Ein kleiner Junge ist übersät mit Hautläsionen – doch abgesehen von Halsschmerzen scheint er gesund. Nach einer ärztlichen Odyssee knackt die Klinik das Diagnose-Rätsel.
Ende Juni 2022 stellt sich ein Junge im Alter von unter 10 Jahren mit Hautläsionen in der pädiatrischen Notaufnahme in Amsterdam vor. Bereits drei Wochen vor seiner Aufnahme hatte er Halsschmerzen – allerdings keine Fiebersymptome –, die am nächsten spontan abklangen. Einen Tag später reiste er mit seiner Familie für einen einwöchigen Urlaub in die Türkei. Nach seiner Rückkehr bemerkte er zwei kleine runde Hautläsionen an seinem linken Unterkiefer und seiner Wange. Sein Hausarzt begann mit dem Verdacht auf eine leichte Dermatomykose mit antimykotischer Creme zu behandeln. In den Tagen darauf traten jedoch weitere Läsionen im Gesicht des Jungen auf. Nach einem erneuten Besuch beim Hausarzt, verschob sich der Verdacht auf eine Infektion mit Impetigo vulgaris, weshalb die Behandlung mit antibiotischer Creme fortgesetzt wurde.
A: Zwei einzelne Läsionen am linken Unterkiefer und Wange. B: Läsion an rechte Schulter. C und D: Läsion am rechten Unterarm. Credit: Furth et al. (2022)
Als dann etwa 20 weitere Läsionen an diversen Köperteilen auftraten, wurde das Kind mit klinischem Verdacht auf Affenpocken ins Krankenhaus überwiesen. Das Kind wirkte bei der Aufnahme insgesamt guter Gesundheit, hatte stabile Vitalparameter und kein Fieber. Es gab ebenfalls keine vergrößerten Lymphknoten und auch die Leber und Milz schienen bei der abdominalen Palpation nicht vergrößert. Lediglich die Haut war übersät mit etwa 20 einzelnen, scharf abgrenzenden, rotbraunen Bläschen. Die Extremitäten waren dabei vermehrt von den Läsionen betroffen, nicht aber die Mundhöhle oder der Genitalbereich. Die Untersuchung der Blutprobe des jungen Patienten schienen überwiegend im Normbereich, allerdings hatte das Kind einen IgA-Mangel.
Die Proben für den PCR-Test auf Affenpocken entnahmen die Ärzte aus dem Blut, Rachen, Analbereich sowie den Läsionen und dem Urin. Alle Proben – bis auf die Urinprobe – waren positiv auf das Affenpockenvirus. Es handelte sich tatsächlich um die Linie B.1, die auch für den aktuellen Ausbruch in Europa verantwortlich ist.
Da der aktuelle Affenpocken-Ausbruch in der westlichen Hemisphäre überwiegend mit sexueller Aktivität zusammenhängt, schlossen die behandelnden Ärzte auch die Möglichkeit eines sexuellen Missbrauchs mit ein. Doch durch eine sorgfältige Anamnese, in der sie auch auf Syphilis, Gonorrhö, Chlamydien, HIV sowie Varizella-Zoster-Virus und Hepatitis B und C testeten, konnten die Ärzte einen Missbrauch ausschließen.
Unklar bleibt, wo sich der Junge angesteckt hat: Alle Personen in seinem näheren Umfeld wurden negativ auf das Virus getestet. Sie erhielten als Hochrisiko-Kontakte umgehend den Pockenimpfstoff Imvanex®. Das Kind selbst hatte auch keinen Kontakt zu Personen mit nachgewiesener oder möglicher Affenpocken-Infektion. Während des Familienurlaubs habe die Familie konsequent darauf geachtet, Liegen nur mit eigenen Handtüchern zu beziehen und es gab auch keinen engen Kontakt zu anderen Gästen. Die Ärzte vermuten jedoch, dass eine Übertragung über die Atemwege stattgefunden haben könnte. Denn aufgrund des IgA-Defizits des Kindes und der damit verbundenen geringeren Schleimhautimmunität, ist der Junge anfälliger für bestimmte Übertragungen über die Atemwege. Zudem sei es laut Autoren bei einer respiratorischen Übertagung noch schwieriger abzuschätzen, wie lange der Inkubationszeitraum der Infektion tatsächlich betrug. Sprich: Wir wissen weder das Wo, noch das Wann.
Der Fall zeigt uns also, dass nicht nur sexuelle Aktivität für eine Infektion verantwortlich sein kann. Das Virus schreckt nicht vor Geschlecht oder Alter zurück: „Mit dieser Fallbeschreibung möchten wir das Bewusstsein unter Klinikern dahingehend schärfen, dass Affenpocken bei Kindern entstehen und in der Allgemeinbevölkerung vorhanden sein können“, so die Autoren.
Die Fallzahlen steigen: Mit dem heutigen Stand wurden dem RKI 2.352 Fälle von Affenpocken aus allen 16 deutschen Bundesländern gemeldet. Auch weiterhin hängen die meisten Fälle mit sexuellem Kontakt zusammen – insbesondere bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Bisher wurden dem Institut lediglich fünf weibliche Fälle übermittelt und bislang keine bei Kindern.
Da sich seit Mai 2022 die Fälle in vielen Ländern weltweit immer mehr häufen, wurde das Ausbruchsgeschehen von der WHO am 23. Juli zur „Gesundheitlichen Notlage mit internationaler Tragweite“ erklärt. Damit rief Generaldirektor Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus am Samstag in Genf die höchste Alarmstufe aus. Allerdings hat das bisher keine praktischen Folgen, sondern soll die Mitgliedsstaaten eher dazu anregen, Maßnahmen zu ergreifen, damit der Affenpockenausbruch weiter eingedämmt werden kann. Der Expertenausschuss hatte sich zuvor nicht auf eine gemeinsame Empfehlung zum Ausruf geeinigt.
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Tedros sprach von mehr als 16.000 Fällen in 75 Ländern und 5 Toten. Viele dieser Länder kannten vorher keine Affenpocken-Fälle. Mit mehr Übertragungen ist laut den Experten weiterhin vielerorts – auch in Deutschland – zu rechnen. Das RKI schätzt allerdings die Gefährdung für die Gesundheit der breiten Bevölkerung in Deutschland nach aktuellen Kenntnissen als gering ein.
Bildquelle: Jr Korpa, unsplash