Als Tierärztin begegnen mir auf dem Hundeplatz stets die neuesten Fütterungs-Diskussionen. Diesmal: Ohne Getreide im Futter würden Hunde herzkrank. Hier ist ausnahmsweise was dran – aber ganz so einfach ist es nicht.
Panik auf dem Hundeplatz. Schon als meine Boxertrine und ich ankommen, ist eine lebhafte Diskussion im Gange: „Ich gebe meinem Hund IMMER Getreide mit ins Futter, denn ohne Getreide wird ein Hund herzkrank!“ Diese Aussage versetzt natürlich wiederum die „Mein-Hund-hat-eine-Glutenunverträglichkeit Fraktion“ in helle Aufregung. Und wer wäre da nicht geeigneter als die Feld-Wald-und-Wiesentierärztin des Vertrauens, um die Sachlage zu klären? Yey – eigentlich war heute Hundesport. Das fällt dann wohl aus. Also, worum geht es hier eigentlich?
Fido, Frau Krügers Cocker Spaniel, hatte einen Termin zur Kardiosonografie, da bei ihm Auffälligkeiten im EKG festgestellt worden waren. Der Kardiologe sprach die Diagnose okkulte dilatative Kardiomyopathie (DCM) aus. Er empfahl Frau Krüger, von der bisher gefütterten getreidefreien Kost abzuweichen und dem Futter in Zukunft Weizenflocken zuzufügen, da eine getreidefreie Ernährung DCM auslösen könne. Aha …
Nun bin ich, wie gesagt, nur Feld-Wald-und-Wiesentierärztin und ein ausgebildeter Veterinärkardiologe wird ja wohl schon wissen, was er sagt. So ganz glauben konnte ich aber trotzdem nicht, dass – bei aller erfolgter Domestikationsfolgen – Getreide nun ein essenzieller Nahrungsbestandteil für den Hund sein soll. Was steckt also dahinter?
Normalerweise sind von der dilatativen Kardiomyopathie in erster Linie Vertreter bestimmter Hunderassen betroffen; sehr häufig der Dobermann, aber auch Doggen, Irische Wolfshunde und Boxer.
Seit Anfang der 2000er Jahre fielen vermehrt Fälle von DCM bei Hunden auf, die keiner dieser Rassen angehörten. Bei Untersuchung der Gemeinsamkeiten dieser Fälle stach ins Auge, dass fast alle dieser Hunde mit „Boutique Food“ ernährt wurden. Dabei handelt es sich um Futter mit einer von den Standardvarianten abweichenden Zusammensetzung; die meisten davon zeichneten sich durch einen Verzicht auf Getreide und gleichzeitig einen hohen Anteil an Leguminosen (Erbsen, Linsen) aus. Die Futtermittel waren zugelassen und enthielten laut Packungsbeilage die für den jeweiligen Hund erforderlichen Nährstoffmengen in der richtigen Zusammensetzung und der Body-Kondition- Score der Tiere war jeweils gut. Von einer offensichtlichen Unterernährung konnte also nicht ausgegangen werden.
Zunächst wurde angenommen, dass das fehlende Getreide der Auslöser der DCM sei, denn wenn man den betreffenden Hunden ein Standardfutter mit Getreide verabreichte, besserten sich die Symptome erheblich.
Wenn man näher hinsieht, ist es aber nun doch nicht ganz so einfach. In entsprechenden Fütterungsversuchen hat man dem Futter nicht einfach Getreide zugegeben, sondern in den meisten Fällen gleichzeitig Taurin supplementiert und den Anteil der Hülsenfrüchte reduziert. Dazu kommt, dass einige Hunde nach Umstellung auf ein anderes, getreidefreies Futter eine Verbesserung der Symptome zeigten. Möglich ist demnach unter anderem auch ein überdurchschnittlich hoher Anteil an Leguminosen im Futter. Diese werden zugesetzt, um trotz der Getreidefreiheit eine balancierte Nährstoffzusammensetzung im Futter zu erreichen.
In einer 30 Tage umfassenden Studie wurden Hunde der Rasse Labrador Retriever mit einem getreidefreien, leguminosenreichem Futter ernährt und an Tag 1, 14 und 30 Blutproben entnommen. Die hier auftretenden Veränderungen wurden mit den Blutparametern von Hunden verglichen, bei denen eine DCM nachgewiesen war. Nach Fütterung des oben beschriebenen Futters veränderten sich einige Laborparameter signifikant. So waren die Anzahl der Erythrozyten erniedrigt, es entwickelte sich eine Hyperphosphatämie und der Tauringehalt im Urin sank um bis zu 78%. Ähnliche Veränderungen der Laborwerte wurden auch bei an DCM erkrankten Hunden gesehen. Das getreidefreie Futter entsprach in seiner Nährstoffzusammensetzung der eines konventionellen Futters, eine direkte Unterversorgung war deshalb unwahrscheinlich.
Diskutiert werden in der Studie als Ursachen für die veränderten Laborparameter verschiedene Hypothesen, wie z.B. das Vorhandensein von Faktoren, die die Verdaulichkeit der einzelnen Nahrungsbestandteile beeinflussen. Möglich sogar, dass der erhöhte Rohfaseranteil in Leguminosen die Gallesekretion beeinflusst, was sich wiederum auf den Taurinhaushalt auswirkt.
Hier liegt für mich persönlich der Knackpunkt der Studie: Labrador Retriever sind genetisch prädisponiert, einen taurinmangelbasierten DCM zu entwickeln. Möglicherweise gibt es Auswirkungen auf die Verfügbarkeit von Taurin, die zwar für den Labrador, nicht aber für alle anderen Hunde relevant sind? Ermittelt werden konnten die genauen Ursachen für die Veränderung der Laborparameter in dieser Studie nicht, auch die Auswirkung auf die tatsächliche Entwicklung einer DCM blieben unbekannt. Es wird ganz klar darauf hingewiesen, dass hier noch weitere Untersuchungen notwendig sind.
Dr. Lisa Freeman und Mitarbeiter fassen in einem Fachartikel die über einige Jahre in verschiedenen Studien ermittelten Kenntnisse noch einmal zusammen:
Ab den 2000er Jahren hat der Anteil der mit DCM diagnostizierten Hunde, bei denen eine fütterungsbedingte Ursache vermutet wird, auf 16 % zugenommen. Schon Mitte der 90er Jahre wurden mehrere Rassen (u.a. Golden Retriever) ermittelt, die genetisch anfälliger für einen Taurinmangel sind. Die Zahl der Hunde mit (vermutet) fütterungsbedingter DCM blieb jedoch bis in die frühen 2000er Jahre stabil, um danach deutlich anzusteigen; auch bei Rassen, die bisher als unempfänglich für DCM galten. Die meisten der betroffenen Hunde erhielten eine vom Standard abweichende Diät und sehr viele profitierten von einer Ernährungsumstellung und Taurinsupplementation, obwohl bei vielen der Taurinspiegel in der Norm war.
Offenbar gibt es drei Gruppen von DCM Patienten: Solche mit futtermittelunabhängiger DCM. Daneben welche, die einen (okkulten) Taurinmangel aufweisen und dann noch die, bei denen eine bisher unbekannte Abhängigkeit zur Fütterung besteht.
Futtermittel für Tiere unterliegen strengen Richtlinien, was die Zusammensetzung angeht. Was jedoch oft nicht getestet wird ist, wie die einzelnen Nahrungsbestandteile miteinander interagieren und wie die tatsächliche Verdaulichkeit der Einzelbestandteile ist. Dies gilt insbesondere für exotische Zutaten, da fehlen sehr oft Erfahrungswerte. Neben Taurin können hier auch andere wichtige Komponenten betroffen sein (Carnitin, Vitamin E u.a.). Hier sind sicher noch viele Untersuchungen nötig, da sich einige Hunde jedoch nach einem Wechsel von einer getreidefreien Diät auf eine andere getreidefreie besserten, ist der reine Getreidemangel als Ursache unzureichend plausibel. Auch entsprechende Fütterungsversuche fanden keine Hinweise darauf.
Der genaue Ablauf des Taurinstoffwechsels ist noch immer nicht umfassend verstanden. Gut möglich, dass es hier Einflüsse gibt, die wir noch nicht kennen. Offenbar kann es trotz (niedrig-)normalem Taurinspiegel bei einigen Hunden unter gewissen Umständen zu Mangelerscheinungen kommen. Dr. Freeman empfiehlt deshalb bei allen DCM diagnostizierten Hunden (auch okkulte Fälle) eine Taurinsupplementation von 250mg BID und einen Wechsel zu einem Futter eines langjährigen Futtermittelherstellers mit möglichst konventionellen Zutaten. Nach 3–6 Monaten sollte die Kardiosonografie wiederholt werden.
Wie ging es dann mit Fido weiter? Nun ja … Sein Kardiologe hält mich jetzt – mal auf gut Plattdeutsch – für einen Klookschieter.
Vermutlich hat er damit Recht.
Bildquelle: Jamie Street, unsplash