Ein makelloses Lächeln – viele Patienten sind bereit, dafür ihre Gesundheit zu riskieren. Veneers und Kronen zu rein optischen Zwecken sind teuer, invasiv und ruinieren die Zähne. Was Ärzte tun können.
Besonders junge Menschen verfallen häufig dem Perfektionswahn. So sieht man in den Medien nicht nur die perfekten Körper, die perfekten Nasen und die perfekten Lippen, sondern auch das perfekte Lächeln. Hauptsache strahlend weiß, das scheint das Nonplusultra zu sein. Ob die Zähne gesund sind, ob der Aufbiss korrekt und das Zahnfleisch intakt sind, das ist dabei oft nur Nebensache. Ein besonders besorgniserregender Trend: invasive Eingriffe bei absolut gesunden Zähnen, nur zu optischen Zwecken – alles für das unwiderstehliche Zahnpastalächeln.
Die Steigerung der Beliebtheit kosmetischer Zahnkorrekturen ist schwer zu messen und von vielen Faktoren abhängig. „Ob man als Zahnarzt viele Berührungspunkte mit Klienten hat, die eine rein ästhetische Zahnbehandlung wollen, hängt wahrscheinlich sehr vom Praxisschwerpunkt ab“, erklärt Zahnarzt Dr. Carsten Sonnenburg im Gespräch mit DocCheck News. „Es fällt allerdings auf, dass sich das Klientel ändert. Natürlich gibt es den Trend hin zu kosmetischen Eingriffen – das hat sich über die letzten Jahre sicherlich auch gesteigert.“
Eine neuseeländische Studie beschäftigte sich mit dem wachsenden Interesse der angebotenen ästhetischen Zahnbehandlungen in Verbindung mit dem Einfluss einschlägiger Medien auf die Entscheidung der Patienten. Die befragten Zahnmediziner nahmen dabei einen relevanten Anstieg in der Nachfrage nach Zahnaufhellungen und Veneers wahr. Sie verweisen dabei auf den Einfluss populärer Medien auf die zunehmende Beliebtheit ästhetischer zahnmedizinischer Eingriffe.
Eine weitere Studie unter der Leitung von Prof. Nesreen Salim untersuchte den Einfluss von Twitter auf die kosmetische Zahnmedizin. Ziel der Studie war es, den Inhalt von Tweets mit Bezug zur ästhetischen Zahnheilkunde zu analysieren und zu untersuchen, wie Twitter die Wahrnehmung von und die Nachfrage nach ästhetischer Zahnheilkunde beeinflusst. Es wurden über 54.000 themenrelevante Tweets gefiltert und analysiert. Bei 43,2 % der Tweets ging es um das Thema Veneers, bei 13,3 % um Zahnaufhellungen. Beide Themen waren überwiegend negativ behaftet – mit 68,03 % bzw. 43,44 % der jeweiligen Tweets, verglichen zu 6,26 % und 4,3 % positiven Berichten.
Veneers stechen aber nicht nur auf Twitter als beliebte Prozedur hervor. Das große Problem daran: Oft wird der Begriff fälschlich für die deutliche invasiveren Zahnkronen verwendet. Vor allem junge Patienten nehmen für das perfekte Lächeln schwere und nicht reversible Zahnschäden auf sich.
Zahnärzte berichten von immer beliebteren, schädlichen Zahntrends. So sollen immer mehr junge Patienten ihre eigenen Zähne mit Hilfe von beispielsweise Nagelfeilen in Form schleifen. Ein weitaus zerstörerischer Trend seien aber die sogenannten „Shark Teeth“, also Haifischzähne. Bei dieser Prozedur lassen sich die Patienten ihre Zähne zu kleinen Stummeln schleifen, um sie anschließend überkronen zu lassen.
„In Deutschland werden diese stark invasiven Behandlungen – wie beispielsweise ein Überkronen des kompletten Gebisses zu rein ästhetischen Zwecken – oft auch gar nicht durchgeführt. Das kann für einen Zahnarzt zwar sehr lukrativ sein, ist aber für den rein ästhetischen Effekt, ohne weitere zahnärztliche Indikation, im eigentlichen Sinne Körperverletzung“, erklärt Dr. Sonnenburg. „Zudem entspricht die Behandlung nicht den Geboten der ausreichend zweckmäßig, wirtschaftlichen Versorgung der Krankenkassen und ist damit im privaten Versorgungsrahmen auch mit erheblichen Kosten verbunden“, ergänzt er.
Deswegen zieht es viele Patienten ins Ausland, um sich ihre Zähne zum vermeintlichen Schnäppchenpreis machen lassen. Damit einher gehen allerdings oft schweren Folgen. „Wenn man mit so einem Anliegen ins Ausland geht, bringt man meistens auch nicht sehr viel Zeit für die Behandlung mit – die braucht es aber für die Entscheidungsfindung und eine gute Beratung. Gerade der Klassiker ‚günstig, schnell und ohne viel Gerede‘ ist eigentlich zum Scheitern verurteilt“, so Sonnenburg. Neben den schweren Komplikationen, die immer auftreten können, käme es häufig auch zu Schwierigkeiten bei Regressionsansprüchen oder Garantien.
Es gibt auch Patienten, die ihre eigene Zahnheilkunde betreiben. So können beispielweise beliebte Service von Anbietern, bei denen man sich online Zahnschienen nach hausgemachten Abdrücken fertigen lässt, schnell nach hinten losgehen. Ebenfalls beliebt: Bleaching – ganz einfach und schnell zu Hause. „Eine Operkulektomie, ein Diastema-Verschluss mit kleinen Gummibändern, das Trimmen eines kieferorthopädischen Drahtes mit einer Zange und die Verwendung einer Nagelfeile zum Abflachen der Frontzähne. Das sind nur einige der vielen Videos, in denen ‚schnelle Lösungen‘ von Menschen gezeigt werden, die definitiv keine zahnärztliche Schule besucht haben“, erzählt Claire Dewshi im British Dental Journal.
Viele Patienten sehen die vermeintlichen Tipps online und denken, sie hätten eine simple Lösung zur Hand. Nur steht die Zahngesundheit im Normalfall nicht im Mittelpunkt solcher Videos. Dr. Sonnenburg erklärt: „Diese Experimente oder auch Eingriffe im Ausland müssen häufig korrigiert werden. Das große Problem dabei: Man kennt die Ausgangssituation nicht und kann nicht immer nachvollziehen, was genau gemacht wurde. Dann wird der Korrektureingriff zum erheblichen Aufwand. Schienen, provisorischer Zahnersatz, Rekonstruktion – alles nur, um ein Problem zu beheben, dass sinnlos künstlich geschaffen wurde.“
Die steigende Beliebtheit der kosmetischen Zahnmedizin wird in den nächsten Jahren nicht weniger werden. In einem Statement der UK Specialist Dental Societies wird darauf hingewiesen, dass Zahnmediziner ihre Patienten über die erheblichen Risiken invasiver kosmetischer Verfahren – wie beispielsweise Veneers und Kronen – aufklären sollten. „Die Patienten müssen angemessen darüber informiert werden, dass die elektive Entfernung von gesundem Zahnschmelz und Dentin langfristig zu Verletzungen der Pulpa und einer schlechteren parodontalen Gesundheit führen kann, insbesondere wenn sie jung sind“, heißt es im Statement.
Stattdessen sollten den Patienten weniger invasive Methoden mit optisch ähnlichen Ergebnissen empfohlen werden – lautet der Vorschlag der UK Specialist Dental Societies. Es sei heutzutage nicht gerechtfertigt, nicht das ganze Maß an Möglichkeiten auszuschöpfen, um ein Ergebnis zu erzielen, mit dem der Patient zufrieden ist, ohne nennenswerten Schaden erlitten zu haben.
Dem Patienten soll im Idealfall die gesamte Palette moderner Zahnheilkunde angeboten werden. Die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte haben gerade für die ästhetische Zahnheilkunde mit minimal- bis sogar noninvasiven Verfahren das Behandlungsspektrum stark erweitert. So kann man mit einer Kombination aus kieferorthopädischen Schienen, Bleaching und Kompositaufbauten viele ästhetische Wünsche, bei guter Planung ohne nennenswerte Körperverletzung und mit teilweise sogar medizinischer Verbesserung, erfüllen. Auch hochästhetische, klebbare Keramiken können im Sinne von Non-prep Veneers oder, wenn nötig, als klassisches Veneer zum Einsatz kommen und den ästhetischen Eindruck wesentlich verbessern.
„Wenn ich das nicht bieten kann, muss ich den Patienten abgeben. Wenn ein Patient mit der aktuellen Situation total unglücklich ist, muss das natürlich berücksichtigt werden. Wenn aber jemand vollkommen unnatürliche Vorstellungen hat, muss man den Fall auch mal ablehnen“, so Dr. Sonnenburg.
Zusätzlich zur Frage der medizinischen Relevanz, dem ästhetischen Erscheinungsbild sowie der Risiko- und Nutzenabwägung können unnötige invasive Eingriffe die Patienten nicht nur gesundheitlich, sondern auch finanziell belasten. Denn der Zahnersatz hält häufig nicht ein Leben lang und Bedarf nicht selten einer Neuanfertigung oder Reparatur.
Unter idealen Bedingungen können Kronen auch lange halten – sie können aber auch nach weitaus kürzerer Zeit ersetzt werden müssen. Das ist zum einen abhängig von den Materialeigenschaften und dem Fertigungsprozess, andererseits von der korrekten Vorbereitung und Verarbeitung. „Gerade die zahnfarbenden Keramiken sind sehr harte und tendenziell eher spröde Werkstoffe. Hier kommt es nicht selten zu Chipping, bei dem Teile des Zahnersatzes unter zu hoher mechanischer Belastung abplatzen können“, erklärt Sonnenburg. „Ein großes Problemfeld ist auch der Bruxismus. Dabei kann zum einen der Zahnersatz beschädigt werden, es kann aber auch zu Veränderungen am Kiefergelenk kommen. So können funktionelle Beschwerden und Schmerzen beim Kauen oder Sprechen die Folge sein“.
Wenn also ein junger Patient Anfang 20 sich sein komplettes Gebiss unprofessionell und billig überkronen lässt, müssen die Zähne bei einer durchschnittlichen Lebenserwartung sicherlich drei- bis viermal ersetzt werden. Das ist nicht nur für die Zähne kaum tragbar – die bei jedem Satz neue Kronen wieder präpariert und weiter abgeschliffen werden müssen, sondern auch eine erhebliche finanzielle Belastung.
„Da sind wir dann sicherlich bei deutlich über 20.000 Euro ohne Vorbehandlungen mit Vollkeramik-Kronen – allerdings mit gesetzlichem Zuschuss. Komplett privat gezahlt ist das Prozedere dann wahrscheinlich sogar doppelt so teuer“, erläutert Sonnenburg. Veneers für die vorderen Schneidezähne als Alternative zum komplett überkronten Gebiss wären zwar günstiger, müssten aber dennoch im Laufe eines Lebens mehrfach ersetzt werden.
„Es gibt auch extreme preisliche Unterschiede für dieselben Leistungen und so viele unterschiedliche Wege ans Ziel zu kommen, die alle ihre Berechtigung haben. In vielen Situationen sind gewisse Eingriffe sinnvoll, andere nicht. Das muss je nach Einzelfall und im Ermessen der Gesundheit und des Patienten entschieden werden“, schlussfolgert Sonnenburg.
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