Im Rettungsdienst muss man sich manchmal um wehrhafte Patienten kümmern. Eine körperliche Fixierung kann dabei schnell zum Notfall werden. Was in diesen Situationen wichtig ist, lest ihr hier.
Im Rahmen von Polizei- oder Rettungsdiensteinsätzen kommt es immer wieder dazu, dass wehrhafte Personen unter Anwendung von Zwang fixiert werden müssen. Darunter sind auch Fälle, in denen die Person im weiteren Verlauf verstirbt. Selbst wenn die Ausgangslage sehr unterschiedlich sein kann, ist die Endstrecke massive körperliche Anstrengung, Zwang und Atemstillstand. Warum eigentlich? Und was ist Acute Behavioural Disturbance?
Aus vielen verschiedenen Gründen können Menschen sich unkooperativ, scheinbar unlogisch, aggressiv, verwirrt, agitiert, ängstlich, aufgebracht, fahrig und nervös verhalten. Neben der Psychose können auch Intoxikationen, Hypoglykämien, Schädel-Hirn-Traumata, Enzephalopathien und Hypoxien solche Zustände auslösen. Im Englischen werden diese Fälle unter ‚Acute Behavioural Disturbance‘ (ABD) zusammengefasst.
ABD ist ein Sammelbegriff für einen Zustand, der aufgrund vieler verschiedener Faktoren ausgelöst wird. Das Zusammenfassen dieser vielen Pathologien hat den Vorteil, dass man in der Praxis eher an ABD denkt und nicht „in die Falle tappt“. Aber in welche Falle eigentlich?
In die Falle, einen Menschen falsch einzuschätzen, die Pathophysiologie zu verpassen und im schlimmsten Fall einem Atemstillstand beizuwohnen.Der Nachteil ist, dass Forschung und zielgerichtete Therapie so erschwert werden. Meiner Erfahrung nach bekommt man die meisten Fälle mit Hilfe guter Kommunikation unter Kontrolle. Manchmal aber eskaliert die Situation. Der verwirrte Patient handelt gegen den Wunsch des Teams und alles, was man versucht zu unternehmen, lässt die Situation nur noch mehr entgleiten. Schlimmer noch, manchmal ist Zwang nötig um den Patienten selbst zu schützen, etwa weil er droht auf die Autobahn zu laufen.
Doch weil Zwang angewendet wird, wehrt sich der Patient. Es kommt zu massiver körperlicher Anstrengung bei allen Beteiligten. Während wir aber in der Regel einen normalen Stoffwechsel haben, können diese Patienten in der Stresssituation einen erheblich gesteigerten Stoffwechsel entwickeln. Nun kommt noch die massive körperliche Verausgabung dazu (erinnert euch, wie stark manchmal kleine Personen werden können, wenn sie sich im maximalen Stress wehren). Im unglücklichsten Fall werden sie auf dem Bauch positioniert, um sie unter Kontrolle zu bringen. In der Bauchlage ist die Atmung in der Fixierung per se schon eingeschränkt, und wenn dann noch jemand auf Brustkorb oder Rücken kniet, wird die Atmung weiter erschwert.
Pathophysiologisch haben manche dieser Patienten aufgrund der stressigen Gesamtsituation also einen erhöhten Stoffwechsel, das Blut ist azidotisch. Manchmal war der Stoffwechsel wegen Intoxikationen bereits erhöht. Die Patienten atmen schnell und tief, sie atmen CO2 ab. Dadurch können sie die metabolische Azidose respiratorisch kompensieren, oder immerhin teil-kompensieren. Wenn wir in dieser Situation die Atmung durch Fixierung oder Druck weiter einschränken, wird die Kompensation gestört. Die Patienten können dadurch in eine Reanimationssituation rutschen und versterben dann oft daran.
Manchmal werden wir um Intervention nicht herumkommen. Wenn möglich ist die hochdosierte Sauerstoffgabe eine gute Idee. Erstens, weil hypoxische Agitation so direkt therapiert wird. Zweitens, weil es Hypoxie präventiv entgegenwirkt bei möglichen Nebenwirkungen z.B. von Benzodiazepinen oder Zwangsmaßnahmen. Drittens, weil eine Sauerstoffmaske einen super Spuck-Schutz darstellt.
Wenn es zu körperlichem Zwang kommt, muss die Bauchlage in jedem Fall vermieden werden. Wenn Medikamente eingesetzt werden, muss eine Atemdepression vermieden werden. Dabei geht es nicht nur um Oxygenierung, sondern besonders um Decarboxylierung! Das könnt ihr nicht mit dem Pulsoximeter messen.
Welches Medikament eignet sich überhaupt für eine i.m.-Gabe mit zügigem Wirkungseintritt – schließlich ist bei schwerer Agitation oft kein Zugang sicher zu legen? Außerdem sollten Atemantrieb und Schutzreflexe erhalten bleiben und noch besser, Dosierungsungenauigkeit sollte möglichst keine Rolle spielen.
Natürlich, wenn wir euch nicht POCUS empfehlen können, empfehlen wir euch Ketamin.
Und ich wusste wirklich nicht, wie ich hier POCUS einbauen soll.
Mit der Ketamin-Gabe wollen wir in diesem Fall eine Dissoziation erreichen, einen Zustand, in dem der Patient ruhig und soweit möglich kooperativ auf dem Rücken liegt. Laut Royal College of Emergency Medicine sind i.v. applizierte Sedativa, Antipsychotika oder Ketamin ideal. Eine i.m.-Applikation ist sinnvoll, wenn ein venöser Zugang nicht schnell und sicher erreicht werden kann.
Sollte sich das Team zur Intubation entscheiden, muss nach der Narkose die Hyperventilation des Patienten fortgeführt werden. Atemfrequenzen von 40-50/min sind möglich, diese sollten unbedingt ähnlich wie beim ketoazidotischen Koma weitergeführt werden und das Atemminutenvolumen erhalten bleiben. Eine klassische Beatmung kann für diese Patientengruppe deletäre Konsequenzen haben.
Diese Patienten sind häufig hypertherm und diese Hyperthermie muss behandelt werden. Dabei geht es nicht um klassisches Fiebersenken mit Medikamenten sondern um physikalische Kühlung. Verdunstungskälte ist die effektivste Maßnahme, die uns präklinisch schnell zur Verfügung steht.
Massiv agitierte Menschen können für ihr Verhalten viele Gründe haben. Kritisch krank sind sie mit Azidose, Hyperthermie und Tachypnoe. Die Atmung darf nicht eingeschränkt werden.
Ein großes Problem ist das Erkennen dieser Patienten. Die meisten Fälle sind drogenassoziiert, aber auch Sepsis-Patienten können mit Enzephalopathie agitiert und aggressiv sein. Daran zu denken ist die halbe Miete.
Körperlicher Zwang wird nur dann angewendet, wenn es dringend notwendig ist und nur solange, bis die Person adäquat sediert worden ist. Die Bauchlage ist dringend zu vermeiden. Die britische Polizei versucht Zwang auf Zeiten unter 10 Minuten zu limitieren, ein Paramedic wird zur Sedierung hinzugezogen.
Nach der Sedierung sollte der Rettungsdienst einen venösen Zugang etablieren und auf Hinweise für einen Volumenmangel achten. Häufig sind diese Patienten hypovoläm aufgrund von starkem Schwitzen und reduzierter Flüssigkeitsaufnahme, insbesondere im Rahmen von drogeninduzierten Zuständen. Elektrolytentgleisungen und Volumenmangel sowie Hyperthermie können wir mit balancierter Elektrolytlösung therapieren. Rhabdomyolyse, DIC und Hyperkaliämie sind relevante Gefahren.
Diese Patienten müssen definitiv in eine Notaufnahme – die Gewahrsamzelle ist nicht der richtige Ort für sie. In der ZNA sollte an Rhabdomyolyse, DIC und Hyperkaliämie gedacht werden. Die Gesundheit der Patienten steht im Vordergrund, ehe die Polizei mit einer etwaigen kriminaltechnischen Verarbeitung loslegen kann. Das ist ultimativ auch im Interesse der Polizei, die ebenfalls kein Interesse an kritisch Kranken oder Verstorbenen im Gewahrsam hat.
Warum auch immer ein Patient agitiert, delirant, desorientiert ist; Körperlicher Zwang kann lebensgefährlich sein und erfordert deshalb eine strenge Indikationsstellung. Zwang und Sedierung dürfen die Atmung nicht einschränken. Sauerstoff und Volumen sind meistens eine gute Idee und Pathologien wie metabolische Azidose, Rhabdomyolyse, DIC und Hyperthermie müssen ausgeschlossen werden, ehe Patienten aus der ZNA entlassen werden können.
Die Trias aus sympathomimetischen Symptomen, Agitation / Aggressivität, und Delirium ist ein Red flag für Acute Behavioural Disturbance!
Hier kommt ihr zur Empfehlung der RCEM zu ABD
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Bildquelle: Scott Rodgerson, unsplash