Die deutschen Hautkrebs-Statistiken sehen düster aus. Dabei ist Deutschland das einzige Land weltweit, das sich ein Screening leistet. Was man besser machen kann, darüber diskutieren Dermatologen in Berlin.
Vision Zero! Der Begriff kommt aus der Luftfahrt, aber er wird mittlerweile in vielen Bereichen adoptiert. Einer davon: Die Onkologie in Deutschland, die sich aktuell zum Vision Zero Summit in Berlin versammelt. Weit entfernt von jeder „Vision Zero“ ist der Hautkrebs, das machte Prof. Dr. Alexander Katalinic vom Institut für Epidemiologie der Universität Lübeck deutlich. 13.700 maligne Melanome wurden vor 20 Jahren pro Jahr neu diagnostiziert. Mittlerweile sind es 25.200. Ein sattes Plus, mit dem das Melanom bei Frauen von Platz 7 auf Platz 4 und bei Männern von Platz 9 auf Platz 5 in den Inzidenzstatistiken des Zentrums für Krebsregisterdaten des RKI vorrückte.
An Neudiagnosen aller Arten von Hautkrebs würden für 2022 knapp 305.000 Erkrankungen erwartet, so Katalinic. Die tatsächliche Versorgungslast ist deutlich höher, weil insbesondere der helle Hautkrebs zu Rezidiven neigt, die nicht als eigene Fälle in die Inzidenzstatistiken eingehen. Wie viel des Inzidenzanstiegs der letzten 20 Jahre „real“ ist und wie viel ein Effekt des im Jahr 2008 eingeführten Screenings, das sei noch nicht ganz klar, so Katalinic. Derzeit stürben etwa 4.000 Menschen pro Jahr an Hautkrebs, davon 3.000 am Melanom und 1.000 am hellen Hautkrebs. Diese Zahl ist nicht gestiegen, was am Screening und/oder an besseren Therapien liegen könnte. Tatsache ist: Es sind unverändert 4.000 Todesopfer zu viele auf dem Weg zu einer Vision Zero in der Dermatoonkologie.
Das deutsche Hautkrebsscreening gilt für Menschen ab 35 Jahre und kann alle zwei Jahre wahrgenommen werden. Ziel des Screenings ist Sekundärprävention, also die Erkennung von insbesondere Melanomen in frühen Stadien. Hier gibt es eine eindeutige, umgekehrte Korrelation mit der Sterblichkeit. Katalinic präsentierte Daten des Zentrums für Krebsregisterdaten und des Tumorregisters München. Sie zeigen, dass das 5-Jahres-Überleben nach Resektion eines Melanoms im Stadium I bzw. bei einer Tumordicke < 1 mm praktisch 100 % beträgt. Im Stadium II bzw. bei einer Tumordicke < 2 mm sind es immer noch zwischen 80 % und 90 %. Erst danach geht es steil nach unten. Im Stadium IV erleben nur 32 % der Frauen und 19 % der Männer das fünfte Jahr nach Diagnose.
Deutschland ist weltweit das einzige Land, dass sich ein Hautkrebs-Screening leistet. Das deutsche Screening umfasst die visuelle Ganzkörperinspektion, seit 2020 fakultativ ergänzt um eine Dermatoskopie. Es kann zweistufig bei Hausarzt und Dermatologen oder einstufig beim Dermatologen stattfinden. Randomisierte, kontrollierte Studien zur Effektivität des Screenings gebe es leider keine, so Katalinic. Und auch die deutschen Daten der letzten 20 Jahre lassen keinen eindeutigen Rückschluss auf eine Effektivität zu. So würden zwar vermehrt Frühstadien diagnostiziert, es gebe aber in der Fläche keinen relevanten Rückgang der fortgeschrittenen Stadien.
Was es recht aktuell gibt, sind Modellierungen aus dem PERTIMO-Projekt, das über den Innovationsfonds im Zeitraum 2020 bis 2022 gefördert wurde und bei dem die Lübecker mit Prof. Matthias Augustin vom Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf kooperierten. Hier wurden verschiedene Screening-Szenarien modelliert, und dass Ergebnis spricht deutlich für eine Abnahme der Melanom-Mortalität.
Entscheidend sei mit Blick auf das Screening daher, die Defizite zu analysieren und zu beseitigen, so Katalinic. Zu diesen Defiziten zählt der Epidemiologe die Tatsache, dass es kein Einladungsprozedere gebe und dass die Teilnahmerate mit 20 % bis 30 % entsprechend niedrig sei. Die Corona-Pandemie habe hier nicht geholfen, so Katalinic. In diese Richtung deuten zumindest Daten, die die AOK im Februar vorgelegt hatte. Demnach gingen in der Pandemie auf Halbjahresbasis nur 6–7 % der Versicherten zum Screening, nach knapp 9 % vor der Pandemie.
Schwierig sei auch, dass die nur rudimentäre Dokumentation des Screenings als Grundlage für eine wissenschaftliche Evaluation nicht besonders geeignet sei. Auch gebe es keinerlei Feedback in Richtung der screenenden Ärzte über die jeweilige Screening-Performance, sprich Rückmeldungen über fälschlich entfernte oder ggf. übersehene Melanome.
Insgesamt sei Deutschland mit seiner dermatologischen Versorgungslandschaft gut aufgestellt für eine leistungsfähige Sekundärprävention, betonte Augustin. Die Hamburger haben sich vor einigen Jahren die Unterschiede zwischen Deutschland und den Niederlanden etwas genauer angesehen, wo die 10-Jahres-Sterblichkeit am Melanom deutlich höher war als in Deutschland. An äußeren Faktoren von Hauttyp über durchschnittliche UV-Exposition bis hin zu Solariumsnutzung habe es nicht gelegen. Denn da unterscheiden sich die beiden Länder kaum.
Der entscheidende Unterschied war die Versorgungsinfrastruktur: Während in Deutschland ein erheblicher Anteil der Patienten direkt beim Dermatologen auftauchte, gab es in den Niederlanden zum damaligen Zeitpunkt ein hausärztliches Gatekeeper-System. Das führte dazu, dass im Mittel rund dreimal so viel Zeit von erstem Arztkontakt bis zur Melanom-Diagnose verstrich.
Augustin berichtete in Berlin auch noch über erste gesundheitsökonomische Ergebnisse des bereits angesprochenen PERTIMO-Projekts aus dem Innovationsfonds. Zugrunde liegen dieser Berechnung Daten der DAK. Demnach sind die Fallkosten bei einem im Screening identifizierten Melanom im Schnitt um 47 % niedriger als bei einem außerhalb des Screenings detektierten Melanoms. Bei Plattenepithelkarzinomen und Basalzellkarzinomen sind es immerhin noch 10 %.
Umgerechnet auf Euro beträgt die Ersparnis damit im Mittel 71 Euro pro Fall jeglichen Hautkrebses. Wird das mit den Screening-Kosten gegengerechnet, dann zahlt die GKV im Schnitt 2,70 Euro pro Versicherten für das Screening. Überschaubar also, und Augustin zeigte sich überzeugt, dass dieser Wert noch weiter fallen werde, da die Kosten für die Krebstherapie beim fortgeschrittenen Melanom mit den mittlerweile zur Verfügung stehenden Medikamenten massiv angestiegen seien.
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