Lauterbach will die GKV-Finanzen in den Griff kriegen, aber sein Maßnahmenkatalog enttäuscht so ziemlich alle. Hier gibt’s die Details.
Das Grundproblem in Kürze: Mit einem erwarteten Defizit von 17 Milliarden Euro für 2023 hat Lauterbach ein dickes – von seinem Vorgänger geerbtes – Brett zu bohren, um die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) vor dem Kollaps zu bewahren. Sein Rettungsplan dreht dazu nun an jeder Menge kleiner Stellschrauben und konzentriert sich dabei darauf, einen Großteil des Geldes aus Einmalmaßnahmen zu akquirieren – anstatt Strukturreformen zu wagen. Protest und Missmut sind da programmiert.
Zentraler bzw. finanzstärkster Punkt seines Plans ist: ein Abschmelzen der Krankenkassen- und Gesundheitsfonds-Finanzreserven, wovon sich Lauterbach eine Deckung von insgesamt 6,6 Milliarden Euro verspricht (4 Milliarden von den Krankenkassen, 2 Milliarden aus dem Gesundheitsfonds).
On top kommen ein erhöhter Steuerzuschuss um 2 Milliarden Euro, zusätzlich zu den gesetzlichen 14,5 Milliarden, die nicht zur Debatte stehen. Das ist weniger, als viele erwartet haben. Nächstes Puzzlestück soll ein Bundesdarlehen werden, das die GKV aufnehmen soll – in Höhe von 1 Milliarde Euro – sowie eine Erhöhung des Zusatzbeitrages aller Krankenkassen um 0,3 Punkte, das entspricht etwa 4,8 bis 5 Milliarden Euro. Letzteres kommt seit der Reform des Zusatzbeitrages hälftig von den Arbeitnehmern und hälftig von Arbeitgeberseite.
Die immer noch fehlenden 3 Milliarden Euro sollen durch sogenannte Effizienzsteigerungen zusammenkommen. Hinter diesem Euphemismus verbirgt sich unter anderem eine einmalige „Solidarabgabe“ der Pharmaindustrie in Höhe von 1 Milliarde Euro sowie weitere „kleinere Anpassungen“.
Diese „kleineren Anpassungen“ sind es jedoch, die von allen Seiten der Ärzte(vertreter)schaft für „Irritation, Frust und Empörung“ sorgen. „Das ist Betrug an der Ärzteschaft. Das geht so nicht!“, formuliert es der Spitzenverband der Fachärzteschaft sehr unmissverständlich und spielt damit insbesondere auf die ersatzlose Streichung der Neupatientenregelung an, die als einer von mehreren Punkten Teil dieser „kleineren Anpassungen“ ist.
In der Praxisrealität hieße das: Zurückfahren der Regelungen aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), evidente finanzielle Einbußen bei der Ärzteschaft, wie aber auch grundlegende Verschlechterung des Terminvergabeverfahrens für Patienten. Und das trifft vor allem die Patienten, die dringend einen Termin brauchen, diesen aber nicht mehr bekommen können werden.
„Wird die Vergütung reduziert, müssen auch die Leistungen eingeschränkt werden, insbesondere im Hinblick auf Inflation und Fachkräftemangel in den Praxen. Dann kommen wieder Wartezeiten bei Terminvergaben – also eine eindeutige Leistungskürzung“, kritisiert Dr. Dirk Heinrich, Bundesvorsitzender des Virchowbundes, die Folgen der TSVG-Kürzung.
Die entsprechenden Forderungen der Fachärzteschaft formuliert Dr. Jörg-A. Rüggeberg, Vizepräsident des Berufsverbands der Deutschen Chirurgen (BDC), wie folgt: „Wenn der jetzige Minister diese Behandlungsmöglichkeiten jetzt wieder rückgängig macht, ist er der einzig Verantwortliche für erneute Wartelisten und Verschiebung kranker Menschen aus der ambulanten Praxis an andere Stellen des Gesundheitssystems.“
Auch der Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zeigt sich „irritiert und alarmiert“. „Das Vorhaben stellt sich für die Versicherten, die einen Termin erhalten wollen, auch als echte Leistungskürzung dar. Das Vertrauen der Ärzteschaft in die Politik wird damit ein weiteres Mal erschüttert“, erklärt KBV-Chef Dr. Andreas Gassen. Der KBV-Boss konterkariert damit den einzig nennenswerten Grund, den der Minister für das Ausbleiben von Leistungskürzungen angab und der ohnehin eher als Mantra politischer Entscheidungsfindungen zu erklären ist, nämlich „bloß nicht den Bürger und Wähler zu vergraulen“.
Abgesehen von der Entrüstung und Empörung aufgrund des TSVG-Downgrades steht jedoch auch das gesamte Konzept des Lauterbachschen Geldbeschaffungsmanövers zur Disposition. Insbesondere mit Blick auf die folgenden Jahre sehen Ärzte und Kassen kein ernstes Lösungsangebot vorliegen. „Der Minister hat eine strukturelle Unterfinanzierung der GKV selbst angesprochen, will die Hälfte des Defizits aber mit Einmalmaßnahmen lösen“, erklärt der Vorstandschef der Krankenkasse DAK-Gesundheit, Andreas Storm in einem Interview mit der Bild.
Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands und selbst ein SPD-Urgestein, stößt ins gleiche Horn: „Aus unserer Sicht sind diese Eckpunkte nicht geeignet, die GKV-Finanzen auf eine solide Basis zu stellen. Im Gegenteil: Mit den angekündigten Maßnahmen wird die dauerhafte Stabilisierung der GKV-Finanzen misslingen.“
„Wir benötigen bei der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung eine nachhaltige grundsolide Reform. Aber anstatt eines großen Aufschlages stürzt sich Herr Lauterbach lieber aufs Kleinklein und sendet damit ein falsches Signal an Patienten und die Ärzteschaft“, erklärt Dr. Heinrich.
Einwände gegen die Pläne des Ministers kommen jedoch nicht nur von Seiten der Ärzteschaft. Insbesondere die Fraktion der Grünen zeigte sich gestern unzufrieden mit dem Plan des Ministers und brachte Punkte ein, die im Vorfeld immer wieder von unterschiedlichen Stimmen vorgeschlagen worden waren, darunter eine Anhebung der Beitragsbemessungsgrenze sowie die – sogar im Koalitionsvertrag verankerte – Erhöhung der staatlichen Zuschüsse für Hartz-4-Empfänger und Geflüchtete.
Das weitere Vorgehen ist aller Kritik zum Trotz erst einmal festgeschrieben: Die Eckpunkte des Ministers gehen nun in die Ressortabstimmung. Dass sie dort unverändert wieder herauskommen, scheint angesichts der aktuellen Debatten und Einwände ziemlich unwahrscheinlich.
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