Die bisher größte Studie zur IgA-Nephropathie bricht eine Lanze für Glukokortikoide. In Frühstadien bringen sich SGLT2-Inhibitoren in Stellung. Müssen die Nephrologen an ihre Leitlinie ran?
Unter den bekanntlich nicht wahnsinnig häufigen Glomerulonephritiden (GN) gilt die IgA-Nephropathie als die häufigste. Ihr Anteil an allen GN ist allerdings stark abhängig von der Weltregion, er liegt irgendwo zwischen 5 Prozent und bis zu 40 Prozent. Die IgA-Nephropathie ist eine Immunkomplex-GN, die in allen Altersstufen vorkommen kann. Der klinische Verlauf ist extrem variabel. Es gibt Patienten, die außer einer Mikrohämaturie oder einen dezenten Proteinurie keine Auffälligkeiten aufweisen. Die Nierenfunktion bleibt bei einem hohen Anteil der Patienten langfristig normal. Andere entwickeln eine langsam progrediente GN, die über 20 bis 25 Jahre zum dialysepflichtigen Nierenversagen führt. Einige wenige Patienten zeigen oder entwickeln eine rasch-progrediente Erkrankung. Generell werden jährliche nephrologische Verlaufsuntersuchungen empfohlen.
So relativ klar die Epidemiologie der GN ist, so wenig klar sind die therapeutischen Empfehlungen. Solide klinische Studien gibt es kaum, und große Studien bisher praktisch gar nicht. Entsprechend sind die Empfehlungen zum Vorgehen stark eminenzbasiert. Einen guten Überblick geben die im Jahr 2021 aktualisierten, internationalen KDIGO-Leitlinien zur GN. KDIGO erstellt für die einzelnen Unterindikationen der GN Top-Ten-Management-Tipps. Der entsprechende Algorithmus für die IgA-GN ist hier abrufbar.
Demnach gibt es bisher außer eGFR und Proteinurie keine validen diagnostischen Serum- oder Urinparameter. Als Faustregel wird empfohlen, von einem hohen Risiko für Krankheitsprogression auszugehen, wenn eine Proteinurie von mindestens 1 g pro Tag für mindestens drei Monate vorliegt. Dies trotz supportiver Therapie, die KDIGO als „Lebensstil plus RAS-Blockade“ definiert, sprich Blutdruck normalisieren, körperliche Bewegung, Natriumrestriktion und ACE-Hemmer/AT1-Blocker. Bei den Hochrisikopatienten wird es dann schwammig: Weiter abwarten ist eine Option. Glukokortikoide „könnten“ das Risiko eines terminalen Nierenversagen verringern. MMF „könnte“ als glukokortikoidsparende Therapie genutzt werden. Tonsillektomien „könnten“ helfen – in Japan wird das breit genutzt. Bei den wenigen mit rasch progredienter Erkrankung kommt gemäß KDIGO Cyclophosphamid ins Spiel. Die Therapie bewegt sich dann in Richtung jener bei ANCA-Vaskulitis.
Noch in keiner Leitlinie enthalten ist die in dieser Woche in der Zeitschrift JAMA publizierte TESTING-Studie – die bisher größte randomisierte Studie bei IgA-Nephritis überhaupt. Die Studie hat insgesamt 503 Patienten mit IgA-GN und hohem Progressionsrisiko randomisiert zu entweder Placebo oder oralem Methylprednisolon. Dabei wurde bis zu Patient 262 ein Schema genutzt, bei dem initial 0,6–0,8 mg/kg*d, maximal 48 mg/d, gegeben wurde, mit einem Weaning um 8 mg pro Tag und Monat. Unter diesem Schema gab es allerdings zu viele schwere Infektionen, sodass ab Patient 263 reduziert wurde auf initial 0,4 mg/kg*d, maximal 32 mg/d, mit einem Weaning um 4 mg pro Tag und Monat. Zusätzlich wurde in dieser zweiten Studienhälfte eine antibiotische Pneumocystis-Prophylaxe vorgenommen.
Primärer Endpunkt der Studie war ein Komposit aus 40 Prozent Abnahme der eGFR, terminalem Nierenversagen oder Tod aus renaler Ursache. Dies trat nach einem mittleren Follow-up-Zeitraum von 4,2 Jahren bei 28,8 % der Patienten in der Methylprednisolon-Gruppe auf, gegenüber 43,1 % in der Placebo-Gruppe. Das war statistisch hoch signifikant (HR 0,53; 95 % CI 0,39–0,72; p<0,001). In absoluten Zahlen wurde rund ein Ereignis pro 20 Patienten pro Jahr verhindert. Der unfreiwillige Dosiswechsel zur Halbzeit erlaubte natürlich den Vergleich der beiden Dosierungen. Es fand sich kein Hinweis darauf, dass die niedrige Dosis schlechter wirksam sein könnte. Es gab aber (erwartungsgemäß) große Unterschiede bei der Verträglichkeit: 22 der 28 schweren unerwünschten Wirkungen bei Methylprednisolon-Therapie traten in der Hochdosisgruppe auf.
Die TESTING-Studie ist deswegen ein Meilenstein, weil sie einen klinischen Endpunkt hatte und groß genug war, hier einen (deutlichen) Effekt zu zeigen. Bisher war in der STOP-IgAN Studie nur ein Proteinurie-Effekt der Glukokortikoid-Therapie nachgewiesen worden, wohl weil diese Studie mit 162 Teilnehmern zu klein gewesen war. Mit TESTING gibt es jetzt einen klaren Nachweis dahingehend, dass eine sechs- bis neunmonatige Methylprednisolon-Therapie bei der IgA-Nephritis mit hohem Risiko einen prognostischen Effekt hat. Für Kliniker ist das eine extrem hilfreiche Information.
Einfach ist es deswegen allerdings immer noch nicht mit der Therapie der IgA-Nephropathie. In einem begleitenden Editorial weist Professor Kirk N. Campbell von der Nephrologie der Icahn School of Medicine am Mount Sinai Krankenhaus in New York darauf hin, dass bei der IgA-Nephritis derzeit ohnehin einiges im Fluss ist. So ist weiterhin die Frage, ob sich das „hohe Progressionsrisiko“ nicht etwas trennschärfer fassen lässt als nur über die Proteinurie. Es gibt zum Beispiel Hinweise, dass bestimmte Biopsiebefunde – aktive, zelluläre oder fibrozelluläre Halbmonde in den Glomeruli – vielleicht besser mit hohem Risiko korrelieren. Auch könnten sie möglicherweise prädiktiv für die Effektivität immunsuppressiver Therapien sein – was natürlich alles in Studien untersucht werden muss, die teilweise bereits laufen.
Die zweite große Baustelle bei der IgA-GN Therapie ist neben der Behandlung von Hochrisikopatienten die supportive (Früh-)Therapie. Hier sind zum einen gezielte Glukokortikoid-Formulierungen im Rennen, insbesondere eine Budesonid-Formulierung, die relativ spezifisch die IgA-Produktion in der intestinalen Mukosa reduziert und sich damit quasi am Substrat der IgA-GN abarbeitet. Auch B-Zell-Therapien und Komplementfaktor-Therapien werden in diversen Studien (und unterschiedlichen Erkrankungsstadien) evaluiert.
Und dann gibt es natürlich auch noch die neue universelle Wunderwaffe, die SGLT2-Inhibitoren. Mit Dapagliflozin hat vor Kurzem der erste SGLT2-Inhibitor auf Basis der DAPA-CKD-Studie eine spezifische Zulassung für chronische Niereninsuffizienz erhalten: Der primäre Endpunkt, eine mindestens 50 %ige Abnahme der eGFR oder dialysepflichtige Niereninsuffizienz oder kardiorenaler Tod wurde um 39 % reduziert, bei einer Number-needed-to-treat für 2,4 Jahre Therapie von 19. Im Kontext der IgA-Nephropathie ist das deswegen spannend, weil die Subgruppe der IgA-GN Patienten in der DAPA-CKD-Studie eine relative Risikoreduktion von über 70 % zeigte. Man kann es drehen und wenden, wie man will: Bei der IgA-Nephropathie ist therapeutische Musik drin. Die KDIGO-Leitlinie von letztem Jahr bleibt in punkto IgA-GN nicht mehr lange aktuell.
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