Habt ihr auch Patienten, die sich wegen der Affenpocken sorgen? Ihr wisst nicht genau, wie ihr Verdachtsfälle behandeln solltet? Wir haben die wichtigsten Infos für euch zusammengefasst.
Es mag vielen Menschen wie eine Rückblende ins Frühjahr 2020 vorkommen: Die Presse berichtet von weltweiten rätselhaften Häufungen einer viralen Infektionskrankheit. Die WHO rechnet mit weiteren Erkrankungen in Europa und in Deutschland. Doch die auftretenden Infektionen mit dem Affenpocken-Virus ist nicht mit der damals beginnenden Covid-Pandemie zu vergleichen. „Ich würde dies bereits als eine Epidemie bezeichnen, es ist jedoch sehr unwahrscheinlich, dass diese Epidemie lange dauern wird. Die Fälle über Kontaktverfolgung sind gut einzugrenzen und es gibt auch Medikamente und wirksame Impfstoffe, die gegebenenfalls eingesetzt werden können“, schätzt Prof. Fabian Leendertz vom Helmholtz-Institut für One Health (HIOH) in Greifswald die Lage ein.
Ärzte haben jetzt einmal mehr eine Schlüsselrolle inne: Sie sollten besorgte Patienten beruhigen, sachlich aufklären und trotzdem wachsam sein. Dr. Nazifa Qurishi ist Infektiologin und hatte in ihrer Praxis bereits zwei Verdachtsfälle. Auf Anfrage von DocCheck erklärt sie, wie sie vorgegangen ist und was es zu beachten gilt.
„Beide Patienten fielen durch Veränderungen auf der Haut auf. Zu erkennen war ein makulopapulöses Exanthem am Körperstamm (Dekolleté) und bei einem Patienten auch im Genitalbereich. Beide Männer kamen mit leichtem Juckreiz und hatten in der Nacht erhöhte Körpertemperatur. Ein Patient kam gerade aus Gran Canaria zurück (er hatte dort den CSD gefeiert), der andere hatte keine Auslandsanamnese“, berichtet die Ärztin. Für die Diagnostik können Bläschen und Krusten abgestrichen werden, die Diagnose wird in der Regel mittels PCR gestellt.
„Da die Bläschen auch juckten und zum Teil flächig aussahen, muss auch an Syphilis und Skabies im Rahmen der engen körperlichen Kontakte gedacht werden.“ Ihren Patienten habe sie geraten, bis zur endgültigen Diagnose das Haus nicht zu verlassen und enge Körperkontakte zu meiden. Erst gestern meldete das RKI, dass sich Infizierte für 21 Tage in Isolation begeben sollten, um das Virus erfolgreich einzudämmen. Auch sei es wichtig, Patienten darüber zu informieren, dass das Affenpockenvirus in der Lage ist, über lange Zeiträume (Tage bis Monate) auf Oberflächen oder Stoffen zu überleben. Betroffene, die mit anderen Personen zusammenleben, sollten, solange sie den Ausschlag haben, möglichst in einem Zimmer bleiben. Bettzeug und Haushaltsgegenstände sollten nicht mit anderen Personen geteilt und nach der Isolation gründlich desinfiziert werden. Eine Orientierungshilfe vom RKI, wie Ärzte mit Verdachtsfällen umgehen sollten, findet ihr hier.
Treten schwerwiegende Symptome auf, muss sich der Patient ggf. auch im Krankenhaus vorstellen. Besonders MSM sollte in der Praxis empfohlen werden, bei Hautausschlägen achtsam zu sein und beim Arzt vorstellig zu werden. Noch gibt es, zumindest in Dr. Qurishis Praxis in Köln, keine Empfehlung vom Gesundheitsamt. Momentan gelte die Empfehlung des Robert-Koch-Instituts, so berichtet die Ärztin am Montag.
„Die meisten von uns werden nie Affenpocken in der Praxis zu Gesicht bekommen, wir werden es aber als Differentialdiagnose in den nächsten Wochen in Erwägung ziehen müssen“, schreibt auch der Intensivmediziner M. Bota auf Twitter. Er postet eine kompakte Entscheidungshilfe für Praktiker, die bisher wenig mit Hautinfektionen zu tun hatten.
In den meisten Fällen dauere die Inkubationsphase zwischen 6 und 13 Tagen. Gefolgt werde diese von einer Fieberphase, die typischerweise 1–4 Tage anhalte. Hier können Fieber, Glieder- und Halsschmerzen, Fatigue und eine Lymphknotenschwellung auftreten. Die Lymphknotenschwellung sei ein gutes Unterscheidungsmerkmal zu Windpocken.
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Die danach folgende Rash-Phase sei, gerade zu Anfang, während der makulopapulösen Phase, schwierig von anderen Hauterscheinungen abzugrenzen. Hier müssten Ärzte genau hinsehen:
Wie sich Ärzte verhalten sollten, wenn sie einen Verdachtsfall in der Praxis haben, erklärt Infektiologin Dr. Qurishi: „Die Therapie der Affenpocken ist momentan rein symptomatisch. Der Hausarzt kann Kontakt zu seinem Labor aufnehmen, um zu erfragen, ob das Labor diese PCR Untersuchung bereits durchführt. Es wird dann mittels Trockentupfer ein Abstrich von den Bläschen oder Krusten entnommen und ins Labor geschickt“.
Prof. Gerd Sutter, Inhaber des Lehrstuhls für Virologie am Institut für Infektionsmedizin und Zoonosen der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) weist auch auf eine bereits in den USA zugelassene spezifische Therapie hin: „Es gibt die Therapiemöglichkeit mit einem zugelassenen Orthopockenvirus-spezifischen Medikament. Eine Schutzimpfung mit in Europa, Kanada und den USA zugelassenen Pockenschutzimpfstoffen ist ebenfalls möglich. Diese modernen Pockenschutzimpfstoffe beruhen auf dem sicherheitsgetesteten und in Säugetieren nicht vermehrungsfähigen Vaccinia-Virus MVA (Modifiziertes Vacciniavirus Ankara), das die gleichzeitige Anregung von wirksamen humoralen und zellulären Immunantworten ermöglicht. Bei der Prophylaxe zum Schutz gegen Orthopockenvirus-spezifische Erkrankungen kommt der zellulären Immunität eine besondere Bedeutung zu. Das MVA dient aufgrund seiner klinisch erprobten Sicherheit und der Fähigkeit zur Induktion schützender Virus-spezifischer T-Zellantworten aktuell auch zur Entwicklung von breit wirksamen Vektorimpfstoffen gegen andere neuauftretende Viruskrankheiten, wie zum Beispiel MERS oder COVID-19.“
In einem gestern veröffentlichten Paper im Fachjournal The Lancet berichten die Autoren von sieben Affenpocken-Fällen, die zwischen 2018 und 2021 im Vereinigten Königreich auftraten. Es handelte sich um die ersten Fälle einer Übertragung im Krankenhaus und in Haushalten außerhalb Afrikas. Die Forscher beobachteten, dass die Patienten auf zwei verschiedene antivirale Medikamente (Brincidofovir und Tecovirimat) ansprachen, wobei die Ergebnisse darauf hindeuten, dass v.a. Tecovirimat die Dauer der Symptome verkürzen und die Infektiosität reduzieren könnte. Alle Patienten der Studie erholten sich nach der Behandlung in Isolation in britischen Krankenhäusern.
Bisher traten Affenpocken zwar vereinzelt auch in nicht-endemischen Gebieten auf, eine derartige Häufung gab es aber in Europa bis dato nicht. Auch fehlt bei den aktuellen Fällen immer häufiger der Reisebezug zu endemischen Gebieten des Virus. Der Virologe aus München glaubt aber nicht an einen neuen rätselhaften Übertragungsweg: „Bei den aktuell in Europa beobachteten Fällen von Affenpocken handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit ebenfalls um ursprünglich aus Nigeria eingeschleppte Infektionen (Index-Fall in Großbritannien), die jetzt vermutlich in begrenzten Infektionsketten weiter von Mensch zu Mensch übertragen werden. Erste genetische Untersuchungen in Großbritannien identifizierten einen Virusstamm, der den in Westafrika auftretenden Affenpockenviren zugeordnet werden kann“(wir berichteten).
Aktuell scheint sich das Virus in Europa vor allem unter MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) zu verbreiten. Grund zur Sorge besteht für die breite Bevölkerung hierzulande bisher nicht: Das RKI schätzt hier die Gefährdung derzeit als gering ein und auch das ECDC (European Centre for Disease Prevention and Control) schreibt in seiner aktuellen Risikobewertung: „Das Gesamtrisiko wird für Personen mit mehreren Sexualpartnern (einschließlich einiger Gruppen von MSM) als mäßig und für die Allgemeinbevölkerung als gering eingeschätzt.“
Wie sich das ganze nun weiter entwickeln wird? Dr. Quirishi rechnet zunächst mit einer weiteren Zunahme der Fälle: „Ich denke wir werden noch mehr Fälle in der Praxis sehen – es breitet sich gerade in Köln aus. Wir haben von einigen Kollegen schon Rückmeldung bekommen, dass auch dort die ersten Verdachtsfälle angekommen sind.“ Bisher besteht aber laut den Fachleuten kein Grund, hier die nächste Epidemie oder gar Pandemie zu wittern. „Die Gefahr einer größeren Epidemie in Deutschland beziehungsweise Europa ist als gering einzuschätzen und auch die Möglichkeit eines Übertritts des Virus in Tierreservoirs in Europa erscheint unwahrscheinlich“, so Prof. Sutter.
Um die Situation hierzulande jedoch unter Kontrolle zu bekommen, ist eine Kontaktnachverfolgung bei bestätigten Fällen extrem wichtig. Eine essenzielle Aufgabe kommt somit wieder den Haus- und Fachärzten zu. Sie sollten Betroffene auf die nötige Isolation hinweisen und bestätigte Fälle an das Gesundheitsamt melden.
Bildquelle: Usman Yousaf, unsplash