Testosteronüberschuss – das ist der erste und bleibende Eindruck, den ein Blick in die Vorstände der kassenärztlichen Vereinigungen hinterlässt. Warum sich das ändern muss. Und zwar jetzt.
Zwei von 17 – so viele kassenärztliche Vereinigungen werden von einer Frau geführt. Bei den Zahnärzten sieht es noch schlapper aus: Bloß eine Frau hat es hier in den Vorstand geschafft. Dabei liest, hört und sieht man es doch allerorten, die Medizin ist weiblich. Im Wintersemester 2020/21 waren laut Statista deutschlandweit 101.712 Medizinstudenten eingeschrieben, davon 64.261 Frauen, also rund zwei Drittel.
Auch Prof. Sylvia Thun, Universitätsprofessorin für Digitale Medizin und Interoperabilität an der Charité Berlin, bestätigt das Bild: „Wir haben gerade über 70 % Frauen an der Charité zugelassen, die machen einfach ein besseres Abi.“ Praxisübernahmen oder Niederlassungen durch weibliche Ärzte nehmen ebenfalls zu, sagt Cornelia Wanke, Vorstand der Vereine Healthcare Frauen und Spitzenfrauen Gesundheit. Warum also schaffen diese Medizinstudentinnen und Ärztinnen es nicht in die ärztlichen Gremien der Selbstverwaltung?
„Man muss sich nur mal in so eine Sitzung reinsetzen, die ist sehr männlich, patriarchalisch, hierarchisch geprägt. Da überlegen sich junge Frauen – und übrigens auch junge Männer – ganz einfach: ‚Will ich mir das antun?‘“, so Wanke. Hinzu komme, dass die Sitzungen dieser Gremien oft in Randzeiten fallen, also am Abend oder an Wochenenden stattfinden – Zeiten, in den gerade Frauen mit Familie oft andere Rollen auszufüllen haben, als Mutter, Partnerin, Pflegerin. Das sei ein Aspekt, der nicht zu unterschätzen ist, betont auch Thun: „Frauen haben auch dadurch, dass sie eben in den meisten Fällen neben dem schon anspruchsvollen Job noch die Care-Arbeit der Familie leisten, oft gar nicht die Möglichkeit, on top was dazu zu machen. Care-Arbeit ist so viel mehr als Kinder oder alte Eltern versorgen, da ist der Haushalt mit drin, die emotionale Betreuung der Familie.“
Und da hört es nicht auf. Wer es als Frau in eines der Gremien schafft, werde oft blockiert, ausgebootet, gehindert. Von einem nicht zugänglichen „Old Men’s Club“ ist da die Rede, von Positionen, die eher beim gemeinsamen Feierabendbier verschachert statt bei demokratischen Wahlen verteilt werden. Auch das Wahlsystem an sich sei kompliziert, kaum zugänglich gestaltet. „Da kann keiner von außen dazukommen“, fasst Thun zusammen. Bei den Wahlen selbst zeige sich dann, dass Männer eben lieber Männer wählen – und Frauen offenbar auch. „Da dürfen wir uns ja gar nicht rausnehmen. Anscheinend trauen auch viele Frauen solche Aufgaben eher Männern zu als einer anderen Frau. Wir sind noch weit von Parität entfernt“, sagt Wanke.
Was ist also zu tun – neben der Herkulesaufgabe, die Arbeit in den ärztlichen Gremien attraktiver zu gestalten? „Was wir brauchen, ist eine Durchlässigkeit auf Führungsebene, das ließe sich z. B. über Quoten regeln“, schlägt Wanke vor. Da ist sie nun also wieder, die Frauenquote. Warum sie ihre Meinung dazu geändert hat, erklärt Wanke prägnant: „Die Quote ist ein Mittel zum Zweck, der uns schneller ans Ziel führt. Es tut sich ja sonst nichts.“ Sie habe die Erfahrung gemacht, dass eine Frauenquote im Vorstand zu mehr weiblichen Bewerbern führe; offenbar trauen viele Frauen sich erst, wenn sie für sich eine reelle Chance auf Erfolg sehen. Am Beispiel der GKVen, wo mit dem Zweiten Führungspositionengesetz der Anteil von Frauen in der Führungsebene festgesetzt sei, zeige sich, dass die Quote Erfolg haben kann.
Wie steht es aber mit dem erwartbaren Vorwurf, bloß eine Quotenfrau zu sein? „Das interessiert die Frauen, die heute nachkommen, gar nicht mehr. Ich habe in den vergangenen Wochen auf so vielen Veranstaltungen intelligente, tolle Frauen auf den Podien erlebt, die werden sich weder so verstehen noch so bezeichnen lassen“, meint Wanke.
Thun ist ähnlicher Ansicht: „Unbedingt braucht es eine Frauenquote, irgendwann wird sie dann obsolet.“ Sie prophezeit allerdings: Die Männer werden eine Männerquote wollen. „Vor allem bei den Studienplätzen, da sehen wir das ja jetzt schon.“ Woran es vor allem fehle, seien Vorbilder und Förderprogramme für Medizinerinnen und Ärztinnen.
Ein Beispiel, wie es nicht geht, liefert die Medizininformatik-Initiative – 100 % Männer. „4 von 4 Männern führen da gerade unsere digitale Medizin in Deutschland, das kann ja nicht sein“, so Thun. Und auch bei den großen medizinischen Behörden und Organisationen, also PEI, RKI, BfArM und Gematik, sei viel zu tun: „Da ist alles geführt von Männern.“
Wieso das eigentlich so problematisch ist? Weil der weibliche Blick auf die Gesundheit verloren geht, hält Wanke fest. „Die Hälfte der Menschheit ist weiblich, aber wir behandeln alle Menschen gleich – nämlich wie Männer. Der Mann ist immer noch der Orientierungspunkt der Medizin, das spiegelt aber nicht die Gesellschaft wider.“
Ähnlich verkrustet sind die Strukturen, wenn es um die fachärztliche Weiterbildung geht. Voraussetzung ist hier immer noch, eine, je nach Fach, 4–6-jährige Vollzeitausbildung zu leisten. Für Frauen zwischen 30 und 35 Jahren, die eine Familie gründen möchten, praktisch unmöglich. Das müsse modernisiert, ja reformiert werden, findet Thun – indem beispielsweise Arbeit in Teilzeit oder halbtags anerkannt werde.
Denn zu Beginn der Karriere haben die meisten Ärztinnen in ihren jeweiligen Positionen einfach nicht das Gehalt, um eine Kinderbetreuung oder Putzhilfe einzustellen und schafften es so oft gar nicht erst, entsprechend Karriere zu machen. Falls es doch gelingt, dann in der Regel auf Kosten der Familie, die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus, wenn das Geld – und damit mehr Zeit – da ist. Meistens gelingt es gar nicht erst: „Ich kenne viele Frauen, die mit 50 oder 60 noch keinen Facharzt haben“, sagt Thun.
Beide Frauen wagen einen Ausblick auf die anstehenden Wahlen des KBV-Vorstands – und sind geteilter Ansicht. „Ich hatte kürzlich ein Treffen mit verschiedenen Frauenvereinen aus der Medizin. Da habe ich gesagt, hoffentlich werden’s jetzt mal zwei Frauen bei der KBV und alle haben laut gelacht. So viel also dazu“, so Thun. Wanke ist zuversichtlicher: „Es soll ja zumindest eine Frau im Vorstand geben. Da habe ich die Hoffnung an diese Frau, dass sie die Interessen der Ärztinnen und Belange der Frauen in der Medizin vertritt und auf diese Themen eingeht. Ich wünsche mir mehr weiblichen Spirit.“
Was sie sich davon verspricht: Kooperation statt Konkurrenz, mehr Verständnis der Berufe untereinander. „Frauen haben nicht dieses Abgrenzungsdenken untereinander. Ich gehe davon aus, dass wir damit auch weg von der patriarchalisch geprägten Führung kommen, von ‚Command and Control‘ zu ‚Create and Contribute‘. Das erlebe ich schon jetzt sehr stark in weiblich geprägten Gruppen“, so Wanke. Ob das nun realistisch oder idealisiert ist, wird letztlich nur eine paritätische Führung in der Medizin zeigen; Zeit wäre es allemal.
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