Patienten mit kardiovaskulärem Risiko, die unter Statinen noch erhöhte Triglyceride haben, können mit der Omega-3-Fettsäure IPE behandelt werden. Doch die Studienergebnisse, auf denen die Zulassung basiert, geraten ins Wanken.
Bei Patienten mit hohem kardiovaskulärem Risiko durch Atherosklerose oder Diabetes sind Statine in der Sekundärprävention nicht mehr wegzudenken. Es gibt aber eine Stellschraube, an der pharmakologisch zusätzlich gedreht werden kann: erhöhte Triglyceride. Denn zeigen Patienten, die bereits mit Statinen behandelt werden eine Erhöhung der Triglyceride, so haben sie US-Daten zufolge ein um etwa 35 % erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse.
Seit September 2021 steht deutschen Ärzten in diesem Kontext ein breit einsetzbares Medikament zur Verfügung – Icosapent-Ethyl. Die modifizierte Omega-3-Fettsäure konnte in der REDUCE-IT-Studie (Reduction of Cardiovascular Events With Icosapent Ethyl — Intervention Trial) zusätzlich zu einer aufdosierten Statin-Therapie das Risiko von Myokardinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulären Todesfällen bei Risikopatienten mit erhöhten Triglyceridwerten signifikant reduzieren. Anfang 2020 kam der Wirkstoff in den USA auf den Markt. Es war dort das erste und einzige von der FDA zugelassene Medikament für die Behandlung von Hochrisikopatienten mit anhaltendem kardiovaskulärem Risiko trotz Statintherapie.
Icosapent-Ethyl (IPE, Vazkepa®) ist mittlerweile auch in Deutschland, zusätzlich zu einer Statin-Therapie, für erwachsene Hochrisikopatienten mit erhöhten Triglyceridwerten (≥ 150 mg/dl bzw. 1,7 mmol/l) zugelassen. Mit ‚Hochrisiko‘ sind Patienten gemeint, die bereits an einer kardiovaskulären Erkrankung leiden oder die einen Diabetes haben und zusätzlich mindestens einen weiteren kardiovaskulären Risikofaktor. Die REDUCE-IT-Studie hat auch deswegen viel Aufmerksamkeit bekommen, weil IPE bisher das einzige Präparat mit einer Omega-3-Fettsäure ist, dessen Wirksamkeit in einer großen randomisierten, placebokontrollierten, doppelblinden Studie nachgewiesen werden konnte. Was IPE laut Hersteller von den in Drogerien erhältlichen Omega-3-Fettsäure-Präparaten abhebt, sei der in Reinform enthaltene Wirkstoff und die hohe Dosierung von von 2 x 2 Kapseln à 998 mg pro Tag.
In der REDUCE-IT-Studie wurden 8.000 Patienten mit einem Placebo oder IPE in einer Dosis von 2 x 2 g pro Tag behandelt. Beim Placebo waren die Kapseln mit pharmazeutischem Mineralöl befüllt, um Farbe und Konsistenz von Icosapent-Ethyl zu imitieren. Die Studienteilnehmer mussten entweder 45 Jahre oder älter sein und bereits eine kardiovaskuläre Erkrankung haben, oder sie waren 50 Jahre und älter mit Diabetes und mindestens einem weiteren Risikofaktor. Die Trigylceride der Patienten mussten zwischen 135 und 499 mg/dl liegen, das LDL-Cholesterin sollte unter stabiler Statintherapie seit mindestens 4 Wochen 41–100 mg/dl betragen. Der mediane Follow-up-Zeitraum lag bei 4,9 Jahren.
Und tatsächlich – die Patienten, die das IPE-Präparat erhielten, schnitten bei den primären (kardiovaskulärer Tod, nicht-tödlicher Myokardinfarkt / Schlaganfall, Koronarrevaskularisation sowie instabile Angina pectoris mit Hospitalisierung) und sekundären Endpunkten (Kombination aus kardiovaskulärem Tod und nicht-tödlichen Schlaganfällen oder Myokardinfarkten) signifikant besser ab. Mit zunehmendem Follow-up-Zeitraum wurde der Nutzen sogar noch größer. Konkret: Über die 5 Jahre erlitten 22 % der Patienten in der Placebogruppe ein Ereignis gemäß primärem Endpunkt. Bei einer IPE-Therapie waren es dagegen nur 17 % (HR 0,75; 95 % CI 0,68–0,83; p < 0,001). Das ergibt eine Number needed to treat von 21 Patienten.
Auch beim sekundären Endpunkt waren die Ergebnisse gut: 14,8 % der Patienten in der Placebogruppe, aber nur 11,2 % der Patienten in der IPE-Gruppe erlitten ein entsprechendes Endpunktereignis (HR 0,74; 95 % CI 0,65–0,83; p < 0,001). Im Zusammenhang mit kardiovaskulären Ereignissen verstorben waren 5,2 % gegenüber 4,3 % der Patienten (HR 0,80; 95 % CI 0,66–0,98; p = 0,03). Die Effekte waren außerdem unabhängig von Geschlecht, Alter, Nierenfunktion sowie Triglycerid- und LDL-Spiegel.
Die REDUCE-IT Studie hat mit ihrem deutlichen Ergebnis zügig Eingang in die Leitlinien gefunden. Die Leitlinie der ESC/EAS zu Dyslipidämien spricht bei Hochrisikopatienten mit Triglycerid-Werten von 135–499 mg/dl eine IIa/B-Empfehlung aus. Und in der ESC-Leitlinie für die kardiovaskuläre Prävention gibt es eine IIb-Empfehlung.
Doch nach Veröffentlichung der Ergebnisse wurde auch Kritik geäußert. Besonders, nachdem eine zweite große Studie veröffentlicht wurde, in der ein Omega-3-Fettsäurepräparat mit einem Maisöl-Placebo verglichen wurde und dort bei Hochrisiko-Patienten keine Verringerung schwerer kardiovaskulärer Ereignisse beobachtet werden konnte. Zum Einsatz kam hier ein Kombi-Präparat aus Eicosapentaensäure (IPE ist ein Ethylester von EPA) und Docosahexaensäure in einer Gesamtdosis von 4 g pro Tag.
Die Studie wurde und wird unterschiedlichlich interpretiert. Eine These ist, dass die Mischung nicht funktioniert bzw. die Konzentration der eigentlich wirksamen EPA zu niedrig war. Andere äußerten den Verdacht, dass sich die in der REDUCE-IT Studie für die Placebo-Gruppe verwendeten Mineralöl-Kapseln anders als Maisöl nicht inert verhielten, sondern zu einem Anstieg der Endpunktparameter in der Vergleichsgruppe führten.
Diese Überlegungen haben jetzt zu einer weiteren Veröffentlichung im Fachmagazin Circulation geführt, in der sich die an REDUCE-IT beteiligten Forscher mithilfe einer Biomarker-Unterstudie dieser Fragestellung widmeten. Schon in der REDUCE-IT Originalpublikation schrieben die Autoren selbst in ihrer Diskussion, dass „die Mechanismen, die für den in REDUCE-IT beobachteten Nutzen von Icosapent-Ethyl verantwortlich sind, [...] derzeit nicht bekannt“ seien. In der aktuellen Post-hoc-Analyse konzentrierten sie sich jetzt auf die Veränderungen von Biomarkern, die mit atherosklerotischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden.
Vom Ausgangswert bis 12 und 24 Monate nach der Randomisierung untersuchten sie Interleukin-1β, Interleukin-6, hochsensibles C-reaktives Protein (hs-CRP), oxidiertes Low-Density-Lipoprotein-Cholesterin (LDL), Homocystein, Lipoprotein (a) und Lipoprotein-assoziierte Phospholipase A2. Das Ergebnis: In der IPE-Gruppe gab es nur minimale Veränderungen bei diesen Biomarkern, während in der Placebogruppe mit Mineralöl signifikante Anstiege zu beobachten waren, darunter nach 12 Monaten 11 % für oxidiertes LDL, 22 % für hs-CRP und 29 % für Interleukin-1β. Nach 12 und 24 Monaten waren die Unterschiede zwischen den Gruppen noch größer.
Das Fazit im Circulation-Paper: „Bei den Teilnehmern der REDUCE-IT-Studie hatte die Gabe von Icosapent-Ethyl nur minimale Auswirkungen auf eine Reihe von Biomarkern, die mit atherosklerotischen Erkrankungen in Verbindung gebracht werden, während die Werte bei den Teilnehmern, die Mineralöl erhielten, anstiegen. Die Auswirkungen dieser Ergebnisse auf die Interpretation der im Rahmen von REDUCE-IT beobachteten Verringerung des Gesamtrisikos für klinische Ereignisse sind ungewiss.“
Und der Hersteller? Amarin lässt auf seiner Webseite zu den aktuellen Ergebnissen einen der beteiligten Prüfärzte sprechen: „Unabhängig vom Biomarkerpfad waren die Wirkungen sowohl für Icosapent Ethyl als auch für Placebo in absoluten Zahlen gering und die Veränderungen der Werte lagen in dieser explorativen Teilanalyse meist unter den Grenzen der Quantifizierung“, so Deepak L. Bhatt, leitender Prüfarzt von REDUCE-IT und Mitautor der Biomarker-Teilanalyse. Während die Wirkmechanismen, die zur Verringerung kardiovaskulärer Ereignisse mit Icosapent Ethyl beitragen, noch nicht vollständig geklärt seien und wahrscheinlich multifaktoriell bedingt seien, hätten frühere Studien eindeutig die entzündungshemmende Wirkung von EPA gezeigt. „Während die explorativen Biomarker-Subanalysen wissenschaftlich interessant sind, sind die Ergebnisse der REDUCE-IT-Studie in Bezug auf die kardiovaskulären Ergebnisse insgesamt eindeutig und klinisch wichtig.“
Aber, was bedeutet das nun für Kardiologen und Allgemeinmediziner, die ihre Patienten mit IPE behandeln und sich hiervon eine relevante Risikoreduktion versprechen? Robert A. Harrington, Medizinprofessor an der renommierten Stanford University, widmete sich in einem mehrseitigen Kommentar, der ebenfalls in Circulation erschien, dieser Frage. Harrington schreibt: „Zunächst einmal muss man den Prüfärzten für die Transparenz, mit der sie diese Biomarkerdaten veröffentlicht haben, ein Lob aussprechen.“ Es sei schwierig, eine Einschränkung in einer Studie zuzugeben, in die man bis zu zehn Jahre seines Berufslebens investiert habe, aber es sei richtig, dies zu tun. Die Daten könnten sich laut Harrington für andere als nützlich erweisen, wenn es um die Gestaltung von Studien ginge – so z. B. bei der künftigen Auswahl von Placebos.
Er schreibt weiter: „Zweitens sollte man den Studienleitern (und dem Sponsor) dazu gratulieren, dass sie diese Sammlung von Bioproben in die große, globale RCT eingebettet haben. Dies ist keine leichte Aufgabe angesichts des Spannungsverhältnisses zwischen dem Wunsch nach Einfachheit und Pragmatismus in großen Studien, um klinische Frage effizient und schnell beantworten zu können, und dem wissenschaftlichen Wunsch der Reviewer (und Sponsoren) danach, die Mechanismen besser zu verstehen, die zu neuen Erkenntnissen darüber führen könnten, wie die Therapie letztendlich eingesetzt werden könnte.“
Harringtons Gesamtfazit ist kein angenehmes – vor allem für den Hersteller Amarin: „Die harte Realität ist, dass wir mit Unsicherheiten konfrontiert sind und die Fragen, die durch die Verwendung von Mineralöl als Placebo aufgeworfen wurden, nur durch eine weitere RCT beantwortet werden können. Auch wenn diese Empfehlung mit der Anerkennung der Zeit, des Aufwands und der finanziellen Ressourcen einhergeht, die für die Durchführung einer weiteren Studie erforderlich sind, ist sie aus Sicht der öffentlichen Gesundheit wichtig, da eine große Zahl von Hochrisikopatienten für eine Behandlung mit Icosapent-Ethyl in Frage kommt.“
Auch Harlan M. Krumholz, Professor an der Yale University School of Medicine und langjähriger Chefredakteur beim NEJM Journal Watch Cardiology, schreibt in einem Kommentar: „Die Autoren können nicht sagen, was die Studie mit einem wirklich neutralen Placebo ergeben hätte, und manche argumentieren, dass das ursprüngliche Ergebnis so deutlich war, dass ein nicht-neutrales Placebo es nicht umstoßen könnte. Dennoch machen die Autoren selbst [...] deutlich, dass eine neue Studie erforderlich ist, um Gewissheit über die Wirkung von Icosapent-Ethyl auf das kardiovaskuläre Risiko von Patienten mit erhöhten Triglyceridwerten zu erlangen.“
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