Eine durchgemachte Corona-Infektion stellt noch Wochen später ein erhebliches Risiko für geplante OPs dar. Aber richtig gefährlich wird es, wenn der Patient diese Infektion verheimlicht.
Eine Infektion mit Covid zu verschweigen wird so langsam salonfähig. Man will sich den Urlaub, die Abschlussfeier oder what ever nicht vermiesen lassen. Ist ja „nur ein Schnupfen“, manche fühlen sich nicht mal richtig krank.
Dies haben wir immer noch sehr effektiven Impfstoffen, aber auch einer Laune der Natur zu verdanken – die aktuelle SARS-CoV-2-Variante ist im Akutverlauf weniger lebensbedrohlich geworden. Viele nehmen das daher gar nicht mehr ernst; Teile der Bevölkerung haben die Pandemie für beendet erklärt. Richtig krank kann man davon trotzdem werden. Und vor allem sehen wir in der Klinik Nachwirkungen der Erkrankung, die weit über den akuten Verlauf von 1–2 Wochen hinaus gehen. Die Infektion zu verschweigen ist daher im besten Fall nur egoistisch oder fahrlässig.
Zumindest im Fall geplanter Operationen ist es unter Umständen wirklich gefährlich. Ich erkläre auch gerne, warum. Wir fragen vor jeder Operation nicht nur den Impfstatus ab, sondern auch ob und wann eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht wurde. Dabei ist es relativ unerheblich, ob man einen milden Verlauf hatte. Im Körper scheint die Erkrankung deutlich länger Folgen zu haben – auch wenn man im Alltag nichts mehr davon bemerkt. Obwohl Covid nur sehr milde verläuft und der Körper sich bereits scheinbar vollständig erholt hat, scheint auf zellulärer Ebene noch deutlich mehr zu sein.
„Empfindliche Bronchien“ – ich halte das bewusst simpel –, sind ein Teil davon. Wir hatten alleine an unserem Standort etwa in den letzten vier Monaten drei Patienten bei denen wir unsere liebe Not hatten, die Patienten zu retten. Elektive OPs (Hammerzeh, Galle, sowas …) und in der Narkose plötzlich ein kompletter Einbruch der Sauerstoffwerte. Ähnlich einem schwersten Asthmaanfall war nur unter Zuhilfenahme mehrerer Medikamente und sehr hoher Beatmungsdrücke überhaupt Sauerstoff in den Körper zu bekommen. Anders als bei einem Asthmaanfall reagierten diese Patienten aber nicht auf die typischen Medikamente. Wir haben diese Patienten diagnostisch auf den Kopf gestellt. Nichts zu finden. Alle hatten gemeinsam, dass sie im Schnitt 2–4 Monate vorher Covid hatten.
Das ist natürlich alles nur empirisch und uns fehlt noch die nötige Evidenz. Wenn man sich mit anderen Anästhesisten unterhält, ähnelt sich das Schema. Wir sehen seit etwa einem Jahr immer mal wieder Patienten, die in der Voruntersuchung komplett unauffällig sind. Wir messen nicht erst seit Corona bei allen Patienten die Sättigung unter Raumluft. Normal sind Werte über 97 % – bei Rauchern auch etwas weniger.
Obwohl im Narkosevorgespräch und in der Voruntersuchung alles normal ist, gibt es immer mal wieder den Fall, dass an sich gesunde, junge Menschen in der Narkose schlagartig kaum noch zu beatmen sind und teilweise auch ein erheblicher Abfall der Sauerstoffkonzentration im Blut zu beobachten ist. Man kann dann meist nur klares Sekret absaugen, manchmal aber noch nicht mal das.
In einer solchen, akut lebensbedrohlichen Situation sind schnell mehrere Teams aus erfahrenen Oberärzten und Pflegekräften da. Wir bronchoskopieren, rekrutieren, inhalieren, sonografieren… aber meist findet sich nichts. Also nichts, was diesen Zustand erklären würde – außer eine Covid-Anamnese.
Keine Sorge – ich werde nicht vorschnell den Fehler machen Korrelation und Kausalität zu verwechseln. Aktuell sind oder waren viele Menschen an Covid erkrankt. Da wäre es unseriös direkt von dem einen aufs andere zu schließen. Am Anfang eines Wissenszugewinns steht immer eine Theorie, ein vermuteter Zusammenhang. Es wäre Aufgabe zukünftiger Forschung hier durch einen Abgleich größerer Daten oder ein Reportingsystem herauszufinden, ob es einen ursächlichen Zusammenhang zwischen einer durchgemachten Covid-Infektion und dieser Form von schweren Narkosezwischenfällen gibt.
Was wir heute schon wissen: In den ersten Wochen nach einer durchgemachten Coronainfektion gibt es ein messbar erhöhtes Risiko für Narkosezwischenfälle. Daher gab es eine gemeinsame Empfehlung des „Berufsverband der Deutschen Chirurgen“ und des „Berufsverband Deutscher Anästhesisten“ zur Terminierung elektiver chirurgischer Eingriffe nach COVID-19-Infektion. Im originalen Wortlaut heißt es: „Ein elektiver Eingriff sollte daher, wenn möglich, frühestens sieben Wochen nach Symptombeginn einer stattgehabten COVID-19-Infektion und fehlender fortbestehender Symptomatik erfolgen.“ Wichtig: Erst nach Abklingen der letzten Symptome beginnen diese sieben Wochen Sicherheitspuffer!
Das Paper und die Originalarbeiten in denen das erhöhte Risiko nachgewiesen wurde könnt ihr im Original hier nachlesen.
Übrigens: Auch nach einer Impfung soll gewartet werden. Hier reicht aber eine Woche. Dabei geht es nur darum, etwaige Symptome wie Fieber, grippeartige Symptome oder Schüttelfrost – welche nach einer Impfung auftreten können – von Komplikationen wie einer bakteriellen Entzündung nach einer Operation sauber trennen zu können. Das ist etwas gänzlich anderes, als das Sicherheitsintervall nach durchgemachter Infektion.
Unter diesen sieben Wochen sollte eine OP nur nach sehr sorgfältiger Güterabwägung und wenn möglich dann am besten in Regionalanästhesie durchgeführt werden. Das gilt ausdrücklich nur für planbare, also elektive Operationen. Das gilt natürlich nicht für Notfall-OPs oder dringliche Operationen. Sollte eine OP auch kurz nach oder sogar während man an COVID-19 erkrankt ist durchgeführt werden, so machen wir das unter größtmöglichen Sicherheitsvorkehrungen.
Und selbst wenn es zu Komplikationen kommt – keine Angst, darauf sind wir vorbereitet. Das ist unser Job. Wenn es ein Problem gibt, haben wir dafür einen oder mehrere Pläne. Wir können das, dafür sind wir ausgebildet. Allerdings ist es wichtig, euren Patienten zu sagen, dass sie ehrlich kommunizieren sollen, wenn sie zuletzt eine Infektion hatten. Egal ob der Patient noch schnell das Metall von der OSG-Fraktur vor dem Urlaub raushaben will und sich schon seit 5 Wochen fit fühlt. Er sollte das aus eigenem Interesse lassen.
Mit Gesundheit spielt man nicht.
Zwar haben wir immer einen Plan B in der Tasche, aber es ist besser für den Patienten und für uns, wenn wir den nicht brauchen.
Bildquelle: Waldemar Brandt, unsplash