Die Epilepsie beim Hund hat erstaunlich viel Ähnlichkeit mit dem Krankheitsverlauf beim Menschen. Warum das für Tier- und Humanmediziner wichtig ist, lest ihr hier.
Unter dem Begriff Epilepsie werden Funktionsstörungen des Gehirns zusammengefasst, die durch ein Zusammenspiel aus pathologischer Erregungsbildung und fehlender Erregungsbegrenzung im ZNS entstehen. Die Erkrankung ist mit spontan auftretenden Anfällen assoziiert und kommt beim Hund genauso wie beim Menschen vor.
Betrachtet man die derzeitige Datenlage, so weist die Epilepsie beim Hund zahlreiche Parallelen zu der Erkrankung beim Menschen auf. Die Prävalenz beim Hund wird auf 0,6–0,75 % geschätzt – ähnlich der beim Menschen. Einige Hunderassen, die für eine Epilepsie prädisponiert zu sein scheinen, weisen jedoch eine deutlich höhere Prävalenz auf.
Die International Veterinary Epilepsy Task Force (IVETF) unterteilt Epilepsie in die
Die idiopathische Epilepsie wird als eigenständige Krankheit definiert, bei der keine strukturelle zerebrale Pathologie vermutet (oder gesehen) wird und in vielen Fällen eine genetische Komponente beteiligt sein kann. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Terminologie der IVETF von der Terminologie der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) in der Humanmedizin. Dort wurde die Bezeichnung idiopathisch durch genetisch und unbekannte Ätiologie ersetzt.
Anhand des Anfallmusters kann in
unterschieden werden. Die ILAE unterscheidet außerdem zahlreiche Epilepsiesyndrome anhand eines bestimmten klinischen Musters und elektroenzephalographischer (EEG) Merkmale – so z. B. die kindliche Absenceepilepsie, die juvenile Myoklonusepilepsie (JME) und die gutartige Epilepsie mit zentrotemporalen Spikes. Bei der Epilepsie des Hundes ist das aufgrund der begrenzten Möglichkeiten der EEG-Analyse bisher nicht möglich.
In seinem Review Artikel beschreibt Prof. Wolfgang Löscher, Direktor des Instituts für Pharmakologie, Toxikologie und Pharmazie der Tierärztlichen Hochschule Hannover die starken Übereinstimmungen der Epilepsie beim Menschen und Hund und schlägt, wegen der vielen Gemeinsamkeiten, den Hund als geeignetes Modell für die humane Epilepsieforschung vor.
In einer großen retrospektiven Studie mit 1.000 Hunden konnte Löscher mit seinem Team 63 % der Hunde der idiopathischen oder Epilepsie mit unbekannter Ätiologie zuordnen, 37 % hatten hingegen eine strukturelle Ätiologie. Innerhalb der Gruppe der strukturellen Epilepsie bildeten Hunde mit traumatischen Hirnverletzungen die größte Untergruppe. Hall et al. berichteten 2020 von einer ähnlichen Verteilung. In einer retrospektiven Studie an 900 Hunden, die aufgrund von Anfällen einer Magnetresonanztomographie (MRT) unterzogen worden, wurden in 45,1 % der Fälle strukturelle Läsionen als Ursache der Anfälle identifiziert, während bei 54,9 % keine strukturellen Läsionen festgestellt wurden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Podell et al. in einer prospektiven Studie, dort wurden strukturelle Ursachen bei 46 % der epilepsiekranken Hunde entdeckt.
Diese epidemiologischen Daten vom Hund sind den entsprechenden Studien bei Menschen mit Epilepsie sehr ähnlich. In einer großen bevölkerungsbasierten US-Studie in der Daten über 50 Jahre hinweg ermittelt wurden, konnten 65 % der Patienten als idiopathisch/kryptogen und 35 % als symptomatisch eingestuft werden. In der letztgenannten Gruppe wurde bei 6 % der Patienten ein Kopftrauma, bei 10 % ein Schlaganfall, bei 6 % ein Hirntumor, bei 3 % eine Infektion, bei 4 % degenerative Ursachen und bei 8 % angeborene Hirnveränderungen als Ursache für die Epilepsie festgestellt.
Es sei zu erwarten, so Löscher in seinem Artikel, dass sich, aufgrund hochauflösender MRT und des Aufkommens moderner Technologien zur Identifizierung genetischer Ursachen, wie z. B. Next-Generation-Sequencing, in Zukunft ähnlich genaue Daten bei der Epilepsie des Hundes erheben lassen.
Die ILAE teilt epileptische Anfälle in solche mit fokalem Beginn, mit generalisiertem Beginn und mit unbekanntem Beginn ein. Generalisierte Anfälle werden außerdem in motorische (z. B. generalisierte tonisch-klonische) und nicht-motorische Anfälle (z. B. Absence-Anfälle) unterteilt. Fokal einsetzende Anfälle können außerdem sekundär zu generalisierten tonisch-klonischen Anfällen generalisieren.
Auch beim Hund können diese Anfallstypen beobachtet werden. In der Vergangenheit galten generalisierte tonisch-klonische Anfälle oft als die häufigste Anfallsart bei Hundeepilepsie. Mittlerweile gibt es immer mehr Hinweise darauf, dass fokal beginnende Anfälle die häufigste Anfallsform sind. Wie beim Menschen können generalisierte tonisch-klonische Anfälle einen generalisierten Beginn haben oder durch sekundäre Generalisierung nach fokal beginnenden Anfällen auftreten. Bei Hunden sollte der Anfallstyp (z. B. fokal vs. generalisiert) nicht als einzige Variable zur Vorhersage des Vorliegens einer strukturellen Epilepsie verwendet werden, obwohl fokale Anfälle häufig auf eine strukturelle Ätiologie hindeuten.
Strukturelle Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen haben eine schlechtere Prognose als idiopathische Epilepsien mit generalisierten Anfällen. Fokal beginnende Anfälle können beim Hund sehr subtil sein und vom Halter leicht übersehen werden – insbesondere wenn sie nachts auftreten. Komplexere fokale Anfälle können sich als bizarres Verhalten äußern, wie z. B. unprovozierte Aggression, unkontrolliertes Laufen oder rhythmisches Bellen. Darüber hinaus kann eine strukturelle Epilepsie mit fokal beginnenden Anfällen mit einer präiktalen Phase einhergehen, d. h. einer Periode veränderten Verhaltens, in der sich der Hund versteckt, nervös wirkt oder seinen Besitzer sucht.
Wie beim Menschen scheinen fokale Anfälle mit oder ohne sekundäre Generalisierung die häufigste Anfallsart bei Hunden mit Epilepsie zu sein, sie gehen mit einer schlechten Behandlungsprognose einher.
Im humanmedizinischen klinischen Umfeld ist die nicht-invasive Aufzeichnung des EEG auf der Kopfhaut mit standardisierter Elektrodenanordnung eine Schlüsselmethode bei der Bewertung von Epilepsien. Beim Hund hat sich das EEG nie als Routine-Labortest für die Diagnose etabliert, was zumindest teilweise daran liegt, dass die nicht-invasive EEG-Aufzeichnung aufgrund der dicken Muskeln am Hundeschädel durch Artefakte beeinträchtigt wird. Um dieses Problem zu überwinden, können subdermale Nadel-Kopfhaut-Elektroden verwendet werden, was jedoch eine Immobilisierung des Hundes durch tiefe Sedierung oder Anästhesie erfordert. Die Sedierung/Anästhesie könnte wiederum die interiktalen und iktalen EEG-Aufzeichnungen beeinträchtigen. Die IVETF hat die Bedeutung des EEG bei epilepsiekranken Hunden erkannt und beschrieben, dass die Entwicklung eines standardisierten EEG-Protokolls für die Veterinärneurologie eine dringende Priorität darstellt – nicht zuletzt, um in Zukunft die resektive Epilepsiechirurgie zu fördern.
Eine Arbeitsgruppe der University of Pennsylvania, USA, entwickelte 2011 ein implantierbares Gerät, mit dem ein kontinuierliches intrakranielles EEG bei Hunden drahtlos aufgezeichnet und analysiert werden kann. Bei der intrakraniellen EEG-Überwachung (iEEG) von sechs nicht betäubten Hunden mit natürlich auftretender Epilepsie über einen Zeitraum von fünf Monaten konnte die Gruppe bisher nicht charakterisierte intrakranielle Anfallsmuster nachweisen, die der fokal beginnenden Epilepsie beim Menschen verblüffend ähnlich sind. In einer anschließenden einjährigen Studie an vier epilepsiekranken Hunden stellten Ung et al. eine erhebliche zeitliche Variabilität der Anfälle und interiktalen Schübe nach der Elektrodenimplantation fest, die mehrere Wochen benötigten, um einen stabilen Zustand zu erreichen.
Diese Ergebnisse, die denen mit dem NeuroPace Responsive Neurostimulator System (RNS® System) gemessenen ähneln, deuten darauf hin, dass vorübergehende Netzwerkveränderungen nach der Elektrodenimplantation bei der Interpretation für eine Epilepsieoperation berücksichtigt werden müssen. Sobald ein stabiler Zustand erreicht war, konnten bei den Hunden mehrere Anfallstypen beobachtet werden, die sich zeitlich deutlich voneinander unterschieden. Anfälle traten typischerweise in Clustern auf, und isolierte Anfälle waren selten.
Antikonvulsive Medikamente (Anti-Seizure Medication, ASM) früher als Antikonvulsiva oder Antiepileptika bezeichnet, sind die Hauptstütze der symptomatischen Epilepsiebehandlung bei Mensch und Hund. Das Ziel der Therapie ist die vollständige Eliminierung von Anfällen, was jedoch nicht immer erreicht werden kann. Das sekundäre Ziel besteht darin, die Schwere und Häufigkeit von Anfällen zu verringern.
Derzeit stehen etwa 30 ASM für die Epilepsietherapie beim Menschen zur Verfügung; nicht alle sind auch für die Therapie beim Hund geeignet. Der Hauptgrund dafür sind die pharmakokinetischen Unterschiede zwischen den Spezies. Die meisten ASM werden beim Hund wesentlich schneller ausgeschieden als beim Menschen. Das macht die Aufrechterhaltung therapeutischer Wirkstoffspiegel beim Hund sehr schwierig. Nur drei ASM, Phenobarbital, Imepitoin und Kaliumbromid, sind in Europa für die Epilepsietherapie bei Hunden zugelassen.
Kaliumbromid ist in Europa nur als Zusatztherapie für Hunde zugelassen, bei denen die Behandlung mit Phenobarbital oder Imepitoin versagt hat. Wie beim Menschen müssen epileptische Hunde täglich und lebenslang mit einem ASM behandelt werden, da die Behandlung die Anfälle nur symptomatisch unterdrückt. Eine Behandlung mit zu niedrigen Dosen oder ein abrupter Abbruch der Behandlung kann zum lebensbedrohlichen Status epilepticus (SE) führen.
Sind Hunde gegen die zugelassenen Medikamente resistent, können für den Menschen zugelassene ASM als Zusatzmedikation versucht werden – sofern ihre Halbwertszeit beim Hund lang genug ist, um die Aufrechterhaltung wirksamer Medikamentenspiegel zu ermöglichen (in Löschers Review findet sich hierzu eine Tabelle). Viele dieser ASM wurde als Zusatz- oder Monotherapie bei epilepsiekranken Hunden erprobt, meist aber mit begrenztem Erfolg (u.a. hier und hier). Levetiracetam wurde jedoch erfolgreich zur „Impuls“-Behandlung bei Cluster-Anfällen und kurz vor generalisierten Krampfanfällen eingesetzt, die durch Verhaltensänderungen vorhergesagt werden konnten.
Phenobarbital, Primidon und Benzodiazepine wie Clobazam, Clonazepam und Diazepam führen bei chronischer Behandlung von Hunden zu Toleranz und körperlicher Abhängigkeit, so dass die Dosis in den ersten Wochen der Behandlung stetig erhöht werden muss. Diese Toleranz ist, Laut Löscher hauptsächlich auf die Anpassung des GABAA-Rezeptors an die ständige Anwesenheit der Medikamente zurückzuführen (sog. funktionelle Toleranz).
Im Fall von Phenobarbital und Primidon trägt die metabolische Toleranz (durch Induktion von Leberenzymen) zum allgemeinen Verlust der Wirksamkeit bei. Hier ist Vorsicht geboten, denn bei diesen Medikamenten kann ein abrupter Abbruch der Behandlung zu lebensbedrohlichem SE führen. Die therapeutischen Plasmaspiegel von Phenobarbital liegen bei epileptischen Hunden im gleichen Bereich (10–40 μg/ml) wie bei Menschen mit Epilepsie.
IImepitoin wirkt nur als partieller Agonist mit niedriger Affinität am GABAA-Rezeptor und weist keine Toleranz oder Abhängigkeit auf. Ein weiterer Vorteil der Behandlung mit Imepitoin bestehe darin, so Löscher, dass im Gegensatz zu Phenobarbital und Kaliumbromid während der Therapie kein therapeutisches Drug-Monitoring (Bestimmung der Plasmaspiegel) erforderlich sei.
Das vollständige Review von Prof. Wolfgang Löscher mit noch mehr Gemeinsamkeiten zwischen menschlicher und caniner Epilepsie findet ihr hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Erda Estremera, unsplash