LONG-COVID-KLARTEXT | Für die Therapie gibt es zwar erste Ansätze, doch wirft das Krankheitsbild noch viele Fragen auf. Was hat Histamin mit Long Covid zu tun? Und wieso lohnt sich eine Reise nach Davos? Hier gibt’s die Antworten.
Der zweite Teil der digitalen Sprechstunde von DocCheck Experts drehte sich rund um das Thema Long Covid – mit Fokus auf Diagnostik- und Therapieansätze. Unsere Sprechstunde mit Expertin Dr. Claudia Ellert fand auch diesmal als Live-Stream via Zoom statt. Moderiert wurde das Ganze von unserem Medical Content Manager Mats Klas, der eure Fragen an unsere Expertin gestellt hat. Sie ist leitende Oberärztin der Gefäßchirurgie an den Lahn-Dill-Kliniken in Wetzlar und fokussiert sich auf die Langzeitfolgen von COVID-19. Den zweiten Teil unserer Reihe könnt ihr hier nachlesen oder euch einfach als Video anschauen.
Betroffene lassen sich die Autoantikörper bestimmen. Aktuell hat das aber wenig Konsequenz, weil die Einordnung fehlt. Welche Rolle spielen die denn? Sind die wirklich der Auslöser der Erkrankung? Entstehen die als sekundäres Phänomen? Und wie behandelt man? Es gibt Ansätze der Immunadsorption, mit denen hofft man, behandeln zu können; oder Medikamente wie das BC 007 von Berlin Cures, was letztendlich darauf ansetzt, die Autoantikörper zu binden. Aber im Moment fehlt die Konsequenz, diese Bestimmung in der primärärztlichen Versorgung zu empfehlen – zumal die Leute das selbst bezahlen müssen.
Das ist ein riesiges Feld: Aktuell hat die Bestimmung der Autoantikörper keinerlei Konsequenz. Sie werden innerhalb von Studien bestimmt, um eventuell Biomarker festlegen zu können. Eine Rolle spielen Autoantikörper gegen G-Protein gekoppelte Rezeptoren – darunter β-adrenerge Rezeptoren und muskarinerge Acetylcholin-Rezeptoren. Über diese werden die Wirkung von Adrenalin und Acetylcholin vermittelt.
Nein. Aktuell plant Berlin Cures, eine multizentrische klinische internationale Studie aufzulegen, damit BC 007 die Zulassung bekommt. Aktuell ist BC 007 für keine Indikation zugelassen, sondern befindet sich in der Phase II/III für die Behandlung von Herzinsuffizienz. Das heißt: Im Moment haben wir kein zugelassenes Medikament.
Es gibt spezifische Autoantikörper, die in der Gefäßregulation eine Rolle spielen; und diese würden durch das Medikament gebunden.
Es besteht ein weltweit großes Interesse daran, die Pathomechanismen aufzuschlüsseln. Dazu braucht man auf der einen Seite Medikamente oder Therapieansätze; auf der anderen Seite die Grundlagenforschung, um zu verstehen, was da abläuft. Und wahrscheinlich wird es so sein, dass Long Covid nicht gleich Long Covid ist und die Ursachen verschiedene sein werden – genauso wie die Behandlungsansätze, die es braucht. Das heißt: Man muss zweigleisig fahren, indem man sowohl Medikamente und Therapien entwickelt als auch die Ursache des Geschehens grundlegend klärt. Schön wäre es, wenn man bei bereits zugelassenen Medikamenten eine Wirkung nachweisen könnte. So könnte man sie für Patienten schneller zur Verfügung stellen. Wenn man aus der Grundlagenforschung heraus neue Therapien entwickeln müsste, dauert es sehr lange.
Neben der H.E.L.P-Apherese gibt es die Immunadsorption, die hyperbare Sauerstofftherapie und die Kryotherapie. Das sind alles Therapieansätze, die theoretisch logisch sind und zu denen es anekdotische Berichte zu einer Wirksamkeit gibt. Leider haben wir zu all diesen Therapien keine Evidenz, weil es keine Studie gibt, die die Wirkung beweist. Die H.E.L.P-Apherese reduziert letztendlich Gerinnungsfaktoren aus dem Blut, Zytokine und Fette. Und wenn man davon ausgeht, dass wir eine angestoßene Blutgerinnung haben – mit einem vermehrten Auftreten von Koagula – dann kann die H.E.L.P-Apherese diese mechanisch entfernen. Wenn der Krankheitsmechanismus aber woanders liegt, dann werden diese Gerinnsel auch einfach nachgebildet und dann braucht man entweder viele Behandlungen oder man muss vielleicht frühzeitig eingreifen. Es ist alles nicht so ganz klar. Diese Verfahren helfen natürlich insgesamt, irgendwie Krankheitsmechanismen kennenzulernen und aufzuschlüsseln. Wie gesagt, es gibt anekdotische Berichte darüber, dass Patienten geheilt sind. Es gibt genauso gut gegenteilige Berichte. Man kann das im Moment nicht beurteilen.
Über Cortison wird immer mal geredet. Es gibt meines Wissens nach nichts, was eine durchgreifende Wirkung beweisen würde – zumindest nicht bei der Vielzahl der Patienten. Es gibt sicherlich einzelne Indikationen, doch bei Long Covid gibt es keine Evidenz. Es ist auch schwierig: Auf der einen Seite vermutet man Viruspersistenz als Ursache, da möchte man natürlich nicht mit Kortikoiden behandeln.
Da müssen wir auf britische Daten zurückgreifen. Die meisten Patienten, bei denen Long Covid ausheilt, sind innerhalb der ersten drei, vier Monate im Prinzip genesen – insbesondere Frauen. Das geben auch deutsche Studien her. Wenn man Patienten mit Long Covid nach vier oder fünf Monaten und nach 12 Monaten anschaut, dann liegt der Prozentsatz der Erkrankten immer noch bei etwa 80 %. Wenn das 6 Monate besteht, ist die Spontanremission nicht arg groß.
Ich glaube, das Ziel der Aufklärung wäre im Prinzip, der Belastungsintoleranz gerecht zu werden: Nicht ständig in die Überlastung reinzurennen, was letztendlich zu einer Chronifizierung des Krankheitsbilds führt.
Ich würde sagen, die Gruppe der Patienten mit chronisch bleibenden Beschwerden fallen wahrscheinlich unter die Diagnosekriterien für ME/CFS. Und andere Symptome heilen vielleicht eher aus oder werden als nicht so schwerwiegend wahrgenommen, sodass beispielsweise nicht drüber berichtet wird.
Es gibt Patienten, die haben über viele Monate Geruchs- oder Geschmacksverlust, der natürlich extrem störend ist und auch die Lebensqualität einschränkt – aber nicht in dem Maß, wie es ME/CFS tut. Denn die berufliche und soziale Teilhabe sind mit einer Geruchstörung weiterhin möglich. Bei Patienten mit ME/CFS ist das anders, da haben wir einen ganz hohen Prozentsatz, der nicht voll arbeitsfähig ist.
Das ist einer der Behandlungsansätze. Man vermutet, dass Mastzellen das sogenannte Mastzellaktivierungssyndrom über die Histaminproduktion – im Grunde genommen diese Inflammation und Zytokinausschüttung – unterhalten. Und es gibt Studien, die zeigen, dass eine Therapie mit H1- und H2-Antihistaminika zu einer Besserung von Symptomen führt.
Ganz oft besteht eine Nahrungsmittelintoleranz oder ein Auslösen der Symptome nach Nahrungsaufnahme. Dabei kann man mit histaminarmer Ernährung teilweise viel erreichen. Doch das muss man letztendlich von Patient zu Patient betrachten.
Das kann man pauschal nicht sagen – das hängt sehr von den Beschwerden der Patienten ab. Man sieht schon gehäuft thromboembolische Organkomplikationen. Das kann eine Myokarditis sein, eine Nierenschädigung oder Mikroembolien im Gehirn. Also das muss man von den Beschwerden abhängig machen und dann gerichtet gucken, wenn ein Patient klinisch auffällig ist. Pauschal etwas zu sagen, ist wenig sinnvoll, sonst diagnostiziert man sich zu Tode.
Es gibt die normale Standarddiagnostik, die hausärztlich abrechenbar ist. Allerdings gibt es im Moment noch kein Standardlabor, was all diese Entzündungsparameter und Autoimmunparameter erfassen würde. Einfach, weil es uns im Moment an Biomarkern fehlt sowie an Aussagekraft und Konsequenz zu diesen Befunden. Also die Frage bleibt: Was machen wir mit diesen Auffälligkeiten? Was aufgrund der Gerinnungspathologie sinnvoll ist – das wird bei Kardiologen gemacht – ist die Bestimmung von D-Dimeren und BNP. Also letztendlich Zeichen für eine kardiale Belastung oder auch für thrombotische Prozesse.
Es gibt in verschiedenen Studien immer mal den Nachweis, dass etwas in einer Patientengruppe erhöht ist – wenn man beispielsweise nach Interleukinen oder dem Komplementsystem guckt –, aber das ist sehr divers. Von daher wäre meiner Meinung nach viel Diagnostik ohne Konsequenz. Das hilft dem Patienten letztendlich auch nicht.
An den Post-Covid-Ambulanzen und Universitäten wird allerdings erweiterte Labordiagnostik in diese Richtung betrieben – als Studienansatz, um Biomarker zu finden.
Das kommt auf die Ausprägung an – über die Ischämie in der Muskulatur, Prozesse mit einer Rhabdomyolyse und wahrscheinlich einem nachweisbar erhöhten CK-Wert. Das werden insbesondere Patienten mit extremen Muskelschmerzen sein oder solche, die bei Belastung Ischämie-Symptome entwickeln.
Bei den meisten Patienten kommt der Geschmackssinn nach drei, vier Monaten zurück. Das ist der Regenerationszyklus des Riechepithels. Aber es gibt auch Betroffene, die über Monate Geruchsstörungen haben bzw. sind das meist Geschmacksstörungen. Und ich persönlich kann nur davon berichten, dass die Symptome bei Long Covid oder ME/CFS in Wellen verlaufen. Das heißt, immer wenn man sich etwas überlastet, löst man wieder Symptome aus. Das sind kleinere bis größere Wellen im Wochen- bis Monatsrhythmus, die man nicht richtig beeinflussen kann.
Meines Erachtens verhält sich das auch so bei der Geruchsstörung oder einem veränderten Sehvermögen. Das heißt: Sie werden mal besser, mal schlechter. Für mich ist das ein Ausdruck einer Neuroinflammation bzw. einer Inflammation, die irgendwo in der Peripherie entsteht und letztendlich zentral weitergeleitet wird und dort die entsprechende Fehlwahrnehmung auslöst. Das kann auf alle Fälle über Monate bestehen bleiben.
Das Häufigste – was die Betroffenen am einschränkendsten finden – sind die neurokognitiven Probleme. Insbesondere die Qualität der Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Informationsverarbeitung sind eingeschränkt. Und das ist für viele das Limitierende bezüglich der beruflichen Tätigkeit. Die neurokognitiven Probleme stehen im Vordergrund und fallen mit der Fatigue zusammen. Wobei die Fatigue in dem Fall über das, was das Wort eigentlich mit Erschöpfung meint, hinausgeht.
Dann die Myopathie: Muskelschmerzen im Rahmen der Belastungsintoleranz bei zu viel körperlicher Aktivität. Oft entsteht Muskelkater, weil sie lange nichts gemacht haben. Das ist aber kein Muskelkater, sondern eher eine Muskelschwere bzw. ein neuropathisches Brennen. Es kommt auch in Körperpartien auf, die man gar nicht bewegt hat. Oft ist der Schulter- und Nackenbereich betroffen. Was man auch häufig sieht, sind springende Schmerzen. Mal tut das eine Gelenk weh, dann tut die andere Sehne weh – also rheumatisch anmutende Erscheinungen. Viele Patienten haben anhaltende Atembeschwerden; neben der Belastungsintoleranz häufig noch Tinnitus.
Haarausfall gibt es auch – die regenerieren sich wieder. Also dominierend sind Atemprobleme, Neurokognition und Belastungsintoleranz mit Muskelschmerzen.
Das ist letztendlich ein Symptom der autonomen Dysfunktion – der Sympathikus ist ständig zugange und feuert. Unser Körper ist in einer permanenten Stresssituation und das führt zu Tachykardien und Extrasystolen – also zu kardialen Erscheinungen, die organisch kardial begründet sein können. Es gibt Myokarditiden – genauso wie bei anderen Viruserkrankungen –, aber sie können auch Ausdruck der autonomen Dysfunktion bzw. des sogenannten posturalen Tachykardiesyndroms (POTS) sein. Und das ist dann Ausdruck der Dysautonomie.
Es gibt keine Daten dazu, ob und wie das Risiko beeinflusst wird – das entscheidet nicht der Impfstoff. Es gibt eine Studie, die zeigt: Bei einer Impfung um den Infektionszeitraum herum ist das Risiko für Long Covid niedriger. Aber es gibt keine feste Datenlage dazu, nur einzelne, kleinere Studien.
In Bezug auf Probiotika gibt es Therapieansätze, die in kleineren Studien Erfolge mit einer Reduktion der Long-Covid-Symptomatik zeigen.
Das Mikrobiom ist etwas, was in den letzten Jahren zunehmend beforscht wird und wo man sicherlich nicht am Ende der Erkenntnisse ist. Ich finde, wenn man die Zusammenhänge kennt und weiß, nach einer COVID-19-Infektion die Darmflora mit Probiotika aufzubauen und zu stärken, kann man das tun. Da sind keinerlei Nebenwirkungen.
Man kann nur vermuten, dass die Höhenlage wie ein Höhentraining wirkt. Man könnte davon ausgehen, dass der Sauerstoffmangel Anpassungen induziert, die zu einer Ökonomisierung der Atmung führen und diese damit effizienter wird.
In einer Studie der Charité erfüllten etwa 50 % der Patienten 6 Monate nach der COVID-19-Erkrankung die Diagnosekriterien für ME/CFS. Eventuell hat da aber die Auswahl der Patienten eine Rolle gespielt: Alles Patienten, die sich mit anhaltenden Symptomen in der Fatigue Ambulanz der Charité vorgestellt hatten. Aktuell spricht man von 10–20 % ME/CFS bei Long-Covid-Betroffenen. Wirklich gute aktuelle Zahlen fehlen.
Man versucht in Studien, zunehmend Symptome zu clustern. Es ergibt sich in meiner Wahrnehmung dabei oft ein Cluster aus neurokognitivem Defizit, Fatigue und Muskelschmerzen. Das entspricht im Grunde ME/CFS. Wird aber nicht zwangsläufig so benannt. Die bewerteten Kriterien enthalten durchaus die Diagnosekriterien für ME/CFS.
Findet noch zu oft keine Beachtung. Insbesondere Rehakonzepte fangen das Kriterium nicht als wegweisend zur weiteren Therapiesteuerung ab. Daraus folgen Fehlbehandlungen.
Wenn Studien an Long Covid aufgezogen sind, setzen sie eine COVID-19-Erkrankung voraus. Aktuelle Forschungsansätze, die durch das BMG innerhalb einer nationalen Studiengruppe finanziert werden, beruhen auf dem Wissen über ME/CFS. Eine Subgruppe der Long-Covid-Betroffenen sind ME/CFS Patienten. Es gibt aber auch Patienten, die nach COVID-19 „nur“ unter anhaltenden Atembeschwerden oder Geruchsstörungen leiden. Daher kann man ME/CFS und Long Covid nicht gleichsetzen.