Kinder mit angeborener Muskelschwäche sind schwer eingeschränkt und lernen oft nie das Laufen. Bisher gab es keine Chance auf Heilung, doch Forscher stellen nun erstmals einen Therapieansatz vor.
Sie habe eines der betroffenen Kinder im Alter von sechs Monaten gesehen, erinnert sich Prof. Susan Treves. Der Junge wirkte wie ein Neugeborenes. Heute, mehrere Jahre später, kann er dank intensiver Physiotherapie zumindest sitzen. „Er hat es geschafft“, so die Forscherin. Heilung gibt es bisher nicht für Kinder wie diesen Jungen. In erster Linie geht es ums Überleben. Ein anderes Kind mit Mutationen im gleichen Gen hat nicht überlebt. Seine Genveränderungen bildeten aber die Grundlage für einen Therapieansatz, den die Forschungsgruppe um Prof. Susan Treves und Prof. Francesco Zorzato im Fachjournal eLife vorstellen.
Das betroffene Gen enthält den Bauplan für einen Calciumkanal namens RYR1 in der Skelettmuskulatur. Die Mutationen machen das Gen jedoch unbrauchbar, was schwere Folgen für die Muskeln hat. Die Genveränderungen haben die Forscher als Vorlage genutzt, um ein Mausmodell für diese Art angeborener Muskelschwäche zu entwickeln. „Die Mäuse sterben nicht, aber ihre Muskulatur ist stark beeinträchtigt“, so Treves. „Sie sind kleiner und bewegen sich viel weniger“. Mit einer Kombination aus zwei Medikamenten konnte das Forschungsteam den Zustand der Mäuse jedoch erheblich verbessern.
Basis der Therapie ist die Beobachtung, dass in der Skelettmuskulatur der Betroffenen bestimmte Enzyme in zu großer Menge produziert werden. Diese Histondeacetylasen und DNA-Methyltransferasen verändern den Verpackungsgrad des Erbguts. Dadurch werden Gene unzugänglicher für jene Zellmaschinerie, die sie abliest und in Anleitungen für die Proteinproduktion übersetzt.
Die Wissenschaftler nutzten Hemmstoffe gegen diese Enzyme, die als Medikamente gegen Krebserkrankungen bereits zugelassen sind oder in klinischen Studien getestet werden. Dank der Behandlung verbesserte sich die Bewegungsfähigkeit der Mäuse deutlich. Kleiner als die gesunden Tiere aus dem gleichen Wurf blieben sie aber trotzdem. Unerwünschte Nebeneffekte beobachteten die Forscher während des Studienzeitraums nicht.
Von einer klinisch einsetzbaren Therapie sei der Ansatz noch weit entfernt, sagt Treves. „Aber es ist überhaupt mal ein erster Schritt in diese Richtung“. In einem nächsten Schritt wollen die Forscher die Behandlung weiter optimieren und Kombinationen mit weiteren Wirkstoffen prüfen, um noch bessere Effekte zu erzielen. „Wir rechnen noch mit etwa zwei Jahren an Optimierung und Tests, bevor wir eine klinische Phase-I-Studie anstoßen können“, so Treves.
Für die Wissenschaftler bedeuten diese ersten vielversprechenden Ergebnisse einen Etappensieg nach über zehn Jahren Forschung. Zumal Zorzato derjenige war, der das bei diesen Muskelerkrankungen betroffene Gen vor Jahren erstmals isoliert hatte. „Wir haben damit den Bogen geschlagen von der Isolation des betroffenen Gens bis hin zu einem Therapieansatz“, ergänzt Treves.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Basel. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: camilo jimenez, unsplash