Wie entstehen schwere Entzündungen nach einer Corona-Infektion? Forscher entdecken nun einen neuen Mechanismus, der diese Frage beantworten könnte.
Einem multidisziplinären Team ist es in einer multizentrischen Studie gelungen, einen neuen Mechanismus bei der Entstehung schwerer Entzündungszustände bei Kindern nach SARS-CoV-2-Infektion aufzudecken. Die Ergebnisse wurden im renommierten Fachjournal The Lancet Rheumatology publiziert.
Hierzu wurden Blutplasma-Proben von Patienten (0 bis 18 Jahre) aus fünf großen deutschen und einer spanischen Klinik analysiert. In über 60 Prozent der untersuchten Fälle konnten bei dem so genannten Multisystemischen Entzündungssyndrom bei Kindern (MIS-C oder auch als PIMS bezeichnet) spezielle Autoantikörper gegen den zentralen körpereigenen Entzündungshemmer Interleukin-1-Rezepetorantagonist nachgewiesen werden.
Bei Kindern mit asymptomatischen oder milden COVID-19-Verläufen oder bei jenen mit anderen systemischen Erkrankungen (Kawasaki-Syndrom, Arthritis im Kindesalter, bestimmte Wachstumsstörungen), konnten diese speziellen Autoantikörper hingegen nicht nachgewiesen werden – ebenso wenig wie in der Kontrollgruppe mit gesunden Kindern und Jugendlichen. Insbesondere im Vergleich zum Kawasaki-Syndrom ist dies bemerkenswert, betonen die Forscher, da dieses Syndrom dem MIS-C in klinischer Präsentation, Laborwerten und Behandlungsansätzen stark ähnelt.
Interleukin-1 ist ein wichtiger Botenstoff, der bei Infekten an der Alarmierung und Mobilisierung des Immunsystems beteiligt ist – er bewirkt beispielsweise Fieber. Ist die Interleukin-Ausschüttung allerdings zu hoch, können viele entzündliche Krankheiten, etwa Rheuma oder Arthritis, entstehen. Bei dem Interleukin-1-Rezeptorantagonisten handelt es sich um einen natürlichen Gegenspieler dieses Interleukin-1-Signalweges.
„Die in der multizentrischen Studie neu entdeckten Autoantikörper binden freie Interleukin-1-Rezeptorantagonisten, so dass diese gehindert werden, ihre natürliche Aufgabe der Entzündungshemmung wahrzunehmen. Infolgedessen kommt es zu einem gefährlichen Ungleichgewicht und somit zu überschießenden Entzündungsreaktionen“, beschreibt Dr. Lorenz Thurner den zugrunde liegenden Mechanismus. Thurner leitet eine Arbeitsgruppe am José Carreras-Center der Klinik für Innere Medizin I – Onkologie, Hämatologie, Klinische Immunologie und Rheumatologie des Universitätsklinikums des Saarlandes (UKS) in Homburg, die sich mit fehlgeleiteten Autoimmunreaktionen u.a. bei Krebserkrankungen oder Infektionen beschäftigt.
Neuer Mechanismus bei der Entstehung des schweren Entzündungssyndroms bei Kindern (MIS-C / PIMS) nach SARS-CoV-2-Infektion aufgedeckt. Credit: UKS/WWU.
„Überraschenderweise zeigten diese Autoantikörper keine Kreuzreaktivität gegen Strukturbestandteile des Corona-Virus selbst. Vielmehr konnte als Ursache eine zeitlich begrenzt auftretende, sehr ungewöhnliche Sonderform dieses Eiweißes mit einer zusätzlichen Phosphorylierung nachgewiesen werden. Diese wird von Teilen des erworbenen Immunsystems als körperfremd bewertet. Es kommt zu einem Bruch der Immun-Toleranz und damit zur Bildung von Autoantikörpern einer speziellen Klasse (IgG1) gegen diese körpereigenen Entzündungshemmer.“
Die Studie trägt zum besseren Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen bei der Entstehung des schweren Entzündungssyndroms bei Kindern nach SARS-CoV2 bei und bietet möglicherweise einen Ansatzpunkt für das Immunsystem regulierende, anti-entzündliche Therapien. Das Team arbeitet weiter an Projekten zu dieser Thematik.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität des Saarlandes. Die Originalpublikation haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Chips & Champagner, unsplash