Ärzte diagnostizieren immer mehr Fälle von Affenpocken. Forscher versuchen jetzt herauszufinden, warum sich das Virus still und rasant ausbreitet. Erste Genomsequenzierungen sollen dabei helfen.
Anfang Mai meldeten Ärzte bei einem Reiserückkehrer aus Westafrika den ersten Fall von Affenpocken im Vereinigten Königreich. Viele weitere Infektionsfälle folgten – doch diese hatten gar keinen Bezug zu dem infizierten Reiserückkehrer vom 7. Mai (wir berichteten). Mittlerweile sind es schon fast 150 bestätigte Fälle von Affenpocken in nicht-endemischen Ländern. Allein in Deutschland gibt es bereits vier bestätigte Fälle (Stand: 22.05.2022); in Großbritannien, Spanien sowie Portugal sind es sogar über 20. Bisher gibt es keine Berichte über Todesfälle bedingt durch das Affenpockenvirus.
Die WHO spricht bei den Fällen ohne direkten Reisebezug zu einem Endemiegebiet von einem „höchst ungewöhnlichen Ereignis“. Dabei erwartet die Organisation, dass weitere Fälle in nicht-endemischen Gebieten gemeldet werden. „Aufgrund der vielfältigen Kontakte der derzeit Infizierten ist in Europa und auch in Deutschland mit weiteren Erkrankungen zu rechnen“, heißt es im Bericht des Gesundheitsausschusses des Bundestages, wie die Tagesschau berichtet. „Es handelt sich inzwischen um ein Geschehen mit internationaler Verbreitung.“
Die Ausbrüche bleiben weiterhin fragwürdig: Affenpocken treten hin und wieder auch in nicht-endemischen Gebieten auf, allerdings in wesentlich kleinerem Ausmaß. Die Fälle in der Vergangenheit hatten zudem einen Reisebezug zu endemischen Gebieten des Virus – für die aktuellen Fälle scheint das nicht der Fall zu sein. Die Frage bleibt also: Wie kommt es zu dieser drastischen Ausbreitung?
Das Virus wird in der Regel durch Tröpfchen, Kontakt mit infizierten Hautverletzungen oder kontaminierten Materialien übertragen (wir berichteten). Doch die zu Beginn im Vereinigten Königreich gemeldeten Fälle von Affenpocken hatten keinen bekannten Kontakt zueinander. Das Virus scheint sich asymptomatisch zu verbreiten, was bisher bei dem bekannten Virus nicht der Fall war.
Zwar treten die Fälle häufiger bei MSM auf, doch gilt die Erkrankung bisher auch nicht als gängige sexuell übertragbare Infektion. Eine weitere mögliche Erklärung für den rasanten Ausbruch wäre eine Aerosol-Übertragung: Eine Studie aus dem Jahr 2013 weist darauf hin, dass das Virus für etwa 90 Stunden in Aerosolen infektiös bleiben kann. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine Untersuchung unter Laborbedingungen. Dennoch liefert sie eine Grundlage für eine weitere Hypothese, wieso sich das Virus aktuell so rasant ausbreitet.
Forscher haben jetzt das Genom des Virus untersucht, um zu schauen, ob Mutationen aufgetreten sind, die eine erhöhte Übertragbarkeit erklären würden. Bisher wurden alle Fälle, die mithilfe von PCR bestätigt wurden, als westafrikanische Gruppe des Virus identifiziert, heißt es im WHO-Bericht. Dabei deute die Genomsequenz aus einer Abstrichprobe eines aktuell bestätigten Falls in Portugal auf eine enge Übereinstimmung des Affenpockenvirus mit exportierten Fällen aus Nigeria nach Großbritannien, Israel und Singapur in den Jahren 2018 und 2019 hin.
Mittlerweile gibt es erste Genomsequenzierungen von Fällen aus Portugal, Belgien und den USA. Die Ergebnisse aus Portugal und den Vereinigten Staaten sind dabei sehr ähnlich, wobei beide mit Nanopore-Sequenzierung erhoben wurden.
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Im Genom aus Portugal wurden im Vergleich zur Sequenz, die 2018 aus den Fällen aus Israel stammte, 40 Mutationen entdeckt. Insgesamt beinhaltet der Stammbaum 52 Sequenzen viraler Affenpocken. Allerdings ist das Genom noch nicht vollständig erfasst. Aktuell laufen weitere Sequenzierungen, um diese Daten mit höherer Abdeckung weiter zu vervollständigen.
US-Forscher haben nun das vollständige Genom aus einem Isolat von einem amerikanischen Fall von Affenpocken sequenziert. Die Wissenschaftler nutzten als Referenz eine Sequenz viraler Affenpocken von 2018 aus Großbritannien. Sie erfassten insgesamt 52 Nukleotid-Mutationen und 23 Aminosäure-Substitutionen.
Auch dieses Virusgenom wird der westafrikanischen Gruppe zugeordnet und ist damit vergleichbar mit dem sequenzierten Genom aus Portugal. Bei einigen der detektierten Mutationen könnte es sich noch um Sequenzierungsfehler handeln, bedingt durch die angewandte Methode. Da beide Genome durch die Nanopore-Sequenzierung gewonnen wurden, könnte das auch der Grund für die ähnlichen Ergebnisse sein. Zudem lässt sich eine erhöhte Übertragung durch die erfassten Mutationen bisher nicht erklären.
Ein weiterer Fall aus Belgien konnte bereits durch eine unvollständige Genomsequenzierung mit dem Ausbruch in Portugal in Verbindung gebracht werden. Auch die Forscher konnten das Virus der westafrikanischen Virusgruppe zuordnen. Dabei wies es ebenfalls eine enge Verwandtschaft mit den viralen Affenpocken aus dem Vereinigten Königreich in 2018 auf. In den bisher verfügbaren Daten scheinen diese Sequenzen nahezu identisch zu sein, jedoch könnte das auf die Unvollständigkeit des Genoms sowie Sequenzierungsfehler zurückzuführen sein.
Aktuell wurden in den Medien auch Bedenken hinsichtlich einer verstärkten Verbreitung des Affenpockenvirus bei großen Versammlungen geäußert. Laut WHO können diese zwar ein günstiges Umfeld für Übertragungen sein, doch sollten die allgemeinen Vorsichtsmaßnahmen, die auch gegen COVID-19 empfohlen werden, ebenfalls einen weitgehenden Schutz vor Ansteckungen bieten.
Letztendlich bleibt weiterhin unklar, inwiefern das aktuelle Affenpockenvirus evolviert ist und welcher Zusammenhang zu dem Ausbruch besteht. Denn genaue Übertragungsmechanismen des Affenpockenausbruchs müssen noch untersucht werden. Die vorliegenden und kommenden Sequenzierungsdaten können lediglich bei einer zukünftigen Einordnung behilflich sein.
Durch die systematische Erfassung und Isolation von diagnostizierten Infektionsfällen können Erkrankungen weiterhin registriert und eine Verbreitung verhindert werden. Ärzte und Labore sollten diese gemäß des Infektionsschutzgesetzes melden. Doch kein Grund zur Panik: Das RKI schätzt die Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland nach derzeitigen Erkenntnissen als gering ein. Auch das Gesundheitsministerium hat in seinem Bericht zur Risikoeinschätzung auf das Institut verwiesen.
Bildquelle: delfi de la Rua, unsplash