Patienten mit Vitamin-D-Mangel sind keine Seltenheit in der ärztlichen Praxis. Neben NEM gibt es jetzt eine weitere Lösung: Genetisch veränderte Lebensmittel.
Vitamin D ist zwar ein erstaunlich hitzig diskutiertes Thema – doch in einem sind sich alle einig: Ein Mangel ist gesundheitsschädlich. Denn ein Vitamin-D-Mangel führt nicht nur zu Knochen- und Muskelerkrankungen, sondern wird auch mit einer höheren Infektanfälligkeit sowie zahlreichen anderen Erkrankungen in Verbindung gebracht.
Niedrige Vitamin-D-Werte sind ein gängiges, globales Gesundheitsproblem. Ein alleiniger Ausgleich über die Ernährung ist schwierig, da die meisten Lebensmittel nur geringe Vitamin-D-Gehalte beinhalten; insbesondere pflanzliche Nahrungsmittel sind schlechte Quellen. Gezielte Anreicherungsmaßnahmen in Lebensmitteln könnten ein geschickter Lösungsansatz sein, um niedrige Vitamin-D-Werte zu verhindern.
Epidemiologen des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) untersuchten nun den Einfluss gezielter Anreicherungsmaßnahmen von Lebensmitteln mit Vitamin D – wie es etwa in Finnland bei Milchprodukten bereits praktiziert wird – auf die Krebssterblichkeit in Europa. Die Forscher kamen in ihrer Studie zu dem Ergebnis, dass die Anreicherung von Vitamin D schätzungsweise etwa 11.000 Krebstodesfälle in der europäischen Union und 27.000 in allen 34 betrachteten europäischen Ländern pro Jahr verhindert.
„Würden alle von uns betrachteten Länder Lebensmittel mit angemessenen Mengen Vitamin D anreichern, könnten nach unseren Modellrechnungen ca. 130.000 bzw. etwa neun Prozent aller Krebstodesfälle in Europa verhindert werden. Das entspricht einem Gewinn von fast 1,2 Millionen Lebensjahren“, erklärt Prof. Hermann Brenner, Epidemiologe und Leiter der Studie. Die aktuellen Daten zur Senkung der Krebssterblichkeit zeigen, dass eine Verbesserung der Vitamin-D-Versorgung großes Potential hätte, erklärt der Epidemiologe.
Allerdings ist die gezielte Anreicherung von Vitamin D in Lebensmitteln – wegen der Gefahr einer Überdosierung – mit wenigen Ausnahmen verboten. Eine Marktstichprobe der Verbraucherzentrale zeigt, dass einige Hersteller ihre Produkte dennoch ohne Erlaubnis mit dem Vitamin anreichern. Von den 112 untersuchten Produkten, hatten 61 % Prozent keine Erlaubnis.
Eine Verbesserung der Vitamin-D-Versorgung und Prävention der damit verbundenen gesundheitlichen Folgen kann auch anders erreicht werden: Eine Alternative zur gezielten Anreicherung von Vitamin D, wie etwa in Milchprodukten, sind genetisch veränderte Organismen (GVO). Diese könnten bestimmte Vitamine und Nährstoffe selbständig produzieren und verstärkt anreichern.
Doch starten wir erstmal mit den Basics: Zunächst lässt sich die Gentechnik in drei folgende Anwendungsbereiche untergliedern.
Verändertes Obst oder Gemüse, das vermehrt bestimmte Nährstoffe anreichert, fällt in die Kategorie der grünen Gentechnik. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung hat Bedenken zu dieser Art von Gentechnik und lehnt sie ab. Doch mit der gezielten Manipulation pflanzlicher DNA hat die Menschheit schon vor über 10.000 Jahren im Zuge der Domestikation angefangen: Die Kreuzung. Sie wird auch heute noch angewendet, denn durch die Kreuzung verschiedener Sorten werden auch bestimmte positive Eigenschaften kombiniert, die wiederum zu einem hohen Ertrag führen.
In den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts kam es durch die Entwicklung von Hochleistungs- bzw. Hochertragssorten zur Grünen Revolution. Sie verbesserte für viele Menschen die Ernährungssituation erheblich, doch verantwortet auch gravierende Umweltschäden. Die Mutagenesezüchtung heizte die Grüne Revolution im 20. Jahrhundert erst richtig an. Dabei werden Samen radioaktiv oder chemisch behandelt, um Mutationen auszulösen. So entstehen spontane und ungerichtete Mutationen – nicht anders als die, die in Pflanzen auch natürlich spontan entstehen, doch einfacher und schneller. Der Nachteil dieser Methode ist jedoch, dass bei ungezielter Mutagenese auch ungewünschte Mutationen entstehen, die wiederum rausgezüchtet werden müssen.
Doch vor etwa 40 Jahren entdeckten Forscher das Bakterium Agrobacterium tumefaciens: Es ist in der Lage, Pflanzenzellen zu befallen und Plasmid-DNA in das pflanzliche Genom einzubauen, sodass die gewünschten Gene von der Pflanze exprimiert werden. Die Bakterien gelten somit als wichtiger Vektor in der Gentechnik, denn durch sie können auch Gene einer anderen Art in die Pflanze eingeschleust werden. Allerding kann nicht kontrolliert werden, an welcher Stelle der pflanzlichen DNA das Transgen eingebaut wird. Und diese Technik ist keinesfalls unnatürlich. Das zeigt ein Blick auf die allseits beliebte Süßkartoffel: Das Genom der kultivierten Pflanze enthält DNA mit exprimierten Genen aus Agrobakterien. Damit ist sie ebenfalls ein GVO bzw. eine „natürlich entstandene transgene Nutzpflanze“ – und das, obwohl der Mensch niemals seine Hände im Spiel hatte.
Ein weiterer wichtiger Schritt in der Gentechnik war die Entdeckung von CRIPSR/Cas9. Dieses System ermöglicht das Genome Editing – es können also gezielter und präziser Genveränderungen vorgenommen werden.
Aktuell unterliegen nur Nutzpflanzen, die über Vektoren oder Genome Editing modifiziert wurden, den GVO-Auflagen. Hinter der Zulassung solcher GVO verbirgt sich ein jahrzehntelanger, kostspieliger Prozess. Trotz EU-Zulassung können die EU-Länder den Anbau von GVO dennoch verbieten – so ist es auch in Deutschland der Fall. Die strenge Regelung geht auf das Vorsorgeprinzip zurück. Demnach müsse man bei einem nicht vollständig geklärtem Risiko von Umweltschäden und -gefahren vorbeugend handeln, um diese vornherein zu vermeiden.
Für Kreuzungsverfahren gibt es keine solche strengen Auflagen, obwohl sie gefährlich ausfallen können: Ein Beispiel dafür ist die Kartoffelsorte Lenape, die kurz nach der Markteinführung wegen erhöhter Glykoalkaloid-Konzentrationen wieder vom Markt genommen werden mussten. Die Grüne Gentechnik birgt natürlich auch Risiken, die ernst genommen werden müssen – doch unterscheiden sich diese von natürlichen Methoden der Pflanzenzüchtung? Gleichzeitig hat sie großes Potenzial für die globale Ernährungssicherheit und könnte Umweltschäden eindämmen, die durch den erhöhten Einsatz von Pestiziden oder Düngemitteln entstehen. Aktuell prüft die EU die Regelungen zu GVO über eine Initiative, die auf einem Meinungsbild der Bevölkerung beruht.
Eine vorteilhafte Anwendung der Grünen Gentechnik wäre die gezielte Anreicherung von Vitaminen bei Lebensmitteln: Forscher züchteten nun mithilfe des CRISPR/Cas-Systems sonnengereifte Tomaten, die das Vorläufermolekül von Vitamin D anhäufen können – ein lebenswichtiger Nährstoff, der hauptsächlich in tierischen Produkten vorkommt. Die Forscher publizierten ihre Ergebnisse im renommierten Fachmagazin Nature und konnten zeigen, dass durch das Ausschalten eines einzigen Gens Tomaten entstehen, die jeweils 20 % der empfohlenen Tagesdosis an Vitamin D im Vereinigten Königreich (10 µg) liefern könnten.
Normalerweise stellen Tomaten und andere Pflanzen der Nachtschattengewächse einen Vorläufer namens Provitamin D3 her, wandeln ihn dann aber mithilfe von Enzymen, die von zwei Genen namens 7-DR1 und 7-DR2 kodiert werden, in andere Verbindungen um. Die Forscher vermuteten, dass das Ausschalten eines dieser Gene dazu führen würde, dass die Pflanze Provitamin D3 anhäuft, das sich bei Sonneneinstrahlung in eine zweite Vorstufe – Prävitamin D3 – umwandelt, die Menschen verwenden können. Durch das Knock-out von 7-DR2 konnten die Pflanzen durch das intakte 7-DR1 dennoch wachsen.
Allerdings wurden die Tomaten bisher unter laboratorischen Gewächshausbedingungen gezüchtet. Im nächsten Schritt beginnen die Forscher Freilandexperimente. Doch das Prävitamin D3 allein reicht nicht aus: In weiteren Studien sollten die Forscher zeigen, dass der Körper das Vitamin auch aufnehmen und in Vitamin D umwandeln kann.
„Diese Arbeit demonstriert die Leistungsfähigkeit des Genome Editing zur Entwicklung von Lebensmitteln mit wertvollen Ernährungseigenschaften“, sagt Prof. Wendy Harwood, Leiterin der Crop Transformation Group am John Innes Centre, England. „Die biofortifizierte Tomate könnte einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung des Vitamin-D-Mangels leisten. Ähnliche Verbesserungen sollten in relativ kurzer Zeit auch bei anderen Nahrungspflanzen möglich sein.“
Mit Lebensmittelsicherheit, Nachhaltigkeit und Klimawandel ganz oben auf der Agenda unterstützen Nahrungsmittel, die wir so nahrhaft wie möglich machen, und gleichzeitig den Abfall reduzieren, auch diese Ziele, fügt Dr. Penny Hundleby vom John Innes Centre hinzu.
Eine solche Tomate bzw. Grüne Gentechnik spielt eine wichtige Rolle, um aus der Klimakrise zu kommen, gegen Mangelernährung zu agieren und nachhaltige sowie umweltfreundliche Landwirtschaft zu betreiben. Doch alles hängt im Endeffekt am Verbraucher: Einige Menschen akzeptieren gentechnisch veränderte Tomaten möglicherweise nicht, bemerkt Prof. Kevin Cashman, Ernährungswissenschaftler am University College Cork, Irland. Wenn es die biofortifizierten Tomaten auf den Markt schaffen, könnten sie „einen Sprung nach vorne bei der Verringerung unserer Abhängigkeit von tierischen Lebensmitteln darstellen“, schreiben die Pflanzenphysiologen Prof. Dominique Van Der Straeten und Dr. Simon Strobbe von der Universität Gent in einem Kommentar in Nature Plants.
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