Lauterbachs Krankenhauskommission will den Kinderkliniken helfen. Die Pädiater klatschen, aber sie haben die Empfehlungen auch selbst verfasst. Die Hebammen springen im Dreieck.
Das DRG-basierte Erstattungswesen im deutschen Krankenhaussektor ist vielen ein Dorn im Auge. Statt Qualität belohnt es Masse, und es setzt Anreize, die dahin gehen, mit möglichst wenig Personal möglichst viele Patienten in möglichst kurzer Zeit durchzuschleusen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach gilt als einer der Väter des Systems. Er will es jetzt reformieren. Die Krankenhausreform, nicht Corona, ist die zentrale Herausforderungen seiner Amtszeit. Er hat dafür eine Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung ins Leben gerufen. Sie hat 17 Mitglieder, darunter erstaunlich viele Juristen (wir berichteten).
Die praktisch-ärztliche Expertise in der Kommission kommt komplett aus Berlin und Köln, und sie ist übersichtlich: Es gibt den Psychiater Tom Bschor, Berlin, den Kinderarzt Jörg Dötsch, Köln, den Intensivmediziner Christian Karagiannidis, Köln, und den Notarzt Rajan Somasundaram, Berlin. Dazu kommt noch Heyo Kroemer, wieder Berlin, der als Charité-Chef eher das Management repräsentiert, außerdem von pflegerischer Seite Martina Hasseler, Wolfsburg. Als erstes hat sich die Kommission jetzt mit der Finanzierung der Kinderkliniken und Geburtshilfekliniken beschäftigt – ein Thema des Koalitionsvertrags. Herausgekommen ist eine 14-seitige Stellungnahme. Sie enthält Zahlen zum Status quo und konkrete Empfehlungen für eine Abkehr vom (reinen) DRG-System in diesem speziellen Versorgungssegment.
Seit Anfang der 90er Jahre ist die Zahl der Abteilungen für Kinder- und Jugendmedizin von rund 440 auf gut 330 gesunken. Gleichzeitig blieb die Zahl der Fälle mit um die eine Million pro Jahr konstant, abgesehen von einem pandemiebedingten Abfall im Jahr 2020. Die durchschnittliche Verweildauer sank von 9,1 Tagen im Jahr 1991 auf 4,7 Tage im Jahr 2019. Die Zahlen zeigen, was jeder weiß, der Ahnung von stationär-pädiatrischer Versorgung hat: Dieser Versorgungssektor ist vergleichsweise stark zentralisiert. Um eine weitere regionale Ausdünnung der Versorgung zu verhindern, erhalten im derzeitigen Finanzierungssystem rund 60 Standorte Sicherstellungszuschläge als Add-on zur DRG-Finanzierung. Trotzdem stößt das System punktuell an Grenzen, zuletzt während der RSV-Welle im Herbst 2021, wo Behandlungsplätze in einigen Regionen nicht zu bekommen waren.
Was die Geburtshilfe angeht, hat sich die Zahl der Standorte, die Geburten anbieten, seit 1991 von damals knapp 1200 auf 672 im Jahr 2017 fast halbiert. Auch hier läuft also ein Konzentrationsprozess, wobei die Zahl der Geburten von 1991 bis 2011 von über 900.000 auf 673.000 fiel. Seither steigt sie wieder und liegt derzeit auf dem Niveau der späten 90er Jahre. Ein Hauptproblem der Geburtshilfe ist ein erheblicher Personalmangel, der vor allem Pflegekräfte und Hebammen betrifft.
Vor dem Hintergrund dieser Ausgangssituation tritt die Regierungskommission an, Pädiatrien und Geburtshilfen finanziell besser auszustatten und den betriebswirtschaftlichen Druck in Richtung möglichst hoher Fallzahlen zu reduzieren. Das soll gemäß Willen der Krankenhauskommission bereits ab Januar 2023 durch ein neben den DRG gewährtes, zusätzliches Vergütungsvolumen erreicht werden, das fallzahlenunabhängig vergeben wird. Dies ergänzt die Kommission durch den schönen Satz: „Höhe und Herkunft dieser zusätzlichen Mittel [sind] politisch festzulegen.“
Was den Verteilungsschlüssel angeht, schlägt die Kommission für die Pädiatrie vier alternative Modelle vor, für die Geburtshilfen gibt es nur ein Modell. Das geburtshilfliche Modell zielt insbesondere auf Kliniken mit niedrigen Geburtenzahlen und solche, die schon heute Sicherstellungszuschläge erhalten. Konkret sollen Kliniken mit weniger als 500 Geburten erhöhte Vergütungen erhalten. Kliniken mit 500 bis 1499 Geburten erhalten ebenfalls eine Zusatzvergütung, die aber geringer ausfällt. Und Kliniken ab 1500 Geburten erhalten keine leistungsunabhängigen Mittel, „da sich diese über die leistungsbezogene Vergütung finanzieren können“, so die Kommission.
In der Pädiatrie wiederum sieht das Modell A einen pauschalen, leistungsunabhängigen, prozentualen Zuschlag auf die DRG-Vergütungen mit Stichpunktjahr 2019 vor. Das ist einfach zu rechnen, würde aber Abteilungen tendenziell benachteiligen, die in der Pandemie ihr Angebot nicht zurückgefahren haben. Im Modell B orientieren sich die zusätzlichen Finanzmittel an betreibbaren Betten, mit recht komplizierten Berechnungsschlüsseln. Modell C ist eher versorgungsorientiert und legt die versorgte Bevölkerungszahl zugrunde. Und im Modell D würde die Berechnung der Zusatzfinanzierung nach einem Mischmodell aus Bettenzahl und Bevölkerungszahl erfolgen.
Die 2023 einsetzende Zusatzfinanzierung, nach welchem Modell auch immer, ist als erste Stufe eines Reformprozesses gedacht, der danach weitergehen soll. Zu weiteren Reformstufen will sich die Kommission kurzfristig äußern. Sie kündigt allerdings schon an, dass sie mit einer Absenkung der leistungsabhängigen Vergütung, also der DRG-Gelder, liebäugelt, um die freiwerdenden Gelder dann in Vorhalteleistungen und/oder bevölkerungsbezogene Leistungen stecken zu können. Ob und wenn ja welche Rolle qualitätsbezogene Kriterien bei der längerfristigen Umstellung der Finanzierung spielen werden, lassen die Kommissionsmitglieder im Vagen.
Ordentlich Applaus erhalten die Kommissionspläne von der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ). Die Empfehlungen seien ein „Lichtblick“ für die Pädiatrie. Hierzu muss man allerdings wissen, dass Kommissionsmitglied Dötsch der Präsident der DGKJ ist. Die Fachgesellschaft kommentiert daher indirekt ihre eigene (Mit)Arbeit an dem Konzept. Es lohnt daher, auch noch einmal andere nach ihrer Meinung zu fragen.
Und da klingt das dann doch deutlich anders. Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbands e.V. (DHV), ist stocksauer: „Was uns hier vorgestellt wird, ist eine reine Mogelpackung und ein Schlag ins Gesicht für alle in der Geburtshilfe Tätigen. Die Maßnahmen zementieren auf völlig unverständliche Weise bestehende, längst überholte Fehlanreize und belohnen unter dem Deckmantel einer bedarfsgerechten Vergütung wieder ausschließlich hohe Sectio-Raten und unnötige Interventionskaskaden. Die notwendigen Vorhaltekosten werden nicht gesichert. Das hat rein gar nichts mit den erst jüngst im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Zielen für eine zukunftsfähige Geburtshilfe zu tun.“
Das klingt nun völlig anders als die Einschätzung der Pädiater und die Selbsteinschätzung der Kommission. Woran liegt das? Den Hebammen fehlt zum einen ein Bekenntnis zu der im Koalitionsvertrag zugesicherten Eins-zu-eins-Betreuung in der Geburtshilfe. Vor allem aber trägt das Finanzierungsmodell für die Geburtshilfen nach Auffassung der Hebammen doch sehr deutlich die Handschrift der Zentren. Denn es werde „zu Lasten der Versorgungssicherheit in der Fläche weiterhin die Zentralisierung geburtshilflicher Angebote in Ballungsräumen“ gefördert. Politik und Verwaltung seien angehalten, eine gute geburtshilfliche Versorgung sowohl in der Fläche als auch in der Spitzenversorgung sicherzustellen: „Die Empfehlungen der beauftragten Arbeitsgruppe sind diesbezüglich aber völlig unzureichend und können dieses Ziel nicht erreichen. Kein Wunder, wenn weder Hebammen noch Frauenärzt*innen mit am Tisch sitzen“, so Geppert-Orthofer.
Die DHV-Chefin rief die Politik und die Regierungskommission dringend dazu auf, miteinander statt übereinander zu sprechen. Dass es bereits bei der allerersten Veröffentlichung der Krankenhauskommission zu einem derartigen Knatsch kommt, ist tatsächlich nicht besonders erstaunlich. Es hatte sich angekündigt, als Karl Lauterbach die Kommissionsmitglieder präsentierte. Schon zu diesem Zeitpunkt war vielfach Kritik daran lautgeworden, dass es sich um ein fast reines Professorengremium handele. Das passte zu Lauterbachs „Follow the Science“-Credo und ließ sich in der begleitenden Pressekommunikation gut verkaufen. Es führte auf der Haben-Seite zumindest auch zu einer unerwartet zügigen Positionierung der Kommission. Dennoch wird es jetzt darum gehen, die Türen zum Elfenbeinturm etwas weiter aufzustoßen. Nicht nur für die Hebammen.
Bildquelle: Arisa Chattasa, Unsplash