Propofol wird in der Tiermedizin oft nach Gefühl, Erfahrung und Effekt dosiert. Über die ideale Applikation wissen die wenigsten Tierärzte Bescheid. Wie’s richtig geht, lest ihr hier.
Propofol ist ein Narkotikum, welches als Hypnotikum zur Narkoseeinleitung verwendet wird. Aufgrund seiner Pharmakokinetik ist es meistens in Form einer Lipidemulsion erhältlich und weist daher ein charakteristisches milchiges Aussehen auf.
Als kurz und rasch wirksames Injektionsnarkotikum führt es bereits 10 bis 20 Sekunden nach der Injektion zu einer mehrere (bis zu 10) Minuten andauernden Wirkung. Durch eine kontinuierliche Infusion (z. B. als Dauertropfinfusion) oder nach wiederholter Bolusapplikation kann der gewünschte Effekt auch länger aufrechterhalten werden.
Obwohl es bereits seit vielen Jahrzehnten eingesetzt wird, ist der genaue Wirkmechanismus noch nicht vollständig geklärt. Bisher konnten eine agonistische Aktivität an GABA-Rezeptoren sowie eine positive allosterische Modulation an Glycin-Rezeptoren nachgewiesen werden.
Propofol induziert eine Hypnose, reduziert den intrakraniellen und intraokulären Druck, ist antiemetisch, antioxidativ und appetitsteigernd. Abhängig von der Dosis zeigt es sowohl eine prokonvulsive (besonders bei der Narkoseeinleitung) als auch antikonvulsive Wirkung (Antiepileptikum der 3. Wahl).
Aufgrund der zentralnervösen Effekte wirkt es stark atemdepressiv, führt zu einer signifikanten Vasodilatation und Verminderung der Herzkontraktilität (negativ inotrop) und bewirkt dadurch eine starke Hypotension. Gelegentlich kommt es nach der Applikation auch zu spontanen Bewegungen, Opisthotonus, Vokalisation und Krampfanfällen – insbesondere bei unzureichender Prämedikation oder bei unruhiger Umgebung. Selten können auch Erbrechen, Exzitationen (Hund), Würgen sowie Lecken der Pfoten oder des Gesichts (Katzen) beobachtet werden. In subnarkotischen Dosierungen wirkt Propofol sedativ und auch anxiolytisch. Es muss beachtet werden, dass Propofol keine analgetische Wirkung hat.
Bei Katzen darf Propofol aufgrund der Metabolisation nicht als Dauertropfinfusion oder an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen verwendet werden. Bei diesen Tieren kann es dann zu einer oxidativen Schädigung der Erythrozyten und zur Bildung von Heinz-Körpern kommen. Anämische und hypovolämische Tiere sollten ebenfalls nicht mit Propofol behandelt werden. Auch sollte man es mit Vorsicht bei Patienten mit Herz-, Leber-, Nieren- oder Atemfunktionsstörungen einsetzen.
Bei einmaliger Applikation kann Propofol als Narkose bei kurzen Eingriffen oder für die Einleitung von Inhalationsnarkosen verwendet werden. Durch die Nachdosierung und die Möglichkeit zur Infusion kann es auch bei längeren Eingriffen genutzt werden. Eine Beatmung bzw. die Möglichkeit hierzu sollte wegen der atemdepressiven Wirkung immer bestehen.
Bei der Markteinführung von Propofol empfohlen die damaligen Anästhesie-Experten, dass initial die Hälfte der berechneten Dosis schnell appliziert werden solle. Auf diese Weise sollte die während der Narkoseinleitung auftretende Exzitationsphase rasch überbrückt werden. Die zweite Dosishälfte sei dann langsam zu verabreichen – abhängig von der Wirkung. Neuere Untersuchungen zeigen jedoch, dass die zu verwendende Dosis über 10 bis 40 Sekunden konstant injiziert werden soll. In der klinischen Praxis hingegen wird (häufig aufgrund von Zeitmangel) die gesamte Dosis meist als Bolus rasch appliziert.
Neue Studienergebnisse zeigen, dass die benötigte Dosis sowie die Länge der durch das Propofol induzierten Apnoe maßgeblich von der Injektionsgeschwindigkeit abhängt.
Nach Bigby et al. (2017) benötigen Hunde bei einer Propofolrate von 1 mg/kgKG/min für die Narkoseeinleitung eine deutlich geringere Gesamtdosis und hatten zudem seltener eine Apnoe als als Tiere, bei denen eine Rate von 4 mg/kgKG/min verwendet wurde. Aufgrund der geringeren Gesamtdosis (mg/kg) muss jedoch mit einer verlängerten Einleitungsphase gerechnet werden.
Die Arbeitsgruppe rund um Walters et al. (2022) versuchte nun in einer neuen Studie (Kriterien gemäß des CONSORT 2010 Statements für randomisierte Studien) jene Applikationsrate zu finden, die den besten Kompromiss zwischen Dauer der Einleitung, Möglichkeit der Intubation und dem Auftreten von Nebenwirkungen bietet.
In der Studie nahmen 60 Hunde (ASA 1, Alter im Mittel 22 Monate, durchschnittliche Körpermasse von 11,5 kg) teil. Die Tiere (zur elektiven Kastration oder Bildgebung einbestellt) wurden randomisiert fünf Gruppen zugeteilt. Alle Tiere wurden analog zur Studie von Bigby et al. prämediziert (0,5 mg/kg Methadon + 5 µg/kg Dexmedotomidin i. m.), sodass 30 Minuten später der Sedationsgrad bestimmt und die Einleitung begonnen werden konnte. Jeweils 12 Tiere erhielten dann Propofol in einer Rate von 0,5/1/2/3/4 mg/kg/min, wobei für jedes Tier eine Applikationsdosis von 6 mg/kg vorbereitet war. Nach entsprechender Relaxation wurde die Intubation durchgeführt.
Alle Tiere wurden anschließend mit Pulsoximetrie, nichtinvasiver Blutdruckmessung und Kapnographie überwacht. Gleichzeitig wurden die Zeitspanne bis zur erfolgreichen Intubation, dem Auftreten einer Apnoe sowie die Apnoedauer und die notwendige Dosis ermittelt und dokumentiert.
Während sich die Hunde hinsichtlich Alter, Körpermasse, Sedationsgrad, mittleren arteriellen Blutdrucks und notwendiger Dosis zwischen den beiden niedrigen Infusionsraten nicht unterschieden, konnte eine deutliche Diskrepanz zwischen den 1 mg/kg/min und den höheren Applikationsraten festgestellt werden. Bei den beiden niedrigeren Raten (0,5 und 1 mg/kg/min) kam es dabei zu einer signifikant kürzeren Apnoedauer (49 ± 39 bzw. 67 ± 37 Sekunden). Im Gegensatz dazu war die Dauer bis zur Einleitung (Zeit bis zur Intubation) bei der Rate von 1 mg/kg/min signifikant kürzer als bei einer Profolrate von 0,5 mg/kg/min (115 ± 10 vs. 201 ± 10).
Die fehlenden Unterschiede bei den höheren Infusionsraten erklären die Autoren unter anderem durch eine Überlastung des Transportsystems, die letztendlich eine Akkumulation von Propofol im Plasma verursacht, jedoch zu keiner höheren Konzentration am Wirkungsort im Gehirn führt.
Die Arbeitsgruppe rund um Walters et al. konnte somit aufzeigen, dass eine Rate von 1 mg/kg/min Propofol als idealer Kompromiss zwischen Einleitedauer und Nebenwirkungen angesehen werden kann. Offen bleibt jedoch, wie sich die Applikation von Propofol in kleinen Dosisbereichen (1 bis 1,5 mg/kg) auf die Narkoseeinleitung auswirkt. Ältere Studien zeigten auf, dass sich die Pharmakokinetik von Bolusinjektionen und Dauertropfinfusionen deutlich unterscheidet. Weitere Untersuchungen auf diesem Gebiet sind also noch ausständig, um die Frage nach der besten Applikationsart zu klären.
Jeder praktizierende Tierarzt weiß, dass der Alltag in der Praxis bzw. Klinik von Stress und Zeitnot geprägt ist. Während die Narkoseeinleitung des einen Tieres im vollen Gange ist, wird schon das nächste Tier auf die kommende Anästhesie vorbereitet. Häufig müssen viele Aufgaben gleichzeitig erledigt werden – und das außerdem bei zu wenig Personal. Hände fehlen also immer. Da bietet es sich ja an, die Narkoseeinleitung rasch durchzuführen, um zügig weiterarbeiten zu können.
Narkosezwischenfälle treten aber auf – und das nicht selten. Genau aus diesem Grund sollte für die Anästhesie und die dafür notwendige Vorbereitung ausreichend Zeit eingeplant werden. Nur so kann man für das Tier die ideale Narkose gewährleisten und man spart sich zusätzlich Zeit und Arbeit, schlecht in Narkose liegende Tiere adäquat zu versorgen, um sie für den notwendigen Eingriff und auch danach wieder fit zu bekommen.
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