Was hatten Niccolò Paganini, Abraham Lincoln und Julius Caesar gemeinsam? Könnte eine Frage aus einem Fernsehquiz sein – aus der Rubrik Medizin. Die Antwort lest ihr hier.
Die Antwort: Alle litten am Marfan-Syndrom, wie etwa 10.000 Menschen in Deutschland. Seine langen, schlanken Finger verliehen dem Geiger Paganini beispielsweise eine unglaubliche Reichweite von 3 Oktaven auf der Geige! Menschen mit Marfan-Syndrom sind normalerweise groß und dünn mit ungewöhnlich langen Armen, Beinen, Fingern und Zehen.
Das Marfan-Syndrom (MFS) tritt mit einer Häufigkeit von ca. 1 bis 2:10.000 auf. Es gibt dabei keine geschlechtsbezogenen oder geographischen Unterschiede. Die Krankheit tritt weltweit auf, unabhängig von Ethnie oder Geschlecht. 25 % der Fälle treten sporadisch aufgrund von De-novo-Mutationen auf. MFS ist eines der häufigsten Einzelgen-Fehlbildungssyndrome. Das Syndrom wurde erstmals 1896 von dem französischen Kinderarzt Dr. Antoine Marfan (1858–1942) beschrieben.
Die Lebenserwartung ist bei Männern deutlich geringer als bei Frauen. Die Patientenlebensdauer ist jetzt fast ähnlich wie bei Personen ohne MFS, obwohl kardiovaskuläre Beeinträchtigungen immer noch die häufigste Todesursache sind, hauptsächlich aufgrund des plötzlichen Todes bei einem nicht diagnostizierten Patienten und bei einem neu diagnostizierten Patienten, dessen Krankheitsverlauf sich über den Rahmen einer medizinischen oder chirurgischen Heilung hinaus verschlimmert hat.
Das MFS ist eine der häufigsten Erbkrankheiten, die das Bindegewebe betreffen. Es ist eine autosomal dominante Erkrankung mit einem Defekt im FBN1-Gen auf Chromosom 15. Dieses produziert das Bindegewebsprotein Fibrillin, welches eine der wesentlichen Komponenten der Mikrofibrillen ist. Die Mikrofibrillen bilden das Grundgerüst für die elastischen Fasern und sind in fast allen Bereichen des Körpers zu finden. Die Auswirkungen der Veränderungen im Bindegewebe werden daher in verschiedenen Organsystemen deutlich.
Es gibt ein breites Spektrum klinischer Schweregrade im Zusammenhang mit MFS, die von isolierten Merkmalen bis hin zur neonatalen Präsentation einer schweren und schnell fortschreitenden Erkrankung reichen, an der mehrere Organsysteme beteiligt sind. Das Syndrom ist mit klassischen Anomalien der Augen, des Herz-Kreislauf-Systems und des Bewegungsapparats verbunden, obwohl auch eine Beteiligung der Lunge, der Haut und des Zentralnervensystems auftreten kann. Eine verringerte Lebenserwartung tritt hauptsächlich aufgrund von Aortenkomplikationen auf, einschließlich Aortenwurzeldilatation und -dissektion.
1996 wurden ursprünglich Kriterien für die Diagnose des MFS vorgeschlagen, die als Gent-Nosologie bekannt sind. Diese Kriterien stützten sich auf größere und kleinere klinische Manifestationen des Syndroms. Patienten mit MFS weisen mehrere Deformitäten des Skeletts auf, einschließlich Dolichostenomelie (lange Gliedmaßen im Vergleich zum Rumpf), Arachnodaktylie (abnormal lange und dünne Finger), thorakolumbale Skoliose und Pectus-Deformitäten. Aorteninsuffizienz, Dilatation und Aneurysmen treten am häufigsten im kardiovaskulären System auf.
Die Diagnose des MFS wird in der Regel klinisch anhand typischer Anomalien gestellt. Kraniofaziale Merkmale, Daumen- und Handgelenkzeichen, starker Rückfußvalgus und Pectus carinatum sind die körperlichen Merkmale mit der höchsten diagnostischen Aussagekraft. Es gibt keinen spezifischen Labortest, außer molekulargenetischen Tests, zur Diagnose von MFS.
Eine Vielzahl der Patienten leidet unter Sehbeeinträchtigungen. Zu den Augenbefunden gehören eine Dislokation der Linse, Katarakt, Myopie und Netzhautablösung.
Mit Ausnahme von verlagerten Linsen können diese Augenprobleme auch in der Allgemeinbevölkerung auftreten, weshalb Ärzte nicht immer erkennen, dass diese Veränderungen durch Marfan-Syndrom verursacht wurden. Etwa 6 von 10 Patienten mit Marfan-Syndrom haben eine verlagerte Linse in einem oder beiden Augen. Die Augenlinse, die sich normalerweise vorne im Auge befindet, verrutscht, weil die Bindegewebsfasern (Zonulafasern) zu schwach sind, um die Linse in Position zu halten. Wenn das passiert, kann die Augenlinse in jede Richtung verrutschen. Die Symptome einer Linsenverlagerung hängen von deren Schweregrad ab und können leichte bis schwere Kurzsichtigkeit, verschwommenes Sehen und Sehschwankungen umfassen. Verlagerte Linsen treten in der Allgemeinbevölkerung sehr selten auf, weshalb jemand mit einer verlagerten Linse auf Marfan-Syndrom untersucht werden sollte, wenn kein anderer Grund für dieses Symptom vorliegt.
Eine der schwersten Komplikationen beim Marfan-Syndrom sind Veränderungen an den Gefäßen und am Herzen. Die Pathophysiologie der Aortendilatation beim MFS ist ein komplizierter Prozess. Fibrillin-1 ist ein Regulator der Bioverfügbarkeit von TGF-beta, was wiederum zu Entzündung, Fibrose und Aktivierung spezifischer Matrix-Metalloproteinasen (MMPs), insbesondere MMP-2 und MMP-9, führt.
Eine zystische Degeneration der Aorta tritt auf, wenn eine Ansammlung von Mucopolysaccharidzysten zum Verlust glatter Gefäßmuskelzellen führt. Die Schwächung der Aortenwand ist auf eine erhöhte Freisetzung von MMP, Zytokinen, Chemokinen, Prostaglandinderivaten und elastischen Abbaufragmenten zurückzuführen. Die häufigste kardiovaskuläre Manifestation des Marfan-Syndroms ist die aneurysmatische Erweiterung der proximalen Aorta ascendens, die im natürlichen Verlauf der Erkrankung zum Auftreten einer Aortendissektion und/oder zur Ruptur führt. Aortendissektion ist eine Hauptursache für Morbidität und Mortalität beim Marfan-Syndrom.
Die Rolle von TGF-beta in der Pathophysiologie von MFS wurde durch die Verwendung von ACE-Hemmern und Angiotensin-2-Rezeptorblockern gefestigt, die beide nachweislich die TGF-beta-Aktivität verringern.
Steckbrief
Name der Erkrankung
Marfan-Syndrom
Weitere Namen
MFS
Häufigkeit
1–2 : 10.000
Genetik
Mutation im Gen FBN1 von Chromosom 15
Gestörte Funktion
Therapie
ACE-Hemmer, AT-1-Blocker und Betablocker
Wirkung
Senkung des Aortendrucks und -umbaus
Viele Studien berichteten, dass β-Blocker aufgrund ihrer negativen chronotropen Wirkung eine langsamere Aortenwurzelwachstumsrate und weniger kardiovaskuläre Komplikationen bewirkten, was die hämodynamische Belastung der Aortenwand verringern kann.
Andere Erhebungen zeigten jedoch heterogene Ergebnisse und deuteten sogar darauf hin, dass die β-Blocker die Aortenelastizität verschlechtern könnten.
MFS-Studien in Mausmodellen deuten darauf hin, dass Mutationen die TGF-β-Signalgebung aktivieren und zu einer Fragmentierung und Umordnung elastischer Fasern in der Aortenmedia führen, was zur Bildung von Aortenaneurysmen führen würde. Der AT-1-Blocker Losartan reduziert im Mausmodell nachweislich die Aortenwurzeldilatation und den Abbau von Lungengewebe, indem es den AT1-Rezeptor blockiert und die nachfolgende TGF-β-Signalübertragung hemmt.
Mehrere klinische Studien berichteten, dass eine Add-on-Therapie mit Betablockern und Losartan einen besseren Schutz gegen Aortenwurzeldilatation bietet, als Betablocker allein – bei MFS bei Erwachsenen und Kindern.
Losartan oder andere AT1-Rezeptorblocker scheinen eine gleichwertige Wirkung wie Betablocker zu haben und könnten eine sichere Alternative bei der Behandlung von MFS sein.
In vielen Fällen haben die moderneren AT-1-Blocker die ACE-Hemmer abgelöst. In bestimmten Fällen ergeben sich dennoch markante Unterschiede. AT-1-Blocker blockieren lediglich den Rezeptor, an dem AT-II andockt. ACE-Hemmer verhindern die Bildung von AT-II. Angiotensin II spielt dabei eine wichtige Rolle bei der Bildung von Aortenaneurysmen, die durch die Aktivierung von ACE und Chymase-abhängigen Signalwegen hochreguliert wird.
ACE-Hemmer verbessern die Dehnbarkeit der Aorta und verlangsamen das Fortschreiten des Aortenaneurysmas. Die Wirkung von ACE-Hemmern erfolgt über die Blutdruckkontrolle und kann die Apoptose der Aortenwand reduzieren, indem sie den Angiotensin-II-Typ-II-Rezeptor blockiert. Andere Studien zeigten jedoch eine begrenzte Wirkung von ACE-Hemmern auf das Aortenwachstum. Zur weiteren Auswertung werden große prospektive Studien empfohlen.
Neben den genannten werden noch Calciumantagonisten, Statine, Doxycyclin und weitere Pharmaka eingesetzt.
Bis heute wird körperliche Aktivität für Patienten mit MFS weltweit noch nicht empfohlen oder in ihrer Intensität stark eingeschränkt. Tatsächlich nehmen die ausgehenden Drücke des linken Ventrikels mit der Anstrengung zu. Seit einigen Jahren werden Herzinsuffizienzpatienten mit eingeschränkter oder erhaltener Ejektionsfraktion Trainingsprotokolle angeboten. Die Sterblichkeitsrate dieser Patienten sank nach einem Trainingsprogramm signifikant. Auch hier wurde ursprünglich geraten, auf Sport zu verzichten.
In einer Metaanalyse von Jeuini et al. wurde untersucht, ob leichter Sport für Marfanpatienten hilfreich ist. Derzeit gibt es Hinweise darauf, dass sportliche Aktivität bis zu einer mäßigen spezifischen Intensität bei MFS-Patienten sicher ist. Es gibt keine starken Beweise gegen die Indikation einer körperlichen Aktivität mit mittlerer oder hoher Intensität bei diesen Patienten. „In Anbetracht des vorliegenden Reviews schlagen wir vor, dass eine angepasste und personalisierte körperliche Bewegung für MFS-Patienten von Vorteil wäre und in Zukunft als praktikabler und sicherer Behandlungsplan vorgeschlagen werden könnte“, so die Autoren.
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