Deutschland ist Europameister und Berlin Deutscher Meister – klingt utopisch? In Sachen Affenpocken leider Realität. In absoluten Zahlen liegt Deutschland vor Spanien, Portugal oder Großbritannien auf Platz 1.
Zeitgleich liegt Berlin mit Abstand vor NRW und Bayern. Um genau zu sein, zählt das Robert-Koch-Institut (RKI) mit Stand vom 20. Juli 2.110 Fälle. Doch das Berliner Institut, das die Infektionskrankheit engmaschig dokumentiert, hat noch mehr herausgefunden: Seit dem 22. Juni sind weniger reiseassoziierte Fälle (ca. 20 %) zu verzeichnen. Viel eher befinden wir uns nun in einem autochthonen System (ca. 80 %).
Die Kurve der Infektionsfälle flaut aktuell ab, wie Dr. Klaus Jansen, Abteilung für Infektionsepidemiologie des RKI, zu berichten weiß: „Seit gut zwei Wochen verzeichnen wir eine Plateaubildung in der Infektionskurve. Am Anfang war es ein starker Anstieg, den wir so aktuell aber nicht mehr bestätigen können. Gleichzeitig können wir nicht sagen, wo wir in einigen Wochen stehen, dafür kennen wir die Dynamik noch nicht lange genug und es gibt verschiedene wichtige Einflussfaktoren, die wir noch nicht gut einschätzen können, wie zum Beispiel die gerade angelaufene Impfung.“
Anzahl, Anteil und Inzidenz der gemeldeten MPX-Fälle nach Bundesländern und in Deutschland insgesamt, 20. Mai─22. Juni 2022 (n = 521). Quelle: RKI
Diese Datenlage wird jedoch europa- und weltweit ständig erweitert, was Prognosen sowie Verhaltens- und Therapieanweisungen künftig erleichtert. So zeigte eine aktuelle Studie des Barcelona Institute for Global Health zuletzt, dass sich DNA-Material in Speichel und Sperma nachweisen lässt.
„Die Arbeit unserer Kollegen aus Spanien ist ein wichtiger Schritt. Um weitere Präventionsmaßnahmen ableiten zu können, bedarf es aber weiterer Forschung. So muss nun einmal versucht werden, das z. B. in Samenflüssigkeit und Speichel nachgewiesene DNA-Material anzuzüchten. Erst dann lässt sich sicher sagen, ob es sich bei den positiven PCR-Tests in den Körpermaterialien um ein Residuum handelt oder es auch so wenig Virus enthält, dass er für eine Übertragung keine Rolle spielt“, erklärt Jansen die nächsten Forschungsschritte.
Doch auch ohne die weitere Forschung ist man keineswegs bei 0 und kann bereits Maßnahmen ergreifen – immerhin sind Krankheitsbild und Erreger durchaus von den Pocken noch bekannt. So machen das RKI und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) aufmerksam, dass insbesondere der enge Haut-zu-Haut Kontakt mit Infizierten vermieden werden soll. Ebenso ist eine Tröpfcheninfektion im nahen Gespräch möglich. Eine Aerosol-Übertragung, wie sie bei Corona möglich ist, hält das RKI derweil für unwahrscheinlich, da sich sonst andere Transmissionssettings ergeben hätten und vermutlich auch insgesamt mehr Fälle zu verzeichnen seien.
Ebenfalls anders als bei Corona ist die Tatsache, dass man nach der akuten Infektion weiterhin ansteckend bleibe und daher besondere Vorsichtsmaßnahmen ergriffen werden müssen. „Mit Blick auf die Infektionswege ist zu betonen, dass Betroffene möglicherweise nicht nur während der akuten Krankheit bis zum Abfallen der Krusten ansteckend sein könnten. Es ist denkbar, dass die Samenflüssigkeit nach Abklingen der akuten Krankheitssymptome noch längere Zeit infektiös ist; daher wird geraten, bis zu 8 Wochen nach Ende der Infektion Kondome beim Geschlechtsverkehr zu nutzen“, so Jansen.
Sollte es dennoch zu möglichen Kontakten gekommen sein, müsse auf die Symptome geachtet werden, die 5 bis 21 Tagen nach Kontakt eintreten können – bei einer Inkubationszeit von 2 bis 4 Tagen. In erster Linie handelt es sich dabei dann um (schmerzhafte) Hautveränderungen wie Pickel, Blasen und Ausschlag im Genital- oder Analbereich. Begleitet werden die spezifischen Symptome von allgemeinen Krankheitssymptomen wie Fieber-, Kopf und Muskelschmerzen oder geschwollenen Lymphknoten.
Es kann jedoch auch noch mehr gemacht werden, wie Jansen feststellt: „Die Impfung ist und wird eines der Hauptinstrumente der Prävention sein. Sie ist ein wichtiges Instrument sowohl für die Postexpositionsprophylaxe, als auch für die Präexpositionsprophylaxe – um also in die Breite zu arbeiten und vorzubeugen.“
Um das hehre Ziel des „in die Breite Arbeitens“ zu erreichen, stehen Deutschland jedoch aktuell lediglich 40.000 Impfdosen zur Verfügung. Vor allem mit Blick auf anstehende Großveranstaltungen ein ehrenwertes, aber nahezu aussichtsloses Unterfangen. Und doch ist man im RKI nicht pessimistisch, greifen doch aktuell alle Räder zusammen: Public Health, öffentliche Wahrnehmung sowie Forschung und Prävention. Auch von Seiten der Politik werde keine Zeit verschwendet, sondern der schwierig zu erhaltene Impfstoff bereits nachgeordert, um dann an die Länder verteilt zu werden.
Doch während die Bemühungen um mehr Impfdosen im Herbst laufen, ist der Partysommer samt Konzerten, Großveranstaltungen und Clubbing bereits in vollem Gange. Insbesondere die schwer betroffene Bundeshauptstadt ist dabei Magnet für Touristenmassen aus ganz Europa. Der am Wochenende anstehende Christopher Street Day in Berlin wird daher nun eine Feuerprobe für die Präventionsmaßnahmen des RKI – schließlich handelt es sich bei Affenpocken um eine sexuell übertragbare Krankheit und daher sind in erster Linie Personengruppen mit vielen sexuellen Kontakten gefährdet.
Doch neben den Maßnahmen sind es vor allem das funktionierende Gesundheitssystem und ein großes Verständnis für Vor- und Nachsicht unter besonders betroffenen Personengruppen, die das RKI zuversichtlich stimmen. On top gibt es in Berlin aber auch eine Strategie, um Personen bereits vor der Einreise zu informieren: „Das European Center for Disease Prevention and Control und wir haben auf unseren Kanälen aufgeführt, wie man bei Großveranstaltungen mit dem Thema und der Krankheit umgehen sollte. Da sind Informationen für den ÖGD, für die Veranstalter wie auch für Inhaber von Clubs, Bars und Saunen enthalten“, so Jansen.
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