20 Millionen Deutsche müssten mit Cholesterinsenkern behandelt werden – aber nur 5 Millionen bekommen tatsächlich Statine und Co. verschrieben. Was müssen Ärzte besser machen?
Es ist vermutlich einer der am besten belegten Zusammenhänge in der Medizin: Ein erhöhter Spiegel an LDL-Cholesterin trägt zur Entstehung von Atherosklerose bei. Aus genetischen, epidemiologischen sowie Interventionsstudien ist klar: Je höher das LDL-Cholesterin (LDL-C), desto höher ist auch das Risiko des Patienten, an einer kardiovaskulären Erkrankung (CVD) zu erkranken. Moderne Cholesterinsenker könnten dem entgegentreten – dafür müssten sie aber auch eingesetzt werden.
„Wir behandeln erstens nicht nur zu selten, sondern zweitens […] auch nicht erfolgreich genug“, so das deutliche Urteil von Prof. Alexander Mann, ärztlicher Leiter des Endokrinologikums Frankfurt (Main). Auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie und der Deutschen Diabetes Gesellschaft sprach er über die aktuelle Unterversorgung und räumte dabei mit dem ein oder anderen Vorurteil auf.
Zunächst einmal sei vorweg gesagt, dass der LDL-C-Wert natürlich nicht der einzige Maßstab dafür ist, ob ein Patient eine CVD erleidet oder nicht: Ein niedriger Wert ist kein absoluter Schutz und ein hoher Wert ist umgekehrt auch keine Garantie für den Herzinfarkt. Das individuelle Risiko setzt sich bekanntermaßen aus verschiedenen zusätzlichen Faktoren zusammen, wie beispielsweise der genetischen Veranlagung, Blutdruck, BMI und Komorbiditäten. Ergibt sich in der Gesamtschau aber ein hohes bis sehr hohes Risiko, ist die cholesterinsenkende Therapie unabdinglich.
Selten sind diese Risikopatienten beileibe nicht. Mann rechnet vor: Zählt man Patienten mit Typ-2-Diabetes, koronarer Herzkrankheit, peripherer arterieller Verschlusskrankheit und anderen Durchblutungsstörungen zusammen, kommt man in Deutschland auf geschätzt 20 Mio. Kandidaten, die von einer medikamentösen Therapie höchstwahrscheinlich profitieren würden. Tatsächlich behandelt werden davon aber nur etwa 5 Mio.
Selbst wenn die Patienten behandelt werden, heißt das leider noch lange nicht, dass die Behandlung auch gut genug ist. Mann verweist auf die Ergebnisse der EUROASPIRE V-Studie, die die Cholesterinwerte von Probanden nach einem CVD-Ereignis untersuchte und zum ernüchternden Ergebnis kam, dass nur 30 % der Betroffenen unter dem damals noch gültigen Zielwert von 70 mg/dl LDL-C lagen. Der Zielwert wurde seitdem noch weiter abgesenkt und liegt für Patienten mit einem hohen Risiko nun bei < 55 mg/dl.
Stellt sich die Frage, woher kommen die besorgniserregenden Zahlen? Mehrere Faktoren spielen zusammen. Oft wissen die Patienten nichts von ihren hohen LDL-C-Werten – solange nichts Drastisches passiert, spürt man die hohen Cholesterinwerte schließlich nicht. Die familiäre Vorgeschichte ist ein wichtiger Anhaltspunkt, auf den die Patienten auch achten sollten: Genetisch bedingte Hypercholesterinämien sind nicht selten, in ihrer heterozygoten Variante schätzt Mann die Prävalenz auf etwa 1 : 300.
Fällt bei einem Patienten ein hoher Cholesterinwert auf, liegt es dann auch am Arzt, das kardiovaskuläre Risiko korrekt einzuschätzen und bei hohem Risiko die Therapie einzuleiten. Hier tut sich jedoch oft das nächste Problem auf: Verunsicherung durch Fehlinformationen und Unterschätzung des Risikos führen dazu, dass die Patienten ihre verschriebenen Medikamente nicht einnehmen.
Mann zufolge hilft es, die möglichen Nebenwirkungen offensiv anzusprechen und zu erläutern, um die Adhärenz zu erhöhen. Denn – natürlich – gehen mit einer wirksamen Therapie auch gewisse Nebenwirkungen einher. Bei den Statinen beispielsweise betrifft dies in den meisten Fällen den Bewegungsapparat; etwa 10 % der Patienten beklagen Muskelschmerzen. Auch Dyspepsien, Kopfschmerzen und Müdigkeit treten häufig auf. Mann verweist auch darauf, dass Statine in geringfügigem Maße die Entstehung von Diabetes-Typ-2 fördern können; die Reduktion des kardiovaskulären Risikos überwiege bei Risikopatienten jedoch bei weitem.
Bei ansonsten gesunden Patienten reicht mitunter eine einfache Lebensstiländerung mit fettarmer Kost und mehr Sport aus, um bei Bedarf das LDL-C zu senken; bei den Risikogruppen ließe sich dieses Ziel aber nur mit einer medikamentösen Therapie erreichen, betont Mann. Gewissermaßen der Goldstandard seien hier die bereits erwähnten Statine, wie Atorvastatin und Rosuvastatin. Sie sind sowohl für Primär-, als auch Sekundärprävention geeignet – und haben sich schon lange im Einsatz bewährt.
Statine sind aber längst nicht die einzigen Werkzeuge, die zur Verfügung stehen. Werden sie vom Patienten nicht gut vertragen oder reichen sie alleine nicht aus, um den Zielwert zu erreichen, empfiehlt sich der Wechsel zu bzw. die Kombination mit einem anderen Präparat. In Frage kommt zum Beispiel der Absorptionshemmer Ezetimib. Mann zufolge kann die Kombinationstherapie eine Reduktion des LDL-C um bis zu 60 % erreichen.
Reicht das nicht aus, bieten sich als weitere Alternativen Bempedoinsäure und PCSK-9-Hemmer wie Alirocumab und Evolocumab an. Letztere werden vor allem bei Patienten mit schwerer familiärer Hypercholesterinämie und insbesondere in der Sekundärprävention eingesetzt. Die subkutan zu gebenden Antikörper ermöglichen eine zusätzliche Senkung um 50–60 %. Als Ultima Ratio bleibt die Lipidapherese. „Wir haben einen hervorragend ausgestatteten Werkzeugkasten, wir müssen ihn nur nutzen!“, sagt Mann.
Abschließend betont er noch einmal das vornehmliche Ziel in der Cholesterinsenkung. Es gehe nicht darum, zu diskutieren ob ein ansonsten gesunder Patient bei erhöhten Cholesterinwerten nun Statine nehmen sollte oder nicht – das Hauptziel sollte viel mehr sein, Hochrisikopatienten zu identifizieren und ihre Versorgung zu verbessern.
Und übrigens: Die Angst vor einer zu starken Senkung des LDL-C ist unbegründet. Als wichtiger Grundbaustein für Hormone und der Zellmembran erfüllt Cholesterin zwar eine physiologische Aufgabe; Mann verweist jedoch explizit darauf, dass bisherige Studien gezeigt hätten, dass der Nutzen für die Patienten umso größer sei, je mehr das LDL-C gesenkt werde. Hinweise darauf, dass man durch die medikamentöse Therapie die Werte in gefährliche Bereiche senkt, habe es dabei keine gegeben: „Das ist ein irrationaler Gedanke.“
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