Drohender Mangel an Hausärzten in ländlichen Regionen ist eines der zentralen Themen gesundheitspolitischer Reformen. Den jüngsten Beweis dafür liefert das unlängst beschlossene Versorgungsstärkungsgesetz. Sind Landärzte tatsächlich eine aussterbende Spezies?
„Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein. Gerade im ländlichen Raum sind verstärkte Anstrengungen nötig, um eine gute Versorgung aufrechtzuerhalten.“ Mit diesen Worten kommentiert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) den Beschluss des „Gesetzes zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung“, kurz GKV-Versorgungsstärkungsgesetz genannt. Bei den von Gröhe angesprochenen verstärkten Anstrengungen im ländlichen Raum handelt es sich vorwiegend um Bürokratieabbau und finanzielle Anreize, deren Ausmaß zu großen Teilen in die Hände der Verantwortlichen vor Ort gelegt wird. Dadurch soll das Interesse an einer Niederlassung sowie an der Gründung medizinscher Versorgungszentren in unterversorgten oder strukturschwachen Gebieten gefördert werden. Zudem werden sowohl die Zahl der Weiterbildungsstellen als auch die Vergütung für Weiterzubildende in der hausärztlichen Versorgung heraufgesetzt. Heftige Kritik seitens der Ärzteschaft hat sich jedoch vor allem daran entzündet, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen durch das neue Gesetz in Zukunft dazu verpflichtet werden, vakante Kassenarztsitze in überversorgten Gebieten aufzukaufen. Der Vorsitzende des Hartmannbunds Klaus Reinhardt ist davon überzeugt, dass die Neuregelung keinen Einfluss auf den Landärztemangel hat: „Sie wird an den real existierenden Verhältnissen überhaupt nichts ändern.“ Stattdessen werde auch zukünftig nur sehr wenig Gebrauch von diesem Instrument gemacht, betont Reinhardt.
Der Auslöser für die politischen Bemühungen im niedergelassenen Bereich ist das bundesweit wachsende Loch in der hausärztlichen Versorgung ländlicher Bereiche. Ein Blick auf die Karte der Arztdichte in Deutschland verrät, dass vor allem in teils dünn besiedelten Bundesländern wie Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg deutlich weniger Ärzte je 100.000 Einwohner tätig sind, als es in den Ballungsgebieten und Großstädten der Fall ist. Dieser Trend spiegelt sich auch in den Statistiken der Kassenärztlichen Vereinigungen wider. In der gesamten Bundesrepublik fehlen derzeit etwa 2.600 Hausarztpraxen, davon alleine über 350 in Niedersachsen und über 160 in Sachsen-Anhalt. Einer Prognose des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (ZI) zufolge müsse das Land Sachsen-Anhalt im Jahr 2025 sogar mit 825 verwaisten Stellen rechnen: „Der Ärztemangel […] ist keine Prognose mehr, sondern in vielen Regionen Deutschlands längst Realität. Und wir müssen davon ausgehen, dass sich dieser Mangel in den nächsten Jahren noch weiter verschärfen wird“, befürchtet Prof. Frank Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK).
Demgegenüber steht jedoch eine Steigerung der Zahl der berufstätigen Ärzte auf eine neue Bestmarke von über 357.000 in Deutschland. Allerdings wird der Zuwachs dadurch erstickt, dass auch andere Statistiken Rekordwerte verzeichnen. So stieg die Zahl der ambulanten Behandlungsfälle zwischen 2004 und 2012 um 136 Millionen Fälle: „Dies erfordert ebenso mehr Personal, wie die durch die wissenschaftliche Entwicklung bedingte zunehmende Spezialisierung der Medizin“, erläutert Montgomery. Doch für eine Tätigkeit als Hausarzt interessiert sich laut einer bundesweiten Umfrage nur jeder zehnte Medizinstudent, jeder Fünfte schließt selbst die Weiterbildung zum Allgemeinmediziner kategorisch aus. Erschwerend kommt hinzu, dass jeder Dritte seinen späteren Arbeitsort auf keinen Fall in einem Ort mit weniger als 10.000 Einwohnern sieht, knapp die Hälfte der Befragten lehnt die potenzielle Niederlassung in Orten mit weniger als 2.000 Einwohnern ab. Stattdessen sehen sich die Jung-Mediziner eher in einem Angestelltenverhältnis in urban gelegenen Krankenhäusern. Die Gründe lägen vor allem in der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der besseren Planbarkeit: „Junge Menschen mit einer hochqualifizierten Ausbildung sind zu Recht nicht mehr bereit, ihren Lebensstil, ihre Lebensqualität und ihre Arbeitnehmerrechte an den Pforten der Krankenhäuser und Arztpraxen abzugeben“, so Montgomery im Hinblick auf die steigende Bedeutung der sogenannten Work-Life-Balance.
Während die Erben den Hausarztpraxen aus dem Weg gehen, geraten die Ahnen zunehmend in den Strudel des demografischen Wandels. Bundesweit und fächerübergreifend stieg im Jahr 2013 die Quote der in den Ruhestand verabschiedeten Ärzte erneut um 3,8 % auf über 72.000. Auch das Durchschnittsalter der niedergelassenen Ärzte befindet sich auf einem Allzeithoch von knapp 53 Jahren, jeder zehnte Hausarzt ist 66 Jahre oder älter. Infolgedessen werden bis zum Jahr 2021 rund 51.000 Niedergelassene in den Ruhestand wechseln und vermutlich oftmals eine Lücke hinterlassen – im Ärztemonitor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ordneten über 80 % der befragten Hausärzte die Suche eines Nachfolgers als schwierig ein. Ein Beispiel: Im Freistaat Bayern ist der Trend besonders deutlich. Dort weist bereits jeder dritte Hausarzt ein Alter von 60 Jahren oder mehr auf und wird in absehbarer Zeit seine Praxistätigkeit beenden. Im Jahr 2013 ließ sich jedoch aufgrund des unzureichenden Nachwuchses für knapp 21 % der scheidenden Hausärzte keine Nachbesetzung finden.
Die Politik hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen getroffen, um den scheinbar unaufhaltsamen Sturz des Damoklesschwerts auf die medizinische Grundversorgung in ländlichen Gegenden abzufangen. Von besonderer Bedeutung war dabei das 2011 errichtete Fundament des nun verabschiedeten Gesetzes, das Versorgungsstrukturgesetz: „Das VStG hat viele Grundlagen gelegt, um die hohe Qualität der ambulanten Versorgung zu erhalten und weiterzuentwickeln“, hebt Dr. Andreas Gassen hervor, Vorstandsvorsitzender der KBV. Bei den Kernpunkten handelte es sich um die vielfach gelobte Aufhebung der Residenzpflicht, den Wegfall der Abstaffelungen für Landärzte sowie verschiedene Förderprogramme. Darüber hinaus konzentriert sich die Ärzteschaft darauf, die Weiterbildung im Bereich der Allgemeinmedizin attraktiver zu gestalten. Zu diesem Zweck wurden diverse Stipendienprogramme und Famulaturförderungen ins Leben gerufen. In Thüringen existiert beispielsweise ein Modell, bei dem der Stipendiat eine Vergütung von 50.000 Euro in Anspruch nimmt, wenn er sich für eine zukünftige Niederlassung in diesem Bundesland verpflichtet. In Bayern unterstützt der Bundesverband der Medizinstudierenden Deutschlands (bvmd) ein Projekt, bei dem Famulaturplätze in hausärztlichen Praxen auf dem Land vermittelt werden.
Von zentraler Bedeutung ist die seit 2010 stärker subventionierte Weiterbildungsförderung im Bereich Allgemeinmedizin, an der zahlreiche Verbände beteiligt sind. Das Förderprogramm registriert einen deutlichen Zuspruch, der sich in der steigenden Zahl der Förderbegünstigten niederschlägt. Seit Beginn des Programms hat die Zahl geförderter Ärzte im ambulanten Bereich um 32 %, im stationären Bereich um mehr als 25 % zugenommen. Des Weiteren zog es in den letzten Jahren entgegen vieler Befürchtungen wieder mehr Hausärzte in ländliche Gebiete. Seit dem Beobachtungszeitraum 2010/2011 hat sich der Anteil der Landärzte bis 2012/2013 von 5,9 % auf 11,5 % nahezu verdoppelt. Georg Heßbrügge von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank) führt diese jüngste Entwicklung auf die Maßnahmen aus Berlin zurück: „Die Zahlen zeigen, dass die Politik mit der Aufhebung der Residenzpflicht 2012 einen Schritt in die richtige Richtung unternommen hat.“ Nach wie vor ließen sich allerdings zu wenige Hausärzte auf dem Land nieder. Die kommenden Jahre werden zeigen, welche Wirkungen das bereits im Vorfeld stark in die Kritik der Ärzteschaft geratene Versorgungsstärkungsgesetz erzielen kann.