Immer mehr Menschen lassen sich Botox und Hyaluronsäure spritzen – und die Patienten werden immer jünger. Ärzte schlagen Alarm: Führt die Verharmlosung kosmetischer Eingriffe auf Social Media dazu, dass die Nebenwirkungen ignoriert werden?
Die Zahl an Schönheitsbehandlungen nimmt auch in Deutschland zu. Dabei gehörten im Jahr 2021 laut Statistik der Deutschen Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische Chirurgie (DGÄPC) Botulinum-Behandlungen mit 33,5 % zu den häufigsten, dicht gefolgt von Faltenunterspritzungen mit Hyaluronsäure, sogenannten „Fillern“, mit 32,1 %. Im Vergleich zu den letzten Jahren verzeichnen Botulinum-Behandlungen sogar eine Steigerung um 37,5 %.
Das beliebte Botulinumtoxin, umgangssprachlich „Botox“ genannt, wird von Clostridium botulinum produziert, verursacht Botulismus und kann bereits in sehr geringen Mengen zum Tod führen. Botox besteht aus 7 Typen von Neurotoxinen (A bis F) – für die Behandlung von Gesichtsfalten oder andere klinische Therapien ist Botulinumtoxin A besonders relevant. Durch eine intramuskuläre Botox-Injektion wird die Ausschüttung von Acetylcholin lokal in den Muskeln inhibiert. Das führt zur Reduzierung von Gesichtsfalten oder -linien, die häufig durch eine konstante Kontraktion der Gesichtsmuskeln entstehen.
In der ästhetischen Chirurgie hängt der Botox-Einsatz von der Art und Ursache der Falten ab, erklärt Dr. Eva Maria Strobl, Expertin für ästhetische Medizin, auf Anfrage der DocCheck News Redaktion. „Mimische Falten werden durch Muskelzug ausgelöst – typisch sind z. B. Stirnfalten, die Zornesfalte oder Krähenfüße um die Augen. Diese Art von Falten kann mit Botox sehr gut behandelt werden; insbesondere dann, wenn das Faltenbild noch eher oberflächlicher Natur ist.“ Gegen derartige Falten lasse sich Botox sogar „prophylaktisch“ ab einem Alter von Mitte bis Ende 20 einsetzen: Durch die Entspannung der betroffenen Gesichtsmuskeln komme es dann erst gar nicht dazu, dass übermäßiger Muskelzug tiefe Falten zurücklasse. „Ein deutliches Faltenbild kann so um einige Jahre in die Zukunft verschoben werden“, erklärt die Expertin.
Allerdings helfe Botox nicht bei Falten nicht-mimischen Ursprungs. Da müsse man auf die beliebten Dermafiller mit beispielsweise Hyaluron zurückgreifen. „Nicht-mimische Falten entstehen zumeist durch eine Erschlaffung des Gewebes und einen Verlust von Fett-, Muskel- und Knochenmasse im Zuge des Alterungsprozesses. Bekannt ist zum Beispiel die Nasolabialfalte, deren Ursache in der Regel ein Herabsinken des Gewebes im Wangenbereich ist, ausgelöst durch einen altersbedingten Verlust von Fettkörpern und Bindegewebe“, erklärt Strobl. Alternativ könne man auch minimal invasive Methoden wie das Fadenlifting anwenden.
In der ästhetischen Chirurgie wird Botox zur Reduzierung der Zornesfalte, der Krähenfüße an den Augenseiten, der horizontalen Stirnfalten, der Falten um Mund oder Nase sowie zur Glättung von Nacken- und Dekolleté-Falten verwendet. Auch zur Anhebung von Augenbrauen oder zur Behandlung von Problemen wie Hyperhidrose, Lichen simplex, Dyshidrose und Acne vulgaris kann das Toxin eingesetzt werden.
Beide Verfahren führen zu ähnlich guten Ergebnissen, doch der Vorteil der Filler liegt in der Möglichkeit einer gezielten Unterspritzung und Voluminisierung bestimmter Gesichtspartien. Damit könne ein natürlich wirkender Lifting-Effekt erzielt werden, so die Medizinerin. Bei weit fortgeschrittenen und tiefen Falten – wie es oft auf der Stirn der Fall ist – komme es dann öfter auch zur Kombinationstherapie, da das Botox allein nicht mehr den gewünschten Effekt erzeuge.
Auch die Kontraindikationen unterscheiden sich Strobl zufolge teilweise: „Spezifisch bei Botox sind neuromuskuläre Störungen eine absolute Kontraindikation.“ Dazu zählen unter anderem Myasthenia gravis, amyotrophe Lateralsklerose, Multiple Sklerose und das Lambert-Eaton-Syndrom. Auch schwangere und stillende Frauen, Kinder und Patienten mit fokalen und systemischen Infektionen sollten keine Botox-Behandlung erhalten. Außerdem bestünden laut Expertin ebenfalls Wechselwirkungen mit einer Reihe von Medikamenten und Antibiotika.
Sowohl Filler als auch Botox bergen außerdem ein allergenes Potenzial. Daher müssen Bestandteile der verwendeten Präparate unbedingt vor der Behandlung auf Verträglichkeit abgeklärt werden: „Vor einer Hyaluronbehandlung sollte sich die Prüfung auf den – im Notfall – möglichen Einsatz von Hylase erstrecken, welche aus bovinem Eiweiß gewonnen wird“, so Strobl.
Denn auch die harmlos wirkenden Hyaluron-Filler können mit schwereren Nebenwirkungen einhergehen: Insbesondere bei Fehlinjektion in Blutgefäße können diese verstopft werden, sodass betroffene Regionen nicht ausreichend mit Blut versorgt werden – das kann in besonders schweren Fällen sogar zu Nekrosen führen, erklärt Strobl. Diese seien aber recht selten und würden nur in 0,001 % der Fälle auftreten; sichtbar werden sie meist recht zügig innerhalb von 24 bis 48 Stunden. Mit sehr viel Pech könne eine solche Injektion auch zur Erblindung führen.
Dagegen seien die Nebenwirkungen bei Botox eher ästhetischer Natur – wie etwa herabsinkende Augenbrauen nach einer Behandlung – und damit gesundheitlich eher harmlos, erklärt die Medizinerin. Diese unerwünschten Wirkungen würden aber nach etwa 6 bis 12 Wochen wieder verschwinden, sobald sich das Botox entsprechend abgebaut habe. In Einzelfällen seien auch Kopfschmerzen und Übelkeit für 1 bis 2 Tage möglich.
Wer darf die Hyaluron-Filler spritzen? Grundsätzlich darf jeder approbierte Arzt dermale Filler oder das Botulinum-Toxin spritzen. Auch Heilpraktiker dürfen laut § 1 des HeilpG Faltenunterspritzungen mit Hyaluron-Fillern vornehmen, Botox injizieren dürfen sie jedoch nicht. Zu bedenken ist: Das Gesetz stammt aus dem Jahr 1939. Anders sieht es hingegen bei Kosmetikern aus: Sie haben auf Basis eines Gerichtsbeschlusses des Oberlandesgericht Karlsruhe keine Erlaubnis, Faltenunterspritzungen mit hyaluronsäurehaltigen Mitteln durchzuführen. Dennoch bieten einige Kosmetiker die illegalen Schönheitseingriffe an. Und obwohl es ein Werbeverbot für Schönheits-OPs bei Jugendlichen gibt, werden gerade Filler insbesondere auf Plattformen wie Instagram von jungen Influencern beworben – das Internet scheint auch hier juristische Grauzone zu sein.
DGÄPC-Vorstandmitglied Dr. Lutz Kleinschmidt beobachtet dabei eine besorgniserregende Entwicklung: „Vermehrt werden auf Social Media sogenannte DIY-Schönheitsbehandlungen gezeigt. Hierbei werden Selbstinjektionen von Hyaluron durch Laien durchgeführt.“ Dies schaffe ein enormes medizinisches Problem, denn minimal invasive Behandlungen würden so immer mehr verharmlost. Ohne fachärztliche diagnostische Bewertung, Beratung und Durchführung bestehe ein gesundheitliches Risiko.
Dr. Alexander Hilpert, ebenfalls DGÄPC-Vorstandsmitglied, fügt hinzu, dass die Werbung in den sozialen Medien sowie die Darstellung von Personen – meist mit Filtern oder Bildbearbeitungsprogrammen – bei vielen jungen Leuten eventuell zu dem Wunsch nach ästhetischer Optimierung führe. „Unsere diesjährige Datenerhebung [2020–2021] zeigt, dass besonders die Gruppe der unter 20-Jährigen Frauen von sozialen Medien beeinflusst ist: 23,1 % der Befragten dieser Gruppe gaben an, dass sich der Wunsch nach Veränderung des eigenen Erscheinungsbildes durch den Vergleich mit Bildern und Videos anderer Personen auf Social Media verstärkt hat.“
Neben Botolinum-Toxin und Hyaluronsäure gibt es noch andere Methoden, die lediglich Medizinern vorbehalten sind: Operative Techniken. Kürzlich ist eine Studie im Aesthetic Surgery Journal erschienen, die die Ablation bestimmter Nervenäste im Gesicht beschreibt – ein neuer, alternativer Eingriff zu Botox gegen Stirnfalten.
Insgesamt nahmen 51 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 49 Jahren an der Studie teil und erhielten eine solche Nervenablation. Dabei lokalisierten die Forscher die Schläfennervenäste mithilfe von Elektrostimulation. Anschließend wurde durch eine Hautpunktion im Schläfenbereich ein peripherer Venenkatheter eingeführt, an dessen Basis ein Teil der Kunststoffbeschichtung entfernt wurde. Die Nervenäste wurden dann in schrägen Linien mit einem monopolaren elektrischen Skalpell kauterisiert. Die gesamte Prozedur dauerte pro Gesichtsseite etwa 30 Minuten. Insgesamt waren im durchschnittlichen Follow-up von etwa 20 Monaten mehr als 70 % der Patienten mit den Ergebnissen zufrieden.
„Hier stellen wir ein kostengünstiges Verfahren mit hoher Wirksamkeit, langanhaltenden Ergebnissen und hohem Niveau der Patientenzufriedenheit vor“, folgern die Autoren. „Die Ablation von Nervenästen im Gesicht ist eine einfache Operationstechnik zur Behandlung von Stirnfalten, die weniger postoperative Schmerzen, eine schnelle Genesung und vor allem langanhaltende Ergebnisse bietet.“ Ob diese Technik es in den kommerziellen Gebrauch schafft, sei dahingestellt.
„Es gibt eine Reihe neurologischer Leiden, die heute mit Botox behandelt werden und wo ich mir zukünftige alternative invasive Verfahren vorstellen kann“, erklärt Schönheitschirurgin Strobl. „In der ästhetischen Medizin – insbesondere in der minimal invasiven, wie ich sie ausschließlich betreibe – hat Botox hingegen seinen festen Platz in vielerlei Anwendungen – man könnte fast sagen wie ein ‚Schweizer Messer‘.“ Nach Tausenden von Unterspritzungen ist sie der Meinung, dass das Nebenwirkungsprofil harmlos sei, wenn alles richtig gemacht werde und Kontraindikationen vorher ordentlich abgeklärt seien. „Ich würde daher – wo immer möglich – die minimal invasive Lösung dem Einsatz des Skalpells vorziehen.“
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