„Die nehme ich immer, wenn ich nervös bin“ – mit diesen Worten sucht der Kunde nach ganz speziellen Tröpfchen. Mein Apothekerwissen bringt mich nicht weiter. Bis ich drauf komme: Der gute Mann möchte Bach-Blüten von mir.
Ein älterer Mann kam zu mir in die Apotheke und wollte unbedingt diese speziellen Tropfen. Diese Tropfen, die ihn beruhigen und sofort seinen Puls senken.
Wenn die Kunden nicht wissen, wie das gewünschte Präparat heißt, versuchen wir, es gemeinsam herauszufinden. Ich stelle Fragen und sie versuchen, sie so gut es geht zu antworten. Manchmal finden wir es gemeinsam heraus, manchmal aber auch nicht. Wenn ich beim besten Willen nicht drauf komme, frage ich meine Kolleginnen. Wenn die es auch nicht wissen, schreiten wir zum Äußersten und fragen Dr. Google.
In diesem Fall kam ich nicht darauf, was er meinen könnte, meine Kolleginnen ebensowenig. Natürlich vermutete ich etwas Verschreibungspflichtiges, aber das Arzneimittel soll rezeptfrei gewesen sein und sofort helfen. Er benutze die Tropfen schon seit Jahren, aber der Name … hmmm. Der falle ihm nicht ein. Mich wundert es immer ein bisschen, warum manche Menschen jahrelang etwas einnehmen, von dem sie nicht mal den Namen kennen.
Wir Apothekenmenschen können natürlich auch nicht alle Präparate kennen, die auf dem Markt sind und manchmal gibt es das gesuchte Mittel auch nur im Ausland. Das waren natürlich seine Worte. Nicht meine. So etwas würde man nie aus meinem Mund hören. Never ever.
Bach-Blüten gehören genauso wie die Homöopathie in den Bereich der Pseudomedizin. Sie haben, wie die Mittelchen der Homöopathie, nur einen Placeboeffekt.
Edward Bach [ˈbætʃ], ein britischer Arzt, erfand in den 1930er Jahren die Bach-Blütentherapie und glaubte, dass jede Krankheit an einer seelischen Gleichgewichtsstörung liege. Deshalb ordnete er verschiedenen „disharmonischen Seelenzuständen“ verschiedene Essenzen zu. Diese Essenzen entstehen durch das Einlegen verschiedener Blüten und Pflanzenteile in Wasser. Dadurch sollen ihre Schwingungen an das Wasser übertragen werden. Klingt logisch, oder?
Bach beschloss, dass die von ihm gewünschte heilende Kraft der Pflanze (in Form von Schwingungen) ganz einfach durch die morgendlichen Sonnenstrahlen aus den Blüten in die auf ihnen befindlichen Tautropfen übergehen würde, die er fortan sammelte, mit Weinbrand konservierte und so eine Urtinktur herstellte. Da das nicht effektiv genug war, beschloss Bach weiter, dass das auch in größerem Maßstab funktionierte, wenn er die Blüten in eine Schale voller Wasser gab und diese für drei bis vier Stunden in die Sonne legte – die Sonnenmethode war geboren.
Blöd war natürlich, dass nicht immer die Sonne schien, weshalb Bach weiterhin beschloss, dass das Ganze auch funktionierte, wenn er die Blüten in Wasser gab und sie darin einfach für ungefähr zwanzig Minuten kochte – die Kochmethode war geboren.
Sowohl bei der Sonnen- als auch bei der Kochmethode wird die Lösung anschließend von den Pflanzenteilen befreit, daraufhin erst mit der gleichen Menge Weinbrand (Brandy) und im Anschluss 1:240 mit Alkohol verdünnt, bevor sie in kleine Fläschchen mit je 20 Milliliter Volumen abgefüllt wird.
Mit Bach-Blüten lässt sich viel Geld verdienen, denn aus einer Schale Blüten in fünf Liter Wasser erhält man zehn Liter Urtinktur und 2.400 Liter Bach-Blütenessenz, die sich, auf 120.000 20-Milliliterfläschchen aufgeteilt, für 1,2 Millionen Euro verkaufen lassen.
Man kann die Bach-Blüten dann zum Beispiel als Rescue- bzw. Notfalltropfen – mit oder ohne Alkohol – verkaufen, als einzelne Blütenessenzen, als Cremes, Bonbons, Kaugummis und Globuli, aber auch als Haustiertropfen, Pferde-Sticks und Hunde-Drops, die jeweils höchstens einen Placebo-by-Proxy-Effekt bieten.
Das waren noch Zeiten, als man einfach behaupten konnte, was man wollte, da man ja schließlich keine Beweise liefern musste. Zum Glück sind wir da heute schon weiter. Okay, war ein Scherz. Sind wir offenbar doch nicht. Denn für die „besonderen Therapierichtungen“ gelten besondere Regeln – sie können nach wie vor Behauptungen aufstellen, die sie nicht beweisen müssen.
Ich stehe also dem alten Mann gegenüber und er möchte diese Rescue-Tropfen kaufen, die ihn beruhigen und sofort seinen Puls senken. Aber was er nicht weiß: Die Tropfen haben keine Wirkung, die über den Placeboeffekt hinausgeht. Wie verhalte ich mich also richtig? Im Prinzip kann ich es ja nur falsch machen: Weise ich ihn darauf hin, dass diese Tropfen nur einen Placeboeffekt haben, nehme ich ihm diesen; zumindest zum Teil, weil der Placeboeffekt auch wirkt, wenn man davon weiß.
Nicke ich allerdings nur lächelnd und lasse ihm seinen Glauben, dann fühle ich mich wie ein Betrüger. Ein Betrüger, der stillschweigend hinnimmt, dass wir überhaupt so ein Zeug in der Apotheke anbieten und so tun, als hätte es tatsächlich eine richtige Wirkung.
„Ihnen ist bewusst, dass Rescue-Tropfen keine richtige Medizin sind und sie nur einen Placeboeffekt haben?“ Er schaut mich an und erwidert: „Nein, das war mir nicht bewusst. Was können Sie mir als Alternative anbieten?“
Tja, Alternative. Es gibt keine Alternative. Zumindest nicht ohne Rezept. Also kann ich ihm auch keine Alternative anbieten. Das ist ein großes Problem, das meine Kollegen und ich immer wieder haben: Für viele Mittelchen aus dem Bereich der Pseudomedizin gibt es einfach keine wirksamen Alternativen. Wenn man keinen Nachweis der Wirksamkeit erbringen muss, kann man eben gegen jedes Problem etwas auf den Markt werfen.
Bach-Blüten zählen übrigens zu den Lebensmitteln. Deshalb darf für sie nicht mit gesundheitsbezogenen Aussagen geworben werden.
Da ich dem Herrn keine Alternative anbieten konnte, zweifelte er an meiner Kompetenz und kaufte die Rescue-Tropfen entgegen meiner Empfehlung.
Ich kann es nicht oft genug betonen: Was keine nachgewiesene Wirkung aufweisen kann, hat in den Apotheken nichts zu suchen. Und das gilt nicht nur für die Bach-Blüten.
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