Abiturienten mit dem Berufswunsch Arzt stehen häufig vor dem Dilemma langer Wartezeiten. Ohne Einser-Abi geht nichts. Einen möglichen Ausweg bietet der Dienst am Vaterland: Die Bundeswehr sucht händeringend Ärzte. Und schaut dabei längst nicht nur auf die Note.
Selbst Eignungstests der Universitäten, veränderte Zulassungsbedingungen und eine Namensänderung der Zentralen Vergabestelle für Studienplätze – heute schlicht hochschulstart.de genannt – konnten bislang nicht verhindern, dass Wartezeiten von bis zu sechs Jahren für mittelmäßige Abiturienten eher die Regel als die Ausnahme sind.
Stethoskop statt Maschinengewehr? Ganz so einfach ist es nicht – schließlich müssen auch angehende Sanitätsoffiziere mit all dem Wissen und den praktischen Fähigkeiten ausgestattet sein, um im Kriegsfall als „richtige Soldaten“ zur Verteidigung der Bundesrepublik beitragen zu können. Und um gleich einem Missverständnis vorzubeugen: Medizinstudenten bei der Bundeswehr sind mitnichten alle „NC-Flüchtlinge“, im Gegenteil: Viele Jungakademiker sehen die durchaus vorhandenen Vorteile einer Beschäftigung bei einem der größten Arbeitgeber Deutschlands. Der Dienst an der Waffe schreckt sie dabei ebensowenig ab, wie die Gewissheit, möglicherweise in eines der mittlerweile sehr zahlreichen Krisengebiete geschickt zu werden, in denen die Bundeswehr tätig ist. „Wir. Dienen. Deutschland.“ Seit Aussetzung der Wehrpflicht im Juli 2011 wirbt die Bundeswehr in zahlreichen Werbespots aktiv mit diesem und anderen Slogans um Mitarbeiter verschiedenster Art. Der im zivilen Bereich bereits jetzt postulierte Mangel an medizinischen Fachkräften macht auch vor der Truppe nicht halt: „Wir haben einen großen Ärztemangel“, so der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages Hellmut Königshaus. Bereits seit dem Jahr 2012 beläuft sich die Zahl der offenen Medizinerstellen im deutschen Militär auf rund 300. Im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz sind in der Herz- und Gefäßchirurgie mittlerweile die ersten zivilen Mediziner beschäftigt – der Bedarf lässt sich durch das Kontingent der Bundeswehr nicht decken. Die Gründe für den Ärztemangel sind vielseitig. Viele Bundeswehrärzte kündigen nach der verpflichtenden Zeit, um sich beispielsweise mit einer eigenen Praxis selbstständig zu machen. Aus der – nicht unberechtigten – Angst vor der Entsendung in ein Kriegsgebiet ziehen zudem immer mehr Medizinstudenten in spe die lange Wartezeit einer zivilen Ausbildung vor.
Es lässt sich festhalten: Wer bereit ist, den Weg eines Medizinstudiums bei der Bundeswehr zu gehen, wird sich kaum bis gar keine Sorgen um seinen Arbeitsplatz machen müssen. Aber auch ein Studienplatz bei der Bundeswehr ist absolut kein Selbstläufer. Der Weg in den Sanitätsdienst beginnt für jeden Interessenten am Rhein: In der Offiziersbewerberprüfzentrale in Köln muss zunächst ein dreitägiges Auswahlverfahren bestanden werden. Das gilt freilich nicht nur für die angehenden Lebensretter, sondern für jeden Offiziersanwärter. Von den knapp 10.000 Studienplätzen im Fach Humanmedizin entfallen etwa 250 auf die Bundeswehr. Auch diese werden z. T. durch die Abiturnote vergeben, die Anforderungen sind hier aber nicht ganz so restriktiv wie bei den zivilen Kommilitonen. Dafür sind aber für die endgültige Aufnahme noch eine Reihe anderer Herausforderungen zu bewältigen: So ist eine gewisse körperliche Fitness schon am Beginn der militärischen Laufbahn unerlässlich. Die Kölner Offiziersprüfer bitten die Interessenten zu diversen körperlichen und mentalen Tests. So gilt es, eine Vielzahl an Liegestützen ebenso selbstverständlich zu absolvieren, wie einen raschen Sprint und diverse andere sportliche Einheiten. Im Rahmen psychologischer Tests werden die künftigen Stabsärzte auf Herz und Nieren geprüft. Aus dem gesamten Prozedere ergibt sich eine Punktzahl, die letztlich über die Aufnahme entscheidet. Wer mindestens 17 Punkte erreicht, erhält eine Anstellung bei der Bundeswehr. Wer besonders gut abschneidet, darf sich den Studienort sogar teilweise aussuchen. Denn: Anders als bei vielen anderen Studiengängen der Bundeswehr, wird das Medizinstudium an einer zivilen Universität Seite an Seite mit anderen Jungmedizinern absolviert. Daher sind die eigentlichen Studieninhalte zwischen militärischer und ziviler Ausbildung völlig identisch. Bevor es aber soweit ist, muss erst einmal eine dreimonatige militärische Grundausbildung absolviert werden. Soldat ist schließlich Soldat, egal ob Funker, Panzergrenadier oder eben Arzt. Welche Art von Facharztausbildung man später einschlägt, ist übrigens nur bedingt frei wählbar. Die Bundeswehr bildet solche Ärzte aus, die sie auch braucht. Wie wir aber erfahren haben, braucht sie derer sehr viele.
Bereits während des Medizinstudiums sind die angehenden Ärzte als Offiziersanwärter fest angestellt und erhalten ein entsprechendes Festgehalt. Ein Studienkredit, BAföG oder Jobben ist hier kaum nötig – bereits in der Vorklinik können die Studenten mit einem Nettogehalt von rund 1.600 Euro pro Monat rechnen. Zudem finanziert die Bundeswehr zahlreiche Posten wie Studiengebühren, Unterkunft, etc. Während der Semesterzeiten erfolgt eine Freistellung vom militärischen Dienst, um sich voll und ganz auf das Studium und seine Lerninhalte konzentrieren zu können. Die weniger strenge Handhabung mit den Abiturnoten mag den Druck zunächst etwas senken. Im Medizinstudium angekommen, dürfen sich Bundeswehrstudenten jedoch weit weniger Ausfälle leisten, als ihre zivilen Kommilitonen. Ein Urlaubssemester für eine Weltreise, ein Jahr länger studieren, um weniger Druck zu haben oder ein Au-pair-Aufenthalt in den Semesterferien? Für „normale“ Medizinstudenten – je nach Geldbeutel – kein Problem. Ein Studium bei der Bundeswehr erlaubt praktisch keinen Freiraum: Es wird erwartet, dass die Ausbildung in der Regelstudienzeit absolviert wird. Schon ein einziges Zusatzsemester muss beim Arbeitgeber beantragt werden und verschafft dem Sanitätsoffizieranwärter Minuspunkte. Punkte werden während des gesamten Studiums gesammelt. Wer am Ende durch gute Leistungen besonders viele Pluspunkte beisammen hat, kommt in den Genuss, sich unter Umständen eine Facharztrichtung aussuchen zu können. Ansonsten gilt: Die Bundeswehr macht aus Dir das, was sie gerade braucht. Allerdings ist es möglich, beispielsweise durch freiwillige Praktika bzw. Famulaturen, Sonderpunkte zu sammeln. Viele Fehlversuche bei Prüfungen können im Extremfall zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.
Genau diesen Druck wollen sich viele nicht antun. Denn wer glaubt, in den Semesterferien wäre etwa Freizeit angesagt, irrt: Muss nicht gerade ein Pflegepraktikum oder eine Famulatur absolviert werden, stehen Wehrübungen, Lehrgänge und sonstige militärische Tätigkeiten an. Zwar wird man als Medizinstudent noch nicht in Kriegsgebiete entsendet, die Vorbereitung hierauf füllt aber den Zeitplan bereits vollends aus. Um überhaupt Medizin bei der Bundeswehr studieren zu können, muss sich der Interessent für 17 Jahre verpflichten. Macht insgesamt rund 7 Jahre Studium und 10 Jahre Dienst als Militärarzt. Zahlreiche Versetzungen innerhalb Deutschlands sind eher die Regel als die Ausnahme. Dennoch: Das Medizinstudium bei der Bundeswehr bleibt attraktiv: „Die Bundeswehr gab mir die Chance, trotz mäßiger Noten, das Medizinstudium sofort zu beginnen. Und das, obwohl ich verweigert hatte“, erzählt Leutnant Christian Geis im Interview. Allerdings sollte sich jeder angehende Arzt bei der Bundeswehr im Klaren darüber sein, dass sich die Last der Verantwortung immer weiter steigert. Je weniger Nachwuchskräfte sich für das Medizinstudium bei der Bundeswehr entscheiden, desto mehr Arbeit verteilt sich auf den Schultern jedes Einzelnen. Kritik gibt es auch an den sehr restriktiven Anforderungen während des Studiums. Es gibt immer einmal Themen, bei denen mehrere Anläufe notwendig sind. Persönliche Schwächen hat auch derjenige, der später einmal in einem Feldlazarett an der Front arbeitet. Probleme bereitet vielen Interessenten auch die moralische Frage „Bin ich nun angehender Arzt und helfe Menschen? Oder doch Soldat, der auf den Feind schießen muss“. So oder so ähnlich ging es auch Stefan Paulsen. Der junge Mann begann sein Medizinstudium bei der Armee. Mit zunehmender Zeit spürte er, dass er sich in einen immer größeren Gewissenskonflikt hineinbegab. „Ein Mediziner will das Beste für seinen Patienten, er will Schaden lindern. Das Militär geht immer mit Schaden einher. Ich hatte so ein Gefühl im Herzen, dass ich das nicht will. Ich wollte Arzt sein, nicht Soldat.“ Nach einem langen Rechtsstreit beendete die Bundeswehr das Arbeitsverhältnis mit dem heute 27-Jährigen. Und schlussendlich muss sich auch jeder darüber im Klaren sein, dass der Arbeitgeber bis fast zum 40. Lebensjahr Bundeswehr heißt. Die Wartezeit, die anfangs beim Studienplatz eingespart wurde, könnte dann, z. B. bei der Planung einer eigenen Praxis, plötzlich wieder da sein.