Der pränatale Bluttest zur Erkennung von Trisomien wird ab 1. Juli zur Kassenleistung, zumindest in Risikokonstellationen. Aber dieser Begriff ist schwammig – und Konflikte sind absehbar.
Es geht um den frühen Nachweis von fetalen Trisomien, konkret der Chromosomen 21, 18 und 13. In Konstanz wurde 2012 der erste nicht invasive pränatale Test (NIPT) auf den europäischen Markt gebracht. Hierbei wird einer Schwangeren ab der 10. SSW Blut abgenommen und die direkte Analyse zellfreier fetaler DNA vorgenommen.
Es ist die häufigste Trisomie. Bei Frauen im Alter zwischen 20 bis 29 Jahren werden 8–10 Down-Syndrome auf 10.000 Schwangerschaften diagnostiziert. Bei den 30-34-Jährigen sind es 17, bei den 35 bis 39-Jährigen etwa 52 Fälle auf 10.000 Schwangerschaften. Ist eine Frau über 40 Jahre alt, werden in dieser Altersgruppe 163 Kinder mit Trisomie 21 auf 10.000 Schwangerschaften beschrieben.
Das Krankheitsbild der Trisomie 21 reicht von nur leichten Beeinträchtigungen bis hin zu schwereren Formen körperlicher und geistiger Behinderung. Fakultativ werden Herzfehler, Wachstumsdefizite und Intelligenzminderungen in unterschiedlicher Ausprägung diagnostiziert. Dysmorphiezeichen wie nach lateral ansteigende Lidachsen, Makroglossie und Veränderungen an Händen und Füßen sind möglich. Lebenserwartung und Selbständigkeit hängen maßgeblich vom Grad der Beeinträchtigung und der individuellen Förderung ab. Menschen mit Down-Syndrom gelten als sozial gut integrierbar und lebensfroh.
In der Altersgruppe der 20 bis 34-Jährigen werden 2–3 Edwards-Syndrome auf 10.000 Schwangerschaften diagnostiziert, bei den 35 bis 39-Jährigen sind es 10 und bei den über 40-Jährigen 41 auf 10.000 Schwangerschaften.
Multiple Fehlbildungen an Kopf, Extremitäten und inneren Organe sind bei Trisomie 18 typisch. Das Geburtsgewicht ist niedrig und die geistige Retardierung kann, je nach Ausbildungsgrad, schwer sein. Die Lebenserwartung ist deutlich reduziert, so dass betroffenen Kinder bereits intrauterin, in den ersten Lebenstagen oder im ersten Lebensjahr versterben. Etwa 10 % der Lebendgeborenen werden bis zu fünf Jahre alt, wenige auch älter.
Insgesamt handelt es sich um ein seltenes Krankheitsbild. In der Altersgruppe der 20 bis 34-jährigen Schwangeren finden sich 1–2 Pätau-Syndrome, bei den 35 bis 39-Jährigen 4 und bei den über 40-Jährigen 10 auf 10.000 Schwangerschaften.
Bei Kindern mit Pätau-Syndrom werden ein Mikrozephalus, Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalten und Veränderungen der Extremitäten beschrieben. Der Grad an geistiger Retardierung ist unterschiedlich. Die Lebenserwartung ist ähnlich eingeschränkt wie bei der Trisomie 18.
Im Rahmen eines NIPT können weitere Untersuchungen vorgenommen werden, etwa eine numerische Abweichung der Geschlechtschromosomen, wie es beim Turner- oder Klinefelter-Syndrom der Fall ist. Auch die einfache Geschlechtsbestimmung ist möglich. Diese fallen nicht unter die allgemeine Kassenleistung.
Bei der Sensitivität eines klinischen Tests geht es um die Fähigkeit des Tests, Patienten mit einer Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-positiv). Bei der Spezifität eines klinischen Tests geht es um die Fähigkeit des Tests, Patienten ohne die Krankheit korrekt zu identifizieren (richtig-negativ).
Der prädiktive Vorhersagewert ist wichtig für eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient bei positivem Testergebnis tatsächlich krank und bei negativem Ergebnis gesund ist. Ausschlaggebend hierfür sind das Alter und andere Risikofaktoren, was bei diagnostischen Tests zu stark abweichenden Risikowerten führen kann.
Der NIPT erreicht bei gesunden Kindern in 99,91 % der Fälle ein richtig-negatives Ergebnis für das Risiko eines Down-Syndroms, unabhängig vom Alter der Mutter (Spezifität). Im Falle einer Trisomie 21 liegt das richtig-positive Ergebnis bei 99,2 % (Sensitivität). Anbieter von NIPT-Tests geben fast ausschließlich diese beiden Werte an. Berücksichtigt man jedoch das Alter der Schwangeren, ergibt sich ein schlechterer Vorhersagewert als es Sensitivität und Spezifität vermuten lassen.
Ist eine Frau 20 Jahre alt und befindet sich in der 16. Schwangerschaftswoche, beträgt die Prävalenz für ein Down-Syndrom ihres Kindes 1:1.177. Bei einem positiven Testergebnis liegt die Wahrscheinlichkeit für richtig-positiv bei 48 % (positiv prädiktiver Wert), bei einem negativen Ergebnis ist es zu 99 % korrekt negativ. Bei einer 40-jährigen Frau wäre das Risiko, dass ihr Kind eine Trisomie 21 hat, deutlich höher und wird mit 1:86 angegeben. Bei einem positiven Testergebnis liegt die Wahrscheinlichkeit für richtig-positiv hier bei 93 %.
Je nach Alter der Schwangeren hat ein erheblicher Teil der Kinder trotz positivem Ergebnis keine Trisomie. Noch gravierender gestaltet sich die Abweichung bei jungen Schwangeren für die Wahrscheinlichkeit einer richtig-positiven Diagnose bei einer Trisomie 13 oder 18. Ist der Test auf Trisomie 18 bei einer 20-jährigen positiv, liegt die Wahrscheinlichkeit für richtig-positiv bei 14 %, für Trisomie 13 bei 6 %. Bei einer 40-jährigen Frau steigt die Wahrscheinlichkeit für tatsächlich richtig-positiv auf 69 %. Fast jedes dritte Kind ist demnach nicht betroffen, trotz positivem Testergebnis.
Zu bedenken ist bei Diskussionen um die Pränataldiagnostik, dass Chromosomenstörungen nur einen geringen Anteil der kindlichen Fehlbildungen ausmachen. Viel häufiger sind beispielsweise nicht chromosomal bedingte fetale Herzfehler. Weiterhin können mütterliche Erkrankungen, wie ein Gestationsdiabetes oder eine Rötelinfektion, auch zu Fehlbildungen des Ungeborenen führen. Ein negativer Trisomietest entlastet also nur bedingt und setzt eine weiterhin gewissenhafte Schwangerenvorsorge, insbesondere Ultraschalldiagnostik, für einen guten Schwangerschaftsverlauf voraus.
Ein positives Testergebnis beunruhigt alle Beteiligten enorm. Es bedarf unbedingt einer weiteren Bestätigung, gerade in Anbetracht der angeführten hohen falsch-positiv Rate bei jüngeren Frauen.
Ist das Ergebnis nicht auswertbar, wid der Test wiederholt oder sofort eine Abklärung vorgenommen.
Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen die Kosten für einen NIPT auf Trisomie 21, 18 und 13, wenn:
Prinzipiell kann eine Schwangere auch nur Teilergebnisse des NIPT, etwa auf Trisomie 13 und 18, wählen.
Auf Praxen wird ein enormer Beratungsbedarf zukommen. Frauenärzte sind gut beraten, wenn sie die fachgebundene genetische Beratung (DocCheck berichtete) als Zusatzbezeichnung erwerben, um auf einen möglichen Ansturm vorbereitet zu sein.
Insbesondere Punkt 2 der Kostenübernahmebegründung ist uneindeutig und dehnbar. Würde in Zukunft die alleinige Befürchtung einer möglichen Trisomie genügen, um einen NIPT zu Lasten der Krankenkasse zu fordern? Anzunehmen ist auch eine Zunahme der Amniozentesen und Chorionzottenbiopsien, was wiederum unnötige Risiken bei den falsch-positiven Befunden verursacht. Die Ressourcen in Praxen, Pränatalzentren und Beratungsstellen könnten an ihre Grenzen geraten.
Schwangere müssen insgesamt viele Entscheidungen treffen. Nun kommen noch mehr schwerwiegende Fragen hinzu. Zum einen gilt immer das Recht auf Nichtwissen und das Glück einer unbelasteten Schwangerschaft. Zum anderen bieten negative Ergebnisse Entlastung, positive hingegen fordern mitunter lebensverändernde Entscheidungen oder helfen, sich auf das Unvorhergesehene einzustellen.
Rein wirtschaftlich betrachtet betragen die Kosten für die Versorgung eines erkrankten Kindes ein Vielfaches der Kosten für einen NIPT, einer Amniozentese und eines Schwangerschaftsabbruchs. Der Druck einer rein kommerziell orientierten Gesellschaft könnte auf Schwangere, die sich für ein Leben mit einem behinderten Kind entscheiden, steigen. Andererseits darf eine ethisch andersdenkende Gesellschaft Familien nicht alleine lassen, die ein Ja für ein Kind finden, das gesundheitlich beeinträchtigt ist.
Prof. Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, selbst Ärztin und Medizinethikerin, fasst die Problematik auf einem Forum zum Thema NIPT zusammen:
„Den einen sind die NIPT Mittel, um mehr reproduktive Selbstbestimmung zu garantieren und auch, um Schäden zu vermeiden, Risiken etwa durch invasive Eingriffe. Auf der anderen Seite gibt es viele, die Fragen stellen nach den Risiken und Folgen, die sich insbesondere daraus ergeben, wenn solche Tests eine Kassenleistung werden, für werdende Eltern, zukünftige Kinder, für bestimmte betroffene Gruppen, für die Gesellschaft.“
Corinna Rüffer, Sprecherin für Behindertenpolitik und Mitglied im Bundestag für Bündnis 90/Die Grünen, gibt folgendes Statement in einer Pressemitteilung:
„Die Erwartungshaltung an Schwangere, ein gesundes und nicht behindertes Kind auf die Welt zu bringen, wird zunehmen. Und die heutige Entscheidung wird dazu beitragen, dass ein Leben mit Beeinträchtigung als etwas Negatives erscheint, das es zu vermeiden gilt. Besonders fatal ist, dass die Kassen den Test nicht nur bei Risikoschwangerschaften, sondern im Prinzip grundsätzlich übernehmen werden, wenn die Sorge besteht, dass Kind könnte eine Behinderung haben. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass der Test künftig als ‚Screening‘ eingesetzt wird […]. Wollen wir ein Gesundheitssystem, dass Leistungen bezahlt, die der Selektion dienen? Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Kinder vorgeburtlich nach Behinderung und Gesundheit aussortiert werden?“
Nun ist die Entscheidung gefallen. Der Bluttest auf Trisomie 21, 18 und 13 wird ab dem 1. Juli 2022 zur Kassenleistung. Aufgrund der weiten Indikationsstellung wird es viel Beratungsbedarf und einen möglichen Anstieg der Testzahlen geben. Manche Frauen wird es entlasten und ihre Schwangerschaft unbeschwerter erleben lassen. Andere Frauen wird es vor eine der schwierigsten Entscheidung ihres Lebens stellen. Eine längst überfällige Reform oder der Beginn eines Dammbruchs?
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