Sommer, Sonne, Sandalen – da belastet der Ballenzeh nicht nur optisch. Alles was Ärzte zu einer der häufigsten Fußfehlstellungen wissen müssen, erfahrt ihr in unserem Deep Dive.
Frauen, die in High Heels eine gute Figur machen, gelten nach wie vor für viele Menschen als attraktiv. Oft sollte man sich die Füße in den schicken Schuhen allerdings nicht zu genau ansehen. Ein Hallux valgus, also eine Schrägstellung der Großzehe, sieht nicht nur unästhetisch aus, sondern bereitet den Betroffenen auch Schmerzen und schränkt die Beweglichkeit ein. Insgesamt kommt die Fehlstellung bei etwa 23 % der Erwachsenen im Alter von 18 bis 65 Jahren und bei bis zu 36 % der Erwachsenen über 65 Jahren vor. Frauen sind deutlich häufiger betroffen als Männer, auch Menschen mit angeborener Bindegewebsschwäche, wie beim Marfan-Syndrom oder Ehlers-Danlos-Syndrom, haben ein erhöhtes Risiko.
Bei der Frage, ob High Heels ein Auslöser für einen Hallux valgus sind, herrscht immer noch Unklarheit. Dass sexy Schuhe nicht sonderlich gesund sein sollen, befürchtet man in Medizinerkreisen bereits seit über 50 Jahren. In einer systematischen Übersichtsarbeit aus 2016 betrachteten Wissenschaftler Studien, die das Tragen hochhackiger Schuhe als möglichen Auslöser für die Entstehung von Hallux Valgus und anderen Erkrankungen des Bewegungsapparates untersuchten. Sie identifizierten vier Studien zum sogenannten Ballenzeh, von denen drei einen signifikanten Zusammenhang zwischen Schuhwerk und der Deformität feststellten.
Die genaue Ätiologie des Hallux valgus ist allerdings bis heute nicht verstanden. So kommt die Fehlstellung auch bei Völkern vor, die barfuß laufen. Eine Gemeinsamkeit ist, dass auch hier Frauen häufiger, nämlich etwa doppelt so oft wie Männer, betroffen sind. Heute nimmt man daher an, dass enges, hohes Schuhwerk zwar eine bestehende Deformation verschlimmert, aber nicht ihre Hauptursache darstellt. Ursächlich scheint vielmehr ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren vorzuliegen, die genetisch und anatomisch bedingt sind, auch rheumatologische Erkrankungen erhöhen das Risiko.
Ausschlaggebend dafür, dass die Großzehe auf Abwege gerät, ist ein Ungleichgewicht zwischen der extrinsischen und der intrinsischen Fußmuskulatur. Die intrinsischen Fußmuskeln sind jene, die im Fußskelett selbst ihren Ursprung haben, während die extrinsischen Fußmuskeln außerhalb des Fußskeletts beispielweise im Unterschenkel beginnen. Schwache intrinsische Fußmuskeln können zu einem Spreizfuß führen, einer häufigen Vorstufe vom Hallux valgus. Dabei sinkt das Fußquergewölbe ein und die Mittelfußknochen bewegen sich nach außen. Der Vorderfuß wird dadurch breiter.
Der Hallux valgus ist eine chronisch fortschreitende Erkrankung. Es entwickeln sich zunehmende Schmerzen am Metatarsophalangealgelenk (MTP-Gelenk) des ersten Zehenstrahls, dem Großzehengrundgelenk, die sich beim Gehen verschlimmern. Bei der Gehbewegung drückt normalerweise der große Zeh gegen den Boden. Das ist in der Valgus-Stellung aber nicht mehr möglich. Die Last verschiebt sich dadurch vom ersten auf die benachbarten Mittelfußknochen, was zu einer Überlastung im Bereich des vorderen Mittelfußes führt. Auch der durch die Schrägstellung der großen Zehe vorstehende Ballen führt zu Schmerzen. Beim Gehen drückt hier der Schuh, die Haut rötet und verdickt sich und eine Schwellung entsteht (Pseudoexostose).
Auch die kleinen Zehen haben im Schuh nicht mehr genug Platz. Sie weichen nach oben aus, wobei sie gegen den Schuh und die benachbarten Zehen stoßen. Es entstehen Hammerzehen bzw. Krallenzehen.
Weitere Folgen, die die Mobilität der Betroffenen einschränken, können Blasen, Hühneraugen und eine Entzündung des Schleimbeutels am Großzehengrundgelenk sein. Unbehandelt führt der Ballenzeh durch die ständige Druckbelastung zu einer Arthrose des Großzehengrundgelenks. Bei Fortschreiten der Krankheit nehmen Häufigkeit und Schwere der Schmerzen zu, auch kann sich die Deformität vergrößern. Ein Trugschluss ist allerdings, vom Grad der Fehlstellung auf die Stärke der Schmerzen zu schließen. Hier kann, muss aber kein Zusammenhang bestehen.
Die Diagnose erfolgt in der Regel durch eine körperliche Untersuchung. Bildgebende Verfahren können Ärzten zeigen, ob und in welchem Ausmaß das Großzehengrundgelenk geschädigt ist.
Die Therapie richtet sich nach dem Leidensdruck der Patienten. Meist werden zunächst nicht-chirurgische Ansätze erprobt. Mögliche Maßnahmen erstrecken sich auf folgende Bereiche:
Es fehlt allerdings an klinischer Evidenz dafür, dass diese nicht-chirurgischen Interventionen wirksam sind. Eine dauerhafte Korrektur der Fehlstellung lässt sich damit nicht erzielen.
Die Entscheidung für eine chirurgische Korrektur basiert meist in erster Linie auf dem Leidensdruck der Patienten. Über 150 Operationstechniken sind dafür beschrieben. Welches Verfahren am besten geeignet ist, hängt unter anderem davon ab, ob auch eine Arthrose als Langzeitfolge des Hallux valgus vorliegt und wie groß der Grad der Fehlstellung ist. Bei der offenen Operation bleibt eine Narbe von 3 bis 5 cm zurück. Neuere minimalinvasive Techniken sind für viele Patienten wegen einer kleineren Narbe und einer möglicherweise kürzeren Regenerationszeit attraktiv. Aber auch die größere, offene Operation tolerieren Patienten in der Regel gut.
In der ersten postoperativen Zeit muss ein Verbandsschuh getragen werden. Die Knochen verheilen nach etwa 6 Wochen, dann ist vielen Patienten auch wieder eine Vollbelastung im Normalschuh möglich. Bei Rauchern und Diabetikern mit Neuropathien kann die Heilung allerdings länger dauern und es besteht ein höheres Risiko für Komplikationen. Bis sich der volle Behandlungserfolg zeigt, kann es bis zu einem Jahr dauern. Mögliche Ursachen für Rezidive sind eine anatomische Veranlagung, die Nicht-Einhaltung postoperativer Anweisungen, Komorbiditäten und eine ungünstige Operationstechnik.
Bildquelle: Dhruv, Unsplash