen Medien für ihre negativen Gefühle schämten. Außerdem gaben einige Befragte an, unmotiviert ihrem akademischen Werdegang gegenüber zu sein.
Die Studienautorin Kathleen Quinto schreibt: „Die Pandemie hat uns beigebracht, uns zu isolieren und Dinge auszuhalten. Dadurch haben viele mitgenommen ihre Probleme still zu ertragen, ihren Schmerz zu unterdrücken und Emotionen in sich aufzustauen. Damit wird Positivität zu einer Entwertung von Gefühlen, was entmutigen und verletzen kann.“
Trotz der klaren Ergebnisse, sind beide Studien mit Einschränkungen zu sehen. Es müssten Studien mit größerer Teilnehmerzahl aus verschiedenen Regionen der Welt durchgeführt werden. Nichtsdestotrotz handelt es sich um wichtige Grundlangenstudien um die Gefahr, die durch übermäßige Positivität entsteht, nicht zu unterschätzen.
Aber wie genau kommt es dazu, dass Menschen ihre ehrlichen Gefühle so strikt verbergen? Das Ganze entsteht laut Quintos Studie durch verschiedene psychosoziale Faktoren – in den meisten Fällen aufgrund externer Faktoren. Genauer gesagt: Durch soziale Gruppen wie Freunde, Familie und Kommilitonen, aber auch durch Social Media.
Eine aktuelle australische Studie hat das beispielhaft auf zwei Facebookseiten, die sich für die Aufklärung über Endometriose einsetzen, untersucht. Die Studie ergab, dass die Konversation auf der Social-Media-Plattform von den an Endometriose Erkrankten oft als bevormundend oder herablassend empfunden werden kann. Zum Beispiel wurden Personen als „Herrscher über ihren eigenen Körper“ dargestellt. Damit gibt man die Verantwortung für Erkrankungen oder Unglück an die Betroffenen ab, wodurch Schuldgefühle entstehen können. Das resultiert häufig darin, dass man das jeweilige Problem unterdrückt und krampfhaft versucht einfach glücklich zu sein. Ein Beispiel für eine toxisch positive Äußerung auf einer der untersuchten Seiten wäre: „So zu tun, als sei man glücklich, wenn man Schmerzen hat, ist das beste Beispiel dafür, wie stark man als Mensch ist.“
Für Psychologen, Psychotherapeuten, Psychiater aber auch für jeden ganz privat, ist es wichtig, dieses aktuelle gesellschaftliche Phänomen im Hinterkopf zu behalten. Toxische Positivität kann nämlich, laut der aktuellen Erkenntnisse, eine Grundlage für die Verdrängung wichtiger Emotionen bilden.
Bildquelle: Shubham Dhage, unsplash