Erkrankungen der Mastzellen gehören zu den Orphan Diseases. Dagegen wird jetzt das Tierarzneimittel Masitinib getestet.
Mastzellen (MC) sind hoch differenzierte hämatopoetische Zellen myeloischen Ursprungs. Ihr auffälligstes morphologisches Merkmal sind sekretorische Granula mit starker Affinität zu basophilen Farbstoffen. Das Volumen der Zellen veranlasste Paul Ehrlich, in seiner Doktorarbeit den Namen Mastzelle (für „gut genährte Zelle“) zu prägen.
Aktivierte MC setzen starke Mediatoren wie Histamin frei, die pathologische Reaktionen in verschiedenen Organen hervorrufen und eine Vielzahl von Symptomen verursachen. Obwohl MC am besten für ihre Rolle bei Allergien und Anaphylaxie bekannt sind, wird angenommen, dass sie eine wichtige Aufgabe bei der Wundheilung, Angiogenese, Immuntoleranz, Abwehr von Krankheitserregern und der Funktion der Blut-Hirn-Schranke haben.
Der Begriff Mastozytose beschreibt eine heterogene Gruppe von Erkrankungen, die durch eine Ansammlung von klonalen (neoplastischen) Mastzellen in verschiedenen Organen gekennzeichnet ist. Die WHO klassifiziert die Erkrankung anhand histomorphologischer Kriterien, klinischer Parameter und Organbeteiligung in kutane Mastozytose, systemische Mastozytose (SM) und lokalisierte Mastzelltumoren.
Mastozytose kann Kinder und Erwachsene unabhängig vom Geschlecht betreffen. Auf eine Million Einwohner kommen pro Jahr weniger als 10 Neuerkrankungen. Etwa zwei Drittel sind Kinder, die zumeist an einer kutanen Mastozytose erkrankten.
Etwa 90 % der Patienten weisen eine Mutation im KIT-D816V-Gen auf, das für eine konstitutiv aktivierte Rezeptor-Tyrosinkinase kodiert, die die Pathogenese der Krankheit antreibt. Aktivierte MC setzen mehrere vasoaktive, proinflammatorische, chemotaktische und immunmodulatorische Mediatoren frei, die sowohl in Granulaten vorgelagert als auch de novo produziert werden.
Bisher wurde eine Vielzahl von Auslösern für die MC-Aktivierung beschrieben, zu denen unter anderem Cyclooxygenase-Inhibitoren gehören. COX-Hemmer umfassen traditionelle nichtsteroidale Antirheumatika Butylpyrazolidine, Essigsäurederivate und verwandte Substanzen, Oxicame, Propionsäurederivate, Fenamate und andere nicht anderweitig klassifizierte Arzneimittel. Auch COX-2-selektive NSAID (Coxibe) und Analgetika sowie Antipyretika wie Acetylsalicylsäure kommen in Frage.
Im Gegensatz dazu übt Paracetamol eine begrenzte hemmende Wirkung auf COX-1 aus, hat keine entzündungshemmende Wirkung und übt seine analgetische und fiebersenkende Wirkung durch die Hemmung von COX-2 im Zentralnervensystem aus.
Hautreaktionen umfassen Juckreiz, extreme Hitzewallungen unter emotionaler oder körperlicher Belastung, Urtikaria und Darier-Zeichen (Dermatographismus). Magen-Darm-Symptome sind Durchfall, Bauchschmerzen oder -krämpfe, Übelkeit oder Erbrechen oder Sodbrennen. Zu den kardiovaskulären Symptomen gehören Schwindel, Palpitationen, Anaphylaxie mit Hypotonie und Synkopen sowie Angioödem.
Viele Patienten haben Knochen- und Muskelschmerzen sowie neuropsychiatrische Störungen: Neuere Daten weisen darauf hin, dass Patienten mit Mastozytose eine deutlich geringere Lebensqualität haben und unter vermehrter Angst, Depression und anderen Symptomen wie Kopfschmerzen oder Müdigkeit leiden.
Bei der Mastozytose können auch kognitive Dysfunktionen auftreten. Diese korrelieren mit dem Vorhandensein von spindelförmigen Mastzellen im Knochenmark.
Die Therapie der systemischen Mastozytose erfolgt überwiegend symptomatisch. Im Vordergrund steht die Vermeidung von Nahrungsmitteln, Medikamenten und auch Situationen, die im Einzelfall erfahrungsgemäß zu einer Symptomatik durch Histaminausschüttung führen.
Antimediator-Medikamente umfassen sedierende H1-Antihistaminika (z. B. Diphenhydramin), nicht sedierende H1-Antihistaminika (z. B. Cetirizin, Loratadin), H2-Antihistaminika (z. B. Ranitidin), MC-Stabilisatoren wie Cromoglicinsäure oder Ketotifen, Leukotrien-Inhibitoren (z. B. Montelukast), Protonenpumpenhemmer, Kortikosteroide, nichtsteroidale Antirheumatika und monoklonale Anti-IgE-Antikörper (Omalizumab). Protonenpumpenhemmer sind nützlich für Patienten mit vorherrschenden gastrointestinalen Symptomen.
Viele der auf die Symptome gerichteten Medikamente, wie Antihistaminika, haben eine kurze pharmakodynamische Wirkung, was eine häufige Einnahme erforderlich macht, die die Adhärenz verringert. Während eine Mediator-gerichtete Therapie in den Anfangsphasen der Krankheit oft wirksam ist, nehmen die Symptome oft mit dem Fortschreiten der Krankheit zu.
Die neue Therapieoption Midostaurin ist ein Proteinkinase-Hemmer und erste zugelassene Therapie für drei Formen der fortgeschrittenen systemischen Mastozytose. Das Pharmakon gehört zur ersten Generation der FLT3-Inhibitoren, die diverse Rezeptor-Tyrosinkinasen hemmen, darunter die beiden Kinasen FLT3 und KIT. Es hemmt somit den FLT3-Rezeptor-abhängigen Signalweg und bringt den Zellzyklus zum Stillstand.
Leukämiezellen, die FLT3-ITD- oder TKD-mutierte Rezeptoren exprimieren oder FLT3-Wildtyp-Rezeptoren überexprimieren, werden in die Apoptose getrieben. Außerdem stört Midostaurin einen pathologischen KIT-Signalweg und verhindert Proliferation, Überleben und Histaminausschüttung von Mastzellen. Der Arzneistoff wirkt nicht sehr selektiv und hemmt weitere Rezeptor-Tyrosinkinasen wie PDGFR oder VEGFR2 sowie Mitglieder der Serin/Threonin-Kinasefamilie Proteinkinase C.
In einer multizentrischen einarmigen Phase-II-Studie erhielten 116 Patienten zweimal täglich 100 mg Midostaurin bis zur Progression der Erkrankung oder bis zu einer intolerablen Toxizität. 89 Patienten bildeten die primäre Wirksamkeitspopulation. Primärer Endpunkt war das Gesamtansprechen, das bei knapp 60 Prozent der 89 Patienten vorlag. Das mediane Gesamtüberleben lag bei 26,8 Monaten, variierte aber stark je nach Erkrankungstyp. Die Monotherapie reduzierte deutlich die Mastzellkonzentration im Rückenmark, den Tryptase-Spiegel im Serum und das Milzvolumen.
Die Wirksamkeit und Sicherheit von Midostaurin wurde außerdem im Rahmen der RATIFY-(Randomized AML trial In FLT3 in patients less than 60 years old-)Studie untersucht. Dabei handelt es sich um die größte Phase-III-Studie bei Patienten mit einer FLT3-Mutation. Aufgenommen wurden 717 Patienten. Sie erhielten Placebo-kontrolliert und randomisiert in einem doppelblinden Design zusätzlich zur Standard-Induktionschemotherapie mit Daunorubicin, Cytarabin und Midostaurin (50 mg zweimal täglich Tag 8 bis 21) oder Placebo.
Das mittlere Gesamtüberleben lag unter Midostaurin bei 74,7 Monaten im Vergleich zu 25,6 Monaten unter Placebo. Das entspricht einer Abnahme des Sterberisikos um relativ 22 %. Nach einer Beobachtung von vier Jahren betrug das Gesamtüberleben im Midostaurin-Arm 51,4 % im Vergleich zu 44,3 % im Placebo-Arm.
Anhand von Daten des Deutschen Registers für Erkrankungen der Eosinophilen und Mastzellen wurde in einer Studie von Lübke et al. die Wirksamkeit von Midostaurin und Cladribin bei Patienten mit fortgeschrittener systemischer Mastozytose verglichen. Midostaurin lieferte eine überlegene Wirksamkeit gegenüber Cladribin bei Patienten mit Masytozytose.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Mastozytose
Weitere Namen
Morbus Cznernim
Häufigkeit
1 /100.000
Gestörte Funktion
Histaminfreisetzung
Rot-braune Flecken
Starker Juckreiz
Bei der systemischen Form:
Hypotonie
Flush
Schock
Kognitive Störungen
Therapie
Antihistaminika
PPI
Kortikoide
Immunglobuline
Orphan Drug
Midostaurin (Rydapt®)
Typ-III-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor
In einer retrospektiven Studie von Singh et al. wurden Erfahrungen mit der Midostaurin-Therapie bei 33 konsekutiven Patienten (Durchschnittsalter 68 Jahre; 58 % Frauen) mit fortgeschrittener systemischer Mastozytose untersucht. Nach einer Nachbeobachtungszeit knapp 15 Monaten ab Beginn der Midostaurin-Therapie wurden 7 Todesfälle, 1 Leukämieprogression und 18 Behandlungsabbrüche dokumentiert. Die mediane Behandlungsdauer mit Midostaurin betrug 7,9 Monate. Die mediane Überlebenszeit war bei Midostaurin-Respondern mit 26,5 vs. 16 Monate länger.
In einer Studie von Pilikinton et al. wurde die Wirksamkeit von Avapritinib mit Midostaurin bei Patienten mit fortgeschrittener systemischer Mastozytose verglichen. Avapritinib verbesserte das Überleben, Ansprechen und die Krankheitslast im Vergleich zu Midostaurin.
Dass Medikamente aus der Humanmedizin für Tiere eingesetzt werden, ist üblich; umgekehrt ist es eher selten. Der selektive Tyrosinkinase-Inhibitor Masitinib ist bereits seit fast 15 Jahren in der Tiermedizin zur Therapie von Mastzelltumoren bei Hunden zugelassen. Mastzelltumore exprimieren den Rezeptor c-kit. Er ist Andockstelle für den sogenannten Stammzellfaktor, der im Knochenmark die Proliferation hämatopoetischer Stammzellen fördert. Beim Mastzelltumor ist c-kit ein Onkogen, das die Proliferation des Tumors fördert. Masitinib hemmt die Weiterleitung dieser Wachstumssignale. Bei Hunden führt dies zu einem Wachstumsstillstand des Mastzelltumors.
In der Humanmedizin wird seine Wirksamkeit bei verschiedenen Indikationen geprüft. Vor allem in den therapeutischen Gebieten: Neurologie, inflammatorische Erkrankungen und Onkologie. So gibt es neben der Anwendung bei Mastozytose Studien bei ALS, MS, Alzheimer, schwerem Asthma, Prostata- und Pankreaskrebs.
In einer randomisierte, doppelblinden, placebokontrollierten Phase-3-Studie wurden Erwachsene (im Alter von 18–75 Jahren) mit indolenter systemischer Mastozytose eingeschlossen. Die 135 Teilnehmer wurden über 24 Wochen entweder mit Masitinib oder mit Placebo behandelt. In der Verum-Gruppe wurde der Endpunkt zu 18,7 Prozent erreicht. Im Placebo-Arm waren es nur 7,4 Prozent. Der Unterschied von 11,3 Prozentpunkten bedeutet, dass die behandelten Patienten eine vierfach erhöhte Chance auf ein Ansprechen hatten.
Impfungen können grundsätzlich eine anaphylaktische Reaktion auslösen und somit zu einer Degeneration von Mastzellen und einer Freisetzung von Histamin führen. Ob Patienten mit Mastozytose sich gegen COVID-19 impfen lassen sollen, wurde in mehreren Studien als risikoarm eingestuft. Eine Antihistaminika-Prämedikation sollte 30 oder 60 Minuten vor der Impfung bei Patienten mit Mastozytose mit hohem Anaphylaxierisiko verabreicht werden. In einer früheren Studie vertrugen zwei Patienten mit Mastozytose und Anaphylaxie in der Vorgeschichte den BioNTech-Impfstoff mit Prämedikation.
Das European Competence Network on Mastocytosis und die American Initiative in Mast Cell Diseases empfahlen die Verwendung von COVID-19-Impfstoffen bei Patienten mit Mastozytose, und bei der Bestimmung der individuellen Risiken der Patienten sollten Sicherheitsvorkehrungen, Prämedikation und Beobachtung nach der Impfung berücksichtigt werden. „Wir empfehlen daher weltweit den breiten Einsatz der COVID-19-Impfung bei Patienten mit Mastozytose“, so die Autoren der Studie.
Auch eine Studie von Tunkay et al. untersuchte die Verträglichkeit der Impfung bei Patienten mit Mastozytose. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die COVID-19-Impfstoffe sicher zu sein scheinen und Patienten dazu ermutigt werden sollten, sich impfen zu lassen“, heißt es darin. Einschränkungen dieser Studie sind hauptsächlich die kleine Stichprobengröße und dass die Patienten nur Biontech- und Sinovac-Impfstoffe erhalten hatten.
Obwohl bei bis zu 22 % der Patienten mit Mastozytose in der Vorgeschichte eine anaphylaktische Reaktion gegen andere Auslöser berichtet wurde, schienen COVID-19-Impfstoffe in der aktuellen Studienpopulation gut vertragen zu werden.
Bildquelle: Philippe Bout, unsplash