Experten sind sich einig: Mit Long Covid werden wir es noch lange zu tun haben. Doch was ist die Ursache?
Auch wenn viele es nicht wahrhaben wollen: SARS-CoV-2 wird uns noch länger beschäftigen. Und damit auch die vielen Langzeitfolgen der Infektionen. Jenseits des dritten Monats nach der Infektion werden anhaltende Symptome meist als Post Covid und vorher als Long Covid bezeichnet – das wird teilweise allerdings unterschiedlich definiert.
Laut Angaben des RKI variiert das tatsächliche Ausmaß von langanhaltenden Symptomen in Studien stark. In einem Umbrella-Review lag der Anteil von Long/Post Covid bei Erwachsenen ohne Hospitalisierung zwischen 7,5 und 41 %. Bei Erwachsenen, die aufgrund der Infektion hospitalisiert werden mussten, wurde über einen Anteil von 37,6 % berichtet. Die Ursache von Long/Post Covid ist ebenfalls noch nicht ganz geklärt, doch drei Hypothesen stehen im Raum: Blutgerinnsel, Viruspersistenz und Autoimmunität.
Einerseits vermuten Experten, dass die Zellen und Gewebe der Blutgefäße von betroffenen Long-Covid-Patienten geschädigt sind und dadurch die Gerinnungstendenz des Blutes verstärkt wird. Winzige Blutgerinnsel, die von der akuten Phase der viralen Infektion übriggeblieben sind oder die postakut entstehen, könnten die Blutgefäße verstopfen – mit verheerenden Auswirkungen.
Dr. Danilo Buonsenso, Pädiater für Infektionskrankheiten am Gemelli University Hospital in Italien, hatte vor etwa zwei Jahren Kinder beobachtet, die nach einer milden Infektion noch Atemnot, Fatigue und andere Long-Covid-Symptome aufwiesen. Bei einigen dieser Kinder war der SPECT/CT-Scan der Lunge auffällig: Dort, wo leuchtende orange-gelbe Flächen zu erkennen sein sollten (was auf Blutfluss hindeutet), waren die Aufnahmen der Lunge fast vollständig blau – also ein Hinweis auf wenig Blutfluss. Buonsenso nimmt an, dass kleine Thromben oder chronische Schäden am Endothel den Blutfluss beeinträchtigen können. Seinen ersten Bericht zu diesem Phänomen veröffentlichte er bereits im Juli 2021 in The Lancet, in dem er den Fall eines 14-jährigen Mädchens vorstellte.
Lungen-SPECT/CT-Scan zeigt Hypoperfusion im apikalen Segment des rechten Oberlappens, deutlich erkennbar auf axialen und koronalen Hybridbildern (A, B; Pfeil) sowie auf Funktionsschnitten (C, D; Pfeil). Dieser Befund entsprach nicht den parenchymalen Veränderungen, die auf den CT-Bildern zu erkennen sind (E, F; Pfeil). Credit: Buonsenso (2021)Dank einer recht ausführlichen Studie aus dem Jahr 2021 gewann die Theorie der persistierenden Mikrogerinnsel weiter an Glaubwürdigkeit. Forscher um Resia Pretorius fanden bei 11 Menschen mit Long Covid Anzeichen einer übermäßigen Blutgerinnung, nicht jedoch bei einer Vergleichsgruppe gesunder Menschen oder einer anderen Patientengruppe mit Typ-2-Diabetes.
Die zweite führende Long-Covid-Theorie: Das Coronavirus persistiert hartnäckig im Körper, nachdem die akute Infektion vorbei ist. Studien haben bereits gezeigt, dass das Virus insbesondere in Nerven und anderen Geweben zumindest eine Zeitlang persistieren kann. Auch bekannt ist, dass es sogenannte „Shedder“ gibt; immunsupprimierte Patienten, die das Virus über sehr lange Zeiträume ausscheiden.
Forscher konnten beispielsweise in einer Studie, die in Gastroenterology veröffentlicht wurde, mithilfe von gastrointestinaler Endoskopie eine Viruspersistenz im Darmgewebe bei 46 Probanden mit Long Covid nachweisen. In einem Preprint des US National Health Institute konnte bei 44 Probanden sogar gezeigt werden, dass das Virus im Körper weit verbreitet ist – unter anderem bei Patienten, die mit asymptomatischen bis milden Verläufen verstorben sind. Die Forscher fanden bereits in der frühen Infektionsphase Virusreplikation in mehreren extrapulmonalen Geweben. Außerdem konnten sie sogar bis zu 230 Tage nach Auftreten der Symptome SARS-CoV-2-RNA an mehreren Stellen nachweisen – einschließlich Lunge, Darm, Muskel, Herzen und im gesamten Gehirn.
Das Problem dabei: Ein RNA-Nachweis ist kein Virusnachweis und kann insofern nicht als Beleg für eine persistierende Infektion herhalten. Und wie so oft in der Covid-Forschung gibt es auch kaum Daten von anderen Infektionen, mit denen man die Covid-Daten vergleichen könnte. Insgesamt ist zwar unstrittig, dass SARS-CoV-2 bei einem Teil der Patienten über die Atemwege hinausgehend eine systemische Infektion verursachen kann. Auch dass das Virus bei einigen Patienten noch monatelang im Körper persistieren kann, ist klar gezeigt. Beides kommt allerdings auch bei anderen Viren vor, und es heißt nicht zwangsläufig, dass Post Covid eine persistierende Entzündung wäre. Der Nachweis lebender und sich vermehrender Viren in typischen Post-Covid-Szenarien, die nichts mit dem Shedding bei immunsupprimierten Patienten zu tun haben, steht weiterhin aus.
Die immunologische Hypothese hat noch mehr Anhänger als die Hypothese der persistierenden Infektion. Blutproben von Long-Covid-Patienten weisen auf diese dritte Spur: Ein Immunsystem, das auch noch Monate nach der durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion verrückt spielt. Phetosuophanh et al. untersuchten dafür das Blut von 31 Long-Covid-Patienten, die alle mindestens 3 Monate nach der Infektion an charakteristischen Symptomen litten, auf dutzende Immunmarker. Das Ergebnis: Das Immunsystem war in ständiger Alarmbereitschaft. Leukozyten, die normalerweise bei akuten Infektionen oder Verletzungen andere Zellen an Infektionsstellen rekrutieren, waren bei diesen Patienten weiterhin stark aktiviert. Auch Interferone und andere Proteine, die der Körper i. d. R. zur Bekämpfung von Infektionen produziert, waren selbst 8 Monate nach der durchgemachten SARS-CoV-2-Infektion noch erhöht.
Bei den Studienteilnehmer fiel zudem einen Mangel an inaktivierten T- und B-Zellen auf – Zellen, die eigentlich immer bereit sind, um bei einer Virusinfektion direkt aktiv zu werden. Laut Autoren deuteten all diese Befunde in der Gesamtschau auf eine chronische Entzündungsreaktion hin. Eine weitere Besonderheit der Long-Covid-Patienten ist demnach eine offenbar einzigartige Immunsignatur. Diese finde sich weder bei Personen, die sich nach einer Covid-19-Infektion vollständig erholten, noch bei solchen, die mit anderen Coronaviren infiziert waren.
Vielleicht gibt es auch gar nicht die eine Erklärung für alle Long-Covid-Beschwerden. Viele Experten vermuten eher ein Zusammenspiel dieser drei möglichen Ursachen. „Eine persistierende Inflammation durch Virusbestandteile, aber auch die getriggerten Autoimmunprozesse, induzieren eine Koagulopathie, die ihrerseits die Vaskulitis und Hypoxie am Laufen hält“, erklärt Dr. Christian Gogoll, Pneumologe am MVZ der Ev. Lungenklinik in Berlin, auf Anfrage der DocCheck News. Auch die neurologisch-psychiatrischen Beschwerden könnten durch die Vaskulopathie und die Pathologie in der Gerinnungskaskade gut erklärt werden, erläutert der Mediziner, genauso die typische Small-Fibre-Neuropathie und in dieser Folge auch die vegetative Dysregulation.
Zusammenspiel der Autimmmunprozesse, Viruspersistenz und Koagulopathien als mögliche Ursache von Post-Covid-Symptomen. Created with BioRender.com
Ohne klar definierte Ursache wird es bei der Therapie schwieriger. Hier gibt es aber trotzdem erste Möglichkeiten für Long-Covid-Patienten. „Die initial für diese Patienten zur Verfügung stehende Therapie mit Dexamethason und (Voll-)Antikoagulation hat die akute Erkrankung ‚beherrschbar‘ gemacht und die dramatischen Folgen für die Atemwege abgemildert“, so Gogoll. Er weist dabei auf einen wesentlichen Krankheitsmechanismus hin: die Fibrinbildung in der Lunge. „Eine gute Erklärung, wie es dann zum Post-Covid-Syndrom kommen kann, wäre außer induzierten Autoimmunprozessen schlichtweg die Viruspersistenz. Beides könnte zu anhaltender unterschwelliger Inflammation, Endothelschäden und Fibrin-Clotting führen.“
Eine Persistenz der Viren im Körper und eine „wellenförmige“ Freisetzung würde laut Gogoll auch den von vielen Patienten beschriebenen Krankheitsverlauf erklären – und auch zumindest im Ansatz die in Einzelfällen beobachtete Wirksamkeit einer Apherese-Therapie. Klar ist aber auch: Da sind noch eine ganze Menge Konjunktive im Spiel.
Zumindest liefere das geschilderte Modell eine Erklärung für die partielle Wirksamkeit einer frühen Antikoagulation, wie sie beispielsweise mit Rivaroxaban für Post-Covid-Patienten im Rahmen der STIMULATE-ICP-Studie gezeigt wurde. Bisher ist das eine Off-Label-Therapie. „Daher ist die Therapie jetzt zwar schon denkbar, aber eben Off-Label und nicht ohne Risiko.“ Im Rahmen der britischen STIMULATE-ICP-Studie wurden etwa 4.500 Long-Covid-Patienten rekrutiert und drei Therapien zugewiesen: dem Gerinnungshemmer Rivaroxaban gegen Mikrogerinnsel, dem Entzündungshemmer Colchicin oder den Antihistaminika Famotidin und Loratidin, die die Mastzellaktivierung unterdrücken sollen. Die verantwortlichen Experten haben allerdings auch den Spielraum, weitere Medikamente in die Studienplattform mit aufzunehmen. Einen ähnlichen Ansatz gibt es auch hier in Deutschland im Rahmen von NAPKON. Durch das Projekt sollen die Pathophysiologie, Risikofaktoren sowie Behandlungsmöglichkeiten für Long Covid aufgeklärt werden. „Ohne hinreichende Studien werden diese Modelle – so plausibel sie auch erscheinen mögen – keinen Weg in die Therapie finden“, so das Fazit des Experten.
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