Patienten mit lokal fortgeschrittenem Rektumkarzinom müssen oft unters Messer. Doch die Therapie könnte auch ganz ohne Chemo und OP auskommen. Kommt jetzt der Paradigmenwechsel?
Die Heilungschancen beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom haben sich seit Jahren maßgeblich verbessert. Allerdings geht die Therapie dafür mit aggressiven Methoden einher: Sie beinhaltet Chemotherapie, Strahlentherapie und die Rektumresektion – letztere erfolgt laut Untersuchungen bei rund der Hälfte der Patienten, bei denen Chemotherapie und Bestrahlung nicht ausreichen.
Um eine OP kommen viele Patienten also nicht herum. Zwar ist dieses radikale Vorgehen gegen den Tumor mit einer hohen Überlebensrate der Patienten verbunden; sie bringt aber auch das Risiko einiger Langzeitfolgen mit sich, wie Neuropathien und Darm- und Sexualfunktionsstörungen.
Insbesondere Patienten mit Mismatch-Repair-defizienten Tumoren (MMR), die zwischen 5 und 10 Prozent der Patienten mit Rektumkarzinom ausmachen, sprechen schlecht auf das nicht-operative Management an. Diese Tumore zeichnen sich auf molekularer Ebene durch einen Defekt in Enzymen aus, die Fehlpaarungen in DNA-Doppelsträngen reparieren können. In Folge sammeln sich Mismatch-Fehler an und die Länge bestimmter DNA-Abschnitte – der sogenannten Mikrosatelliten – verändert sich. Es liegt eine Mikrosatelliteninstabilität (MSI) vor.
Möglicherweise kommt die Therapie dieser speziellen Patienten-Gruppe zukünftig auch ohne Operation aus. Darauf deuten zumindest die Ergebnisse einer Phase-II-Studie hin, die jetzt im New England Journal of Medicine erschienen ist. Darin haben Forscher die Wirksamkeit von Checkpoint-Inhibitoren bei Patienten mit MMR-defizienten Rektumkarzinomen untersucht.
Schon beim Kolonkarzinom hat sich gezeigt, dass Tumoren mit Mismatch-Repair-Defizienz bzw. hochgradiger Mikrosatelliteninstabilität (MSI-H) besonders gut auf Checkpoint-Inhibitoren ansprechen – die Vermutung liegt also nahe, dass das auch beim Rektumkarzinom klappen könnte.
Für ihre Studie haben Forscher um Onkologin Andrea Cercek 12 Patienten mit lokal fortgeschrittenen MMR-defizienten rektalen Adenokarzinomen im Stadium II-III rekrutiert. Die Patienten erhielten über sechs Monate alle drei Wochen den monoklonalen Antikörper Dostarlimab, der sich gegen das Transmembranprotein Programmed cell death protein 1 (PD-1) richtet. Die Aktivierung dieses Rezeptors fördert die immunologische Eigentoleranz, indem sie die Aktivität zytotoxischer T-Zellen dämpft. Die Hemmung des Rezeptors führt daher zu einer erhöhten Aktivität des Immunsystems gegen körpereigenes Gewebe und damit auch gegen das Tumorgewebe.
Nach Ablauf der sechsmonatigen Dostarlimab-Therapie sollten noch Chemoradiotherapie und/oder eine Operation folgen. Doch das war bei keinem der zwölf Patienten nötig: Die klinische Ansprechrate auf die Dostarlimab-Therapie lag bei 100 Prozent. Weder in der MRT, der PET, in der endoskopischen Untersuchung, der digitalen rektalen Untersuchung oder in der Biopsie war ein Tumor nachweisbar.
„Die Ergebnisse sind wirklich herausragend“, meint Dr. Oliver Overheu, Assistenzarzt in der Onkologie der Uniklinik Bochum. Allerdings müsse man trotz aller Euphorie bei der Bewertung noch vorsichtig sein: „Zum einen ist die Studiengruppe mit nur 12 Patienten natürlich sehr klein, zum anderen ist auch der Follow-Up-Zeitraum mit 6 bis 25 Monaten noch zu kurz, um eine etwaige Rezidivrate ausreichend beurteilen zu können. Aber entsprechende Studien werden sicherlich kommen.“
Auch Prof. Arndt Vogel, leitender Oberarzt der Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie der Medizinischen Hochschule Hannover, findet die Studienergebnisse beeindruckend: „Während wir schon länger über Watch and Wait reden, ist dies die erste Studie, die Organerhalt ohne Chemo, Bestrahlung und OP erlaubt.“
In einem die NEJM-Studie begleitenden Kommentar ist sogar schon von einem Paradigmenwechsel bei der Behandlung dieser Art von Tumoren die Rede. Immerhin konnte sich auch schon bei der oben erwähnten Therapie des Kolonkarzinoms mit MSI-H der Checkpoint-Inhibitor Pembrolizumab gegenüber der üblichen Chemotherapie als Standard durchsetzen.
„Ob es auch beim Rektumkarzinom im Verlauf zu dem angesprochenen ‚Paradigmenwechsel‘ kommt, wird sich zeigen“, meint Dr. Overheu. „Letztlich betrifft dies aktuell nur die kleine Subgruppe der MSI-H-Karzinome. Für die ‚übrigen‘ Rektumkarzinome gibt es aber ebenfalls Bestrebungen, die Therapie vor der Operation zu verbessern bzw. die Operation selbst weniger radikal ausfallen zu lassen.“
Bildquelle: Jafar Ahmen, unsplash