Wird ein Kondom entgegen der Absprache heimlich entfernt, kann das juristische Folgen haben. Außerdem drohen Infektionen, ungewollte Schwangerschaften und psychische Probleme. Meine Meinung als Gynäkologin.
Stealthing leitet sich vom englischen stealth ab, was List oder Heimlichkeit bedeutet. Darunter versteht man, dass bei zunächst einvernehmlichem Sex das Kondom heimlich und ohne Einwilligung entfernt oder bewusst beschädigt wird. Der anschließende Geschlechtsverkehr birgt die Gefahr der Übertragung von Geschlechtskrankheiten, einer ungewollten Schwangerschaft und eines psychischen Traumas.
Diese Form des Vertrauensbruchs ereignet sich wahrscheinlich schon so lange wie es Kondome gibt. Deutlich beim Namen genannt hat man das Problem erstmals aufgrund einer empirischen Studie, die Alexandra Brodsky, Juristin an der Yale University, 2017 durchführte. Betroffene berichteten darin von einer schwerwiegenden Verletzung ihrer Würde und ihres Selbstbestimmungsrechtes.
Was die Häufigkeit betrifft, berichtet eine US-amerikanische Studie mit 626 befragten Männern zwischen 21 und 30 Jahren, dass 61 (9,8 %) Teilnehmer seit ihrem 14. Lebensjahr Stealthing betreiben.
Das Kammergericht in Berlin hat im Juli 2020 erstmals obergerichtlich über die Strafbarkeit von Stealthing in Deutschland entschieden. Vorausgegangen war die Tat eines damals 35-jährigen Mannes im Jahr 2017, der die Kondomforderung seiner 20-jährigen Sexualpartnerin missachtete und zunächst zu einer Bewährungsstrafe von acht Monaten verurteilt wurde. Außerdem wurde eine Schmerzens- und Schadensersatzzahlung von knapp 3.000 Euro vereinbart. Es ginge um den Rechtsspruch des sexuellen Übergriffs nach § 177 Abs. 1 StGB, nicht um den Tatbestand einer Vergewaltigung.
Am Freiburger Landgericht wurde im Frühjahr 2022 ebenfalls über einen Stealthing-Vorwurf in einer Berufungsverhandlung entschieden. In erster Instanz wurde die Tat von Oktober 2017 als sexueller Übergriff bewertet und mit neun Monaten ohne Bewährung geahndet. Der Täter war bereits vorbestraft. In Großbritannien wurde Stealthing bereits als Vergewaltigung verurteilt, im US-Bundesstaat Kalifornien ist es seit Kurzem verboten.
Es gilt das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Als sexueller Übergriff nach § 177 Abs. 1 StGB gilt:
„Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“
Als Vergewaltigung wird nach § 177 Abs. 6 StGB bezeichnet:
„In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung).“
Rechtswissenschaftler Prof. Felix Herzog hat sich wissenschaftlich mit dem Phänomen beschäftigt. Er vermutet dahinter eine Machtfrage, bei der der Täter bestimmen möchte, wie es läuft. Meist handelt es sich um männliche Täter, aber seit Mai dieses Jahr gibt es einen Präzedenzfall weiblichen Stealthings in Deutschland. Das Amtsgericht Bielefeld hat eine 39-jährige Frau zu sechs Monaten auf Bewährung wegen sexueller Nötigung verurteilt. Sie hatte heimlich die Kondome des Partners beschädigt, um ihn durch eine Schwangerschaft an sich zu binden.
Internetforen, in denen sich vorwiegend Männer über Stealthing austauschen, tun ihr Übriges.
Im Freiburger Fall berichtet die Betroffene über weitreichende gesundheitliche Einschränkungen durch die Tat. Sie habe sich die „Pille danach“ besorgt, deren Nebenwirkungen ihr zu schaffen machten. Den erlittenen Vertrauensbruch erlebte sie als sehr schmerzhaft, er habe ihr Verhalten gegenüber Männern verändert. Die sich über Jahre hinziehenden juristischen Verfahren hätten sie psychisch stark belastet.
Auch die infektiologische Komponente ist zu bedenken, schützen Kondome doch vor sexuell übertragbaren Erkrankungen.
Kondome schützen mit einem Pearl Index von 2–12 vor ungewollten Schwangerschaften. Wird es entfernt oder beschädigt, droht ein Schwangerschaftskonflikt mit allen psychischen und körperlichen Belastungen. Je nach persönlicher Resilienz können psychische Traumata durch den Vertrauensbruch und die Verletzung der körperlichen Autonomie entstehen. Weiterhin werden möglicherweise Ängste, die aus der Situation entstehen, hervorgerufen. Nachfolgende Partnerschaften sind dadurch beeinflusst.
Berichten Betroffene in der Praxis von einem Stealthing-Vorfall, hilft eine Checkliste:
Welche Form des Strafbestandes Stealthing in Zukunft darstellen wird, ist Aufgabe der Rechtsprechung.
Bildquelle: charlesdeluvio, unsplash