Woher nehmen Immunzellen die Energie, um in neue Gewebe einzudringen, dort Infektionen aufzuspüren und zu zerstören? Das war bisher unklar – jetzt wurde der Proteinkommandant dieser Invasionen aufgespürt.
Immunzellen sind die Polizei unseres Körpers, aber wie können sie den Tatort schnell erreichen? Am Institute of Science and Technology Austria (ISTA) haben Forscher nun ein neues Protein entdeckt, das die Energieproduktion in Immunzellen ankurbelt und damit ihre Invasionskraft erhöht. Die in der Fachzeitschrift EMBO veröffentlichten Ergebnisse könnten nicht nur die Immunabwehr verbessern, sondern auch unser Verständnis der Energieregulation in Zellen des menschlichen Körpers revolutionieren.
Lebende Organismen müssen auf Herausforderungen reagieren können, insbesondere indem sie die Aktivität ihrer Immunsysteme anpassen. Infektionserreger versuchen ständig, im Körper Fuß zu fassen. Aber wie können Immunzellen in neue Gewebe eindringen, um solche Infektionen aufzuspüren und zu zerstören? Bei der Untersuchung dieses wichtigen Prozesses gelang es Prof. Daria Siekhaus und Dr. Shamsi Emtenani aus ihrer Gruppe am ISTA, eine noch wichtigere Frage zu beantworten: Was ist für die Extra-Energie zur Zellinvasion verantwortlich?
Sie entdeckten einen Ablauf, der die Energieproduktion in den Immunzellen ankurbelt und ihnen so die nötige Energie für ihr Eindringen ins Gewebe bereitstellt. Der neue Pfad wird von einem bisher nicht untersuchten Protein gesteuert, das sie nach der persischen Königin Atossa benannten.
Obwohl die Experimente an Fruchtfliegen durchgeführt wurden, zeigen die Ergebnisse, dass ähnliche Proteine in Säugetieren die gleiche Funktion haben. „Es gibt eine Fülle von Möglichkeiten, wie diese Entdeckung zu neuen Perspektiven in der menschlichen Physiologie führen kann, da die Steigerung der Energieproduktion in diversen Zellen im menschlichen Körper von entscheidender Bedeutung ist“, sagt Erstautorin Emtenani.
Für Zellen ist es energetisch kostspielig, die Umgebung aus dem Weg zu räumen und ins Gewebe einzudringen. Das Immunsystem nutzt die Mitochondrien, um Energie zu gewinnen. Die Forscher haben nun herausgefunden, dass Atossa eine Kaskade in Gang setzt, die mitochondrielle Energieerzeugung reguliert und verbessert.
„Atossa wirkt sowohl als Gaspedal als auch als Gangschaltung“, erklärt Siekhaus. „Erstens aktiviert das Protein zwei Stoffwechselenzyme, die dazu beitragen, dass mehr Treibstoff in die mitochondriale Fabrik gelangt, und zweitens schaltet es die Mitochondrien in einen höheren Gang.“ Dieser Gangwechsel wird dadurch bewirkt, dass Atossa die Konzentration des Proteins Porthos erhöht. Porthos ist eine RNA-Helikase, benannt nach einem der drei Musketiere, die für ihre Treue im Dienste der Königin bekannt sind. Porthos unterstützt dann den Aufbau des Apparates, der die Produktion von Proteinen ermöglicht, darunter viele, die die mitochondriale Aktivität und damit die Energieproduktion erhöhen.
Durch Bildgebung in lebenden Embryonen von Fruchtfliegen konnten die Forscher eine deutliche Verringerung der Zellwanderung in Abwesenheit von Atossa feststellen. Außerdem wird die Funktion von Atossa nur in Pionierzellen benötigt. Ähnlich wie bei einer Expedition durch ein Dickicht leisten die ersten Zellen die Schwerstarbeit, sich mit der Machete einen Weg zu bahnen, und benötigen daher mehr Energie. Die ISTA-Wissenschafter verglichen die Energiewerte mit und ohne das Atossa-Gen und bestätigten, dass Atossa diese tatsächlich steigert.
Einen Hauptregulator wie Atossa gibt es jedoch nicht nur in Fruchtfliegen. Der dafür verantwortliche Proteincode in Fliegen ist zu 44 Prozent identisch mit dem vergleichbaren im Menschen. Tatsächlich konnte gezeigt werden, dass die Säugetiergene die Funktion des Fruchtfliegenproteins ersetzen können. „Wir sind sehr fasziniert von den Möglichkeiten, die sich dadurch eröffnen. Atossa könnte von zentraler Bedeutung für die Steigerung der Energieproduktion sein. In Immunzellen ist das zum Beispiel für die Produktion von Antikörpern und die Bestimmung weißer Blutkörperchen von Bedeutung. Atossa-ähnliche Proteine finden sich auch in Gehirnzellen. Hier liegen Defekte manchen neurodegenerativen Erkrankungen zugrunde“, sagt Siekhaus.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung des Institute of Science and Technology Austria. Die Originalpublikation findet ihr hier und im Text.
Bildquelle: Laine Cooper, unsplash