Ein braunes Pulver als unschlagbare Geheimwaffe gegen Süchte – Ibogain wird im Internet und in Studien gleichermaßen gehypt. Was ist dran?
Das Halluzinogen Ibogain ist nach der Meinung mancher Internetforen ein wahrer Geheimtipp gegen Suchterkrankungen. Bereits eine Dosis des braunen Pulvers soll ausreichen, um das Verlangen nach Alkohol, Nikotin, Opiaten und Medikamenten zu mindern oder gar aufzuheben.
Ibogain ist ein natürlich vorkommendes Indolalkaloid, das aus der Wurzelrinde des afrikanischen Strauchs Tabernanthe iboga gewonnen wird. Auch eine Halbsynthese von Voacangin aus dem afrikanischen tropischen Baum Voacanga africana oder eine Vollsynthese sind möglich. Iboga wurde historisch als medizinisches und zeremonielles Mittel in indigenen Kulturen West- und Zentralafrikas zur Behandlung von Müdigkeit, körperlichen Krankheiten und als Sakrament in Initiationsritualen und Übergangsriten verwendet. Ibogain wurde ursprünglich in den 1930er Jahren in Frankreich als medizinisches Produkt namens Lamberene vermarktet und zur Behandlung von Depression, Müdigkeit und Infektionskrankheiten eingesetzt.
Die halluzinogene Wirkung von Ibogain ist nicht zu unterschätzen, außerdem kann es zu Herzversagen führen. Einem Team um Lindsay Cameron von der University of California ist es nun gelungen, eine unbedenklichere Variante von Ibogain zu synthetisieren. Tests in Zellkulturen und Tierversuche zeigten auch, dass die Substanz weniger giftig ist. Sie besitzt dennoch die entzugsfördernde Wirkung der ursprünglichen Zubereitung. Das Analogon Tabernanthalog (TBG) ist, im Gegensatz zu Ibogain, wasserlöslich und lässt sich in einem Schritt aus seinem natürlichen Vorbild synthetisieren. Es hat keine halluzinogene Wirkung.
Da Ibogain und Voacangin von schwer zu beschaffenden Pflanzen produziert werden, ist eine breite Anwendung dieser Chemikalien erschwert. Es besteht also ein Interesse daran, Ibogain und seine Derivate auf anderem Wege herzustellen. Inzwischen sind sie sogar vollständig synthetisierbar.
Forscher um Lu et al. fanden heraus, dass eine Einzeldosis TBG im Tierexperiment stressbedingte Verhaltensdefizite, einschließlich Angst und kognitive Inflexibilität, korrigieren kann und auch das Nachwachsen neuronaler Verbindungen fördert. Neuronale Schaltkreise im Gehirn werden wiederherstellt, die durch Stress gestört wurden.
Iboga und seine wichtigsten aktiven Alkaloide, Ibogain und Noribogain, sowie strukturell verwandte Alkaloide haben in den letzten Jahrzehnten zunehmende wissenschaftliche Aufmerksamkeit erlangt. Obwohl die vollständigen pharmakologischen Mechanismen noch nicht eindeutig geklärt sind, deuten die verfügbaren Daten auf eine Wirksamkeit bei der Behandlung von Opioidkonsumstörungen, Kokainkonsumstörungen und anderen Substanzgebrauchsstörungen hin. Seit der ersten Entdeckung von Ibogain wurden Hunderte von Alkaloiden identifiziert, die strukturelle und/oder biosynthetische Ähnlichkeiten mit Ibogain aufweisen.
Die Anti-Sucht-Eigenschaften von Ibogain sind seit den 1960er Jahren bekannt, obwohl diese anfänglichen Informationen ausschließlich auf anekdotischen Berichten von Heroinkonsumenten beruhten. Seit dieser Zeit haben mehrere offene und/oder retrospektive Studien darauf hingewiesen, dass Ibogain zur Behandlung von Substanzgebrauchsstörungen nützlich sein könnte, da es das Verlangen nach Drogen zu reduzieren, Entzugserscheinungen zu verringern und Rückfälle zu verhindern scheint.
Ergebnisse aus Zellkultur- und Tiermodellen deuten darauf hin, dass die Hochregulierung des von Gliazelllinien stammenden neurotrophen Faktors (GDNF) zu einer verringerten Ethanol-Selbstverabreichung beiträgt. Auch ein NMDA-Rezeptorantagonismus kann an den Wirkungen von Ibogain beteiligt sein. An diesem Rezeptor agiert das Narkoanalgetikum und Halluzinogen Ketamin. Auch die Blockade der nikotinischen α3β4-Rezeptoren als potenzielle Ursache für die beobachteten Auswirkungen einer reduzierten Alkohol- und Nikotinaufnahme nach oraler Einnahme vom Ibogainderivat 18-MC wurde vorgeschlagen.
Andere Theorien legen eine Modifikation der Opiatrezeptor-vermittelten Signalgebung als möglichen Mechanismus nahe. Während Serotonin (5-HT)-Rezeptor-Agonismus und Serotonin-Transporter-(SERT)-Hemmung an halluzinogenen oder mutmaßlichen antidepressiven Wirkungen beteiligt sein könnten, bleibt ihre genaue Rolle unklar.
Studien haben die Pharmacochaperon-Aktivität von Ibogain und Noribogain auf den SERT und den Dopamin-Transporter (DAT) beschrieben. Während Ibogain und Noribogain mit mehreren zentralnervösen Rezeptoren interagieren, haben Studien die stärksten Affinitäten von Ibogain für den Sigma2-Rezeptor, die Opioidrezeptoren, SERT und DAT gezeigt.
Die Wirkung von Ibogain-Erfahrung wird in drei Phasen unterteilt:
Berichte deuten darauf hin, dass Ibogain eine intensivere psychedelische Erfahrung hervorrufen kann als frühere Experimente mit hohen Dosen von Psilocybin. Die Teilnehmer berichten über Einsichten in Bezug auf den Sinn des Lebens, die Entwicklung des Universums, eines Leben nach dem Tod und einer Befreiung von Schuldgefühlen.
Die unbedeutende Wirkung auf humane CYP3A4-Enzyme und der Transportproteine OATP1B1/1B3 kann für die Anwendung von Ibogain und Noribogain klinisch vorteilhaft sein. Das Risiko unerwünschter Arzneimittelwechselwirkungen oder interindividueller Schwankungen im Zusammenhang mit metabolisierenden hepatischen Enzymen und Transportproteinen ist kaum vorhanden.
Ibogain-Probanden, die sich einer Opioid-Entgiftung unterzogen, berichteten laut Mash et al. über ein signifikant verringertes Verlangen nach Drogen, wie ihre Studie zeigt. „Angesichts der Tatsache, dass traditionelle Ansätze zur Entwicklung neuer Behandlungen für Opioidkonsumstörungen von der pharmazeutischen Industrie nicht vorangetrieben wurden, könnte Ibogain eine nicht süchtig machende Alternative sein, die als mögliche Lösung für die aktuelle Opioid-Medikamentenkrise in Amerika eine schnelle Überprüfung verdient“, so die Autoren. Obwohl gerade in Amerika die (iatrogene) Opiatsucht ein extremes Problem darstellt, ist diese Schlussfolgerung sicherlich auf Europa übertragbar.
In einer Metaanalyse von Bogenschütz et al. wurden insgesamt 743 Datensätze über die Anwendung von Ibogain und seinen Derivaten in der Suchtmedizin analysiert. Es wurden 24 Studien eingeschlossen, die 705 Personen untersuchten, die Ibogain oder Noribogain erhielten. Die Überprüfung umfasst zwei randomisierte, doppelblinde, kontrollierte klinische Studien, eine doppelblinde, kontrollierte klinische Studie, 17 offene Studien oder Fallserien (einschließlich Beobachtungs- oder retrospektive Studien), drei Fallberichte und eine retrospektive Umfrage. Die veröffentlichten Daten deuten darauf hin, dass Ibogain eine wirksame therapeutische Intervention im Zusammenhang mit Suchterkrankungen ist, die Entzugssymptome und Verlangen reduziert. Die Daten weisen auch auf einen günstigen Einfluss auf depressive und traumabedingte psychische Symptome hin. Einige eingeschlossene Studien haben jedoch über schwere medizinische Komplikationen und Todesfälle berichtet, die mit den neuro- und kardiotoxischen Wirkungen von Ibogain in Verbindung gebracht werden.
Eine Studie von Cloutier-Gill et al. beschrieb eine Remission schwerer Opiatabhängigkeit mit Ibogain bei einer 37-jährigen Patientin mit einem Opiatmissbrauch seit 19 Jahren. Im Rahmen eines stationären Ibogain-Programms erhielt sie über vier Tage insgesamt 32 mg/kg (2.300 mg) Ibogain-HCl. Zusätzlich erhielt sie am ersten bzw. zweiten Tag 32 mg und 45 mg Hydromorphon oral. Nach der Behandlung mit Ibogain hielt die Patientin 18 Monate lang eine Opioidabstinenz aufrecht. Sie hatte zuvor verschiedene Behandlungsmodalitäten durchgeführt, darunter eine Opioid-Substitutionstherapie mit Methadon.
Wilkinset et al. veröffentlichten einen weiteren Fall einer 47-jährigen Patientin, die wegen Opiatsucht behandelt wurde, indem sie Methadon absetzte und gleichzeitig die oralen Ibogain-Dosen (max. 600 mg/Tag) erhöhte. Die Patientin war vor der Ibogain-Behandlung 17 Jahre lang in Opioid-Substitutionstherapie mit Methadon. Nach Ibogain kehrte sie weder zu Opiaten, noch zum Konsum anderer illegaler Substanzen oder Benzodiazepine zurück.
Eine Studie von Davis et al. untersuchte an 88 Patienten die Anticravingwirkung bei Opiatabhängigkeit. Die meisten Teilnehmer (72 %) hatten seit mindestens vier Jahren Opioide konsumiert. 80 % gaben an, dass Ibogain die Entzugserscheinungen beseitigte oder drastisch reduzierte. 50 % berichteten, dass Ibogain das Verlangen nach Opioiden verringerte, 25 % berichteten von einer Verringerung des Verlangens, die mindestens 3 Monate anhielt. 30 % der Teilnehmer gaben an, nach einer Behandlung mit Ibogain nie wieder Opioide zu verwenden. Und über die Hälfte (54 %) dieser Suchtpatienten war seit mindestens 1 Jahr abstinent.
Zum Befragungszeitpunkt gaben 41 % aller Teilnehmer eine anhaltende Abstinenz (> 6 Monate) an. Obwohl 70 % der Gesamtstichprobe einen Rückfall nach der Behandlung berichteten, berichteten 48 % von einem geringeren Konsum gegenüber dem Niveau vor der Behandlung und weitere 11 % erreichten schließlich eine Abstinenz. „Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Ibogain mit einer Verringerung des Opioidkonsums, einschließlich vollständiger Abstinenz, verbunden ist und langfristige positive psychologische Ergebnisse hat“, so die Autoren.
Nicht nur beim Opiatentzug, sondern auch bei der Alkoholentwöhnung könnte Ibogain ein wirksames Mittel sein. Eine Studie von Henriques et al. zeigt, dass Ibogain in Tiermodellen die Selbstverabreichung von Ethanol reduziert. Bisher hatte jedoch keine Studie die Auswirkungen von Ibogain auf die durch Ethanol induzierte konditionierte Platzpräferenz (CPP) untersucht. Die vorliegende Studie zielte darauf ab, die Auswirkungen einer wiederholten Behandlung mit Ibogain auf die Wiederherstellung von CPP zu Ethanol bei männlichen Mäusen zu untersuchen. Die Belohnungseffekte von Ethanol (1,8 g/kg) oder Ibogain (10 oder 30 mg/kg, po) wurden mit dem CPP-Modell untersucht. Darüber hinaus bewerteten die Autoren die Auswirkungen einer wiederholten Behandlung mit Ibogain (10 oder 30 mg/kg, po) auf die Wiederherstellung von Ethanol-induzierter CPP.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Behandlung mit Ibogain im Ethanol-gepaarten Kompartiment die Wiederherstellung von Ethanol-induziertem CPP blockierte. Wichtig ist, dass diese Wirkungen 24 Stunden oder länger nach der letzten IBO-Behandlung beobachtet wurden. Ibogain war wirksam bei der Blockierung einer Ethanol-Priming-Wiederherstellung. In Nagetiermodellen zur Selbstverabreichung von Opioiden bewirkt Ibogain die größte Abnahme, wenn es in einer Dosis von 40 mg/kg verabreicht wird.
Behandlungen mit Ibogain gelten als sicher, wenn sie medizinisch ordnungsgemäß überwacht werden. Es wurden jedoch mehrere Fallberichte über Todesfälle oder unerwünschte Ereignisse im Zusammenhang mit der Einnahme von Iboga-Pflanzenmaterial oder Ibogain veröffentlicht. Es fehlt ein weltweiter medizinischer und juristischer Konsens. Obwohl klassische Halluzinogene für ein breites Spektrum psychiatrischer Erkrankungen untersucht wurden, sind kontrollierte klinische Studien mit Ibogain noch rar.
Bisher wurde bei einer Opiatabhängigkeit versucht, den Patienten mit Hilfe von Substitutionsmitteln auf ein legales Opiat einzustellen. Es handelt sich dabei lediglich um einen Tausch des Suchtmittels. Bei Nikotin wird neben einer Substitution eine Unterdrückung des Cravings versucht. Bei Alkohol wird ein Anticraving oder eine Aversion erzeugt. Bei Drogen wie Cocain werden lediglich die Entzugssymptome reduziert.
Und Iboagain? Es ist ein universelles Antisuchtmittel, dass seine Wirkung in weiteren Studien aber erst noch unter Beweis stellen muss. Doch die Hoffnung ist groß: Sogar ein Patent als Mittel zur Behandlung von Schmerzen und Drogenabhängigkeit ist bereits angemeldet.
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