US-Forscher haben abgebildet, wie viele Leben weltweit durch die Corona-Impfungen gerettet werden konnten. Allerdings: Gerecht ging es nicht zu.
Laut einer mathematischen Modellierungsstudie haben die Corona-Impfstoffe im Jahr nach ihrer Einführung die potenziell weltweiten Todesfälle um mehr als die Hälfte reduziert. Die Ergebnisse wurden in The Lancet Infectious Diseases veröffentlicht. Im Gegensatz zu vorigen Studien, die sich auf bestimmte Regionen oder Städte konzentrierten, liefert die vorliegende Studie erstmals Zahlen der direkt und indirekt verhinderten Todesfälle im globalen Kontext.
So konnten im ersten Jahr des Impfprogramms weltweit 19,8 Millionen von potenziell 31,4 Millionen Covid-bedingten Todesfällen verhindert werden. Das ergaben Berechnungen, die auf Daten aus 185 Ländern und Regionen basieren. Der Studie zufolge hätten weitere 599.300 Menschenleben gerettet werden können, wenn das Ziel der WHO, bis Ende 2021 in jedem Land 40 % der Bevölkerung mit zwei oder mehr Dosen zu impfen, erreicht worden wäre.
Dr. Oliver Watson vom Imperial College London und Hauptautor der Studie sagt: „Unsere Ergebnisse bieten die bisher umfassendste Bewertung der globalen Auswirkungen, die die Impfung auf die COVID-19-Pandemie hatte. Von den 19,8 Millionen Todesfällen, die im ersten Jahr nach der Einführung der Impfstoffe verhindert werden konnten, wurden fast 7,5 Millionen Todesfälle in den Ländern verhindert, die von der COVID-19 Vaccine Access Initiative (COVAX) erfasst wurden. Unsere Ergebnisse zeigen, dass Menschenleben dadurch gerettet werden konnten, dass Impfstoffe für alle Menschen, unabhängig von ihrem Wohlstand, zugänglich gemacht wurden.“
Er ergänzt: „Es hätte jedoch noch mehr getan werden können. Wären die von der WHO gesetzten Ziele erreicht worden, hätte nach unseren Schätzungen etwa jedes fünfte der geschätzten Covid-bedingten Todesopfer in Ländern mit niedrigem Einkommen verhindert werden können.“
Seit der Verabreichung des ersten COVID-19-Impfstoffs außerhalb einer klinischen Studie am 8. Dezember 2020 haben 66 % der Weltbevölkerung mindestens eine Dosis eines COVID-19-Impfstoffs erhalten. Trotz der Geschwindigkeit, mit der der Impfstoff weltweit eingeführt wurde, sind seit der Verabreichung der ersten Dosen im Dezember 2020 mehr als 3,5 Millionen COVID-19-Todesfälle gemeldet worden.
Gregory Barnsley, einer der Erstautoren der Studie, erklärt: „Die Quantifizierung der Auswirkungen von Impfungen auf der ganzen Welt ist eine Herausforderung, da der Zugang zu Impfstoffen von Land zu Land unterschiedlich ist – ebenso wie unser Wissen darüber, welche SARS-CoV-2-Varianten zirkulieren, da für viele Länder nur sehr begrenzte Sequenzierungsdaten zur Verfügung stehen. Es ist auch nicht möglich, direkt zu messen, wie viele Todesfälle es ohne Impfungen gegeben hätte. Die mathematische Modellierung bietet hier ein nützliches Instrument zur Bewertung alternativer Szenarien, die wir im wirklichen Leben nicht direkt beobachten können.“
Um die Auswirkungen globaler Impfprogramme abzuschätzen, benutzten die Forscher ein etabliertes Modell, welches nationale Daten offiziell erfasster COVID-19-Todesfälle, die zwischen dem 8. Dezember 2020 und dem 8. Dezember 2021 auftraten, verwendet.
Um die unzureichende Meldung von Todesfällen in Ländern mit schwächeren Überwachungssystemen zu berücksichtigen, führten sie eine separate Analyse durch, die sich auf die Übersterblichkeit im gleichen Zeitraum bezieht. In den Fällen, in denen keine offiziellen Daten vorlagen, verwendete das Team Schätzungen der Übersterblichkeit. Diese Analysen wurden mit einem alternativen hypothetischen Szenario verglichen, bei dem keine Impfstoffe verabreicht wurden.
Das Modell berücksichtigte Unterschiede in den Impfraten und der Wirksamkeit der Impfstoffe in den einzelnen Ländern. Die Daten beruhen auf der Grundlage der Impfstofftypen, von denen bekannt ist, dass sie in diesen Gebieten überwiegend verwendet wurden. China wurde nicht in die Analyse einbezogen, da es eine große Bevölkerung hat und sehr strenge Sicherheitsvorkehrungen trifft, was die Ergebnisse verfälscht hätte.
Das Team fand heraus, dass 79 % (15,5 Mio.) der verhinderten 19,8 Mio. Todesfälle auf den direkten Schutz vor schweren Verläufen durch die Impfung zurückzuführen waren. Die restlichen 4,3 Millionen verhinderten Todesfälle waren Schätzungen zufolge auf den indirekten Schutz durch die geringere Übertragung des Virus in der Bevölkerung und die geringere Belastung der Gesundheitssysteme zurückzuführen, wodurch der Zugang zur medizinischen Versorgung für die Bedürftigsten verbessert wurde.
Mit dem Fortschreiten der Pandemie veränderte sich die Wirkung des Impfstoffs in verschiedenen Regionen der Welt: In der ersten Hälfte des Jahres 2021 wurden die meisten Todesfälle durch Impfungen in Ländern mit niedrigem bis mittlerem Einkommen verhindert, was auf die große Epidemiewelle beim Auftreten der Delta-Variante in Indien zurückzuführen war. In der zweiten Hälfte des Jahres 2021 waren die größten Auswirkungen in Ländern mit höheren Einkommen zu verzeichnen, da die Reisebeschränkungen und die soziale Durchmischung in einigen Gebieten gelockert wurden – was zu einer stärkeren Übertragung des Virus führte.
Insgesamt war die geschätzte Zahl der verhinderten Todesfälle in Ländern mit hohen Einkommen am höchsten, was auf die frühere und umfassendere Durchführung von Impfkampagnen zurückzuführen ist.
In 31 afrikanischen Länder hätten 132.700 Todesfälle verhindert werden können, wenn dort das Ziel der COVAX-Verpflichtung, 20 % der Bevölkerung zu impfen, eingehalten worden wäre.
Auch die Verfehlung des WHO-Ziels, bis Ende 2021 40% der Bevölkerung jedes Landes vollständig zu impfen, hat schätzungsweise zu weiteren 599.300 Todesfällen beigetragen, die verhindert hätten werden können.
Der Großteil dieser Todesfälle entfiel auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen (347.500 von 599.300 [59,7 %]). Regional gesehen entfielen die meisten dieser Todesfälle auf Afrika und im östlichen Mittelmeerraum. Wäre das 40-Prozent-Ziel in allen einkommensschwachen Ländern erreicht worden, hätte sich die Zahl der durch Impfungen verhinderten Todesfälle in diesen Gebieten mehr als verdoppelt.
Prof. Azra Ghani, Inhaberin des Lehrstuhls für Epidemiologie am Imperial College London: „Unsere Studie zeigt den enormen Nutzen, den Impfstoffe bei der Verringerung der Todesfälle durch COVID-19 weltweit hatten. Auch wenn die Pandemie jetzt nicht mehr im Mittelpunkt steht, müssen wir dafür sorgen, dass die am stärksten gefährdeten Menschen in allen Teilen der Welt vor der weiteren Verbreitung von COVID-19 und anderen schweren Krankheiten geschützt werden, von denen die Ärmsten weiterhin unverhältnismäßig stark betroffen sind. Die Gewährleistung eines gerechten Zugangs zu Impfstoffen ist von entscheidender Bedeutung, erfordert aber mehr als nur Impfstoffspenden. Die Verteilung von Impfstoffen und die Infrastruktur müssen verbessert werden, ebenso wie koordinierte Anstrengungen zur Bekämpfung von Fehlinformationen über Impfstoffe und zur Steigerung der Nachfrage nach Impfstoffen. Nur so können wir sicherstellen, dass jeder die Möglichkeit hat, von diesen lebensrettenden Technologien zu profitieren.“
Die Autoren weisen auf mehrere Einschränkungen ihrer Studie hin. Insbesondere beruht ihr Modell auf einer Reihe von Annahmen, darunter die genauen Anteile der verschiedenen Impfstofftypen, die Art ihrer Verabreichung und der genaue Zeitpunkt, zu dem neue Virusvarianten in den einzelnen Ländern eingeführt wurden. Außerdem wurde vorausgesetzt, dass die Beziehung zwischen dem Alter und dem Anteil der COVID-19-Todesfälle unter den Infizierten für jedes Land gleich ist. Generell sollten die Ergebnisse vor dem Hintergrund der Unsicherheiten bei der Berechnung der tatsächlichen Zahl der Todesopfer betrachtet werden, die sich auch aus der unterschiedlichen Berichterstattung über die COVID-19-Mortalität ergeben.
In einem verlinkten Kommentar schrieb Professorin Alison Galvani von der Yale University School of Public Health, die nicht an der Studie beteiligt war, Folgendes: „Die Rettung von mehr als 19 Millionen Menschenleben durch die schnelle Entwicklung und Einführung der COVID-19-Impfstoffe ist eine außergewöhnliche Leistung im Bereich der globalen Gesundheit. Dennoch könnten Millionen zusätzliche Leben durch eine gerechtere Verteilung der Impfstoffe gerettet werden.“ Sie fügte hinzu: „Eine hohe Durchimpfungsrate in einem einzelnen Land kommt nicht nur diesem Land zugute, sondern trägt auch dazu bei, die Übertragung und das Auftreten neuer Varianten weltweit zu verringern. Ein dauerhaftes kollektives Handeln ist sowohl pragmatisch als auch ethisch zwingend erforderlich.“
Dieser Text basiert auf einer Pressemitteilung von The Lancet. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Braňo, Unsplash