Das Erbgut des E. coli-Typstamms DSM 30083T konnte sequenziert und mit nahen Verwandten verglichen werden. Die Genomsequenzierung bestätigte sein pathogenes Potential. Die an E. coli erprobten Verfahren lassen sich nutzen, um bakterielle Arten in Unterarten einzuteilen.
Das Darmbakterium Escherichia coli ist der am besten untersuchte Modellorganismus der Lebenswissenschaften. Allerdings blieb der Referenzorganismus dieser Art, der sogenannte „Typstamm“, bisher von der mikrobiellen Genomik unberücksichtigt. „Es mutet sicher eigenartig an, dass gerade die ‚Nummer Eins‘, der Typstamm des Bakteriums, dem als Modellorganismus ganze Kongresse gewidmet sind, erst jetzt in seiner Sequenz vollständig aufgeklärt wird“, vermerkt Dr. Christine Rohde, Leiterin der E.coli-Stammsammlung am Leibniz-Institut DSMZ–Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen GmbH in Braunschweig . „Zuerst sequenzierte man vorrangig die Genome von pathogenen E. coli-Vertretern oder genetisch veränderten biotechnologisch relevanten Stämmen. Außerdem arbeiten Mediziner und Hygieniker in der Praxis eher mit Serotypen, die sich schnell durch einen Antikörpertest bestimmen lassen, um verschiedene E. coli-Stämme zu unterscheiden.“ Dr. Markus Göker, Bioinformatiker an der DSMZ führt weiter aus: „Vollständige Bakteriengenome sind für die humane Diagnostik, die Biotechnologie und die Suche nach antimikrobiellen Wirkstoffen von fundamentaler Bedeutung. Das gilt gerade heute, nachdem sich einige E. coli-Stämme zu gefährlichen Problemkeimen wie EHEC oder EAHEC entwickelt haben. Der E. coli-Typstamm wurde im Rahmen des „Genomic Encyclopedia of Bacteria and Archaea“-Projekts (GEBA) sequenziert, dessen Fokus auf Typstämmen mit außergewöhnlicher Physiologie oder einer Schlüsselstellung im Stammbaum liegt. Es handelt sich um den einzigen Mikroorganismus im Projekt, der aufgrund seiner Bedeutung als Modellorganismus aufgenommen wurde.“ Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Zellen des E. coli-Typstamms DSM 30083T. © Manfred Rohde, Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung; Christine Rohde, Leibniz-Institut DSMZ
Der E. coli-Typstamm unterscheidet sich physiologisch und genomisch stark vom ungefährlichen Laborstamm K-12. „Aufgrund seines Serotyps wurde der Typstamm in die biologische Sicherheitsstufe 2 eingeordnet, und die Genomsequenzierung bestätigte sein pathogenes Potential“, berichtet Dr. Jörn Petersen, Plasmidexperte an der DSMZ. „Im Gegensatz zum Laborstamm K-12 enthält der E. coli-Typstamm in seinem 5.038.133 Basenpaare langen Genom ein zusätzliches ringförmiges Plasmid mit 131.289 Basenpaaren, das eine Sequenzidentität von 99 Prozent zu bekannten Plasmiden aus pathogenen E. coli-Isolaten aufweist. Diese verursachen z. B. die Colibacillose bei Geflügel und Hirnhautentzündungen bei Neugeborenen, wobei das horizontal übertragbare Plasmid für die Virulenz dieser Stämme verantwortlich ist“, betont Jörn Petersen. Scan der Original-Hinterlegungskarte des E. coli-Typstamms U5/41T (= DSM 30083T) in der Kulturensammlung Lausanne. © Kulturensammlung Lausanne
Mithilfe der kompletten Genomsequenz des E. coli-Typstamms ist es den Forschern gelungen, mit modernen taxonomischen Methoden zu prüfen, ob die große Anzahl der bisher sequenzierten E. coli-Isolate wirklich zur gleichen Art gehören. „Wir haben dazu über 250 E. coli-Stämme analysiert und auch ihre in der Literatur vorgeschlagene taxonomische Einteilung in Untergruppen, die Phylotypen, überprüft. Die bioinformatische Analyse wurde mit der sogenannten „GGDC-Methode“ nach dem neuesten Stand der Technik durchgeführt. Diese Methode ist analog zur klassischen DNA-DNA-Hybridisierung im Labor, aber wesentlich exakter“, erklärt Markus Göker.
Die Ergebnisse belegen die Zugehörigkeit aller sequenzierten E. coli-Stämme zu einer Art. Eine neue Erkenntnis ist, dass E. coli in mehrere Unterarten aufgeteilt werden müsste, von denen eine sämtliche Stämme der Gattung Shigella enthält, bekannt als Erreger der Shigellenruhr. „Shigella ist jedoch ein aus medizin-historischen Gründen etablierter Name, so dass wir nicht auf taxonomische Änderungen abzielten“, fügt Markus Göker hinzu. „Viel wichtiger ist, dass sich die an E. coli erprobten Verfahren nutzen lassen, um generell bakterielle Arten in Unterarten einzuteilen.“ Originalpublikation: Complete genome sequence of DSM 30083T, the type strain (U5/41T) of Escherichia coli, and a proposal for delineating subspecies in microbial taxonomy J.P. Meier-Kolthoff et al.; Stand Genomic Sci, doi: 10.1186/1944-3277-9-2; 2014