Die Substitutionstherapie bei niedrigen Testosteronwerten wird immer beliebter. Wann aber tatsächlich ein behandlungsbedürftiger Hypognadismus vorliegt, ist gar nicht so leicht festzustellen.
Niedrige Testosteronspiegel sind ab einem gewissen Alter unter Männern weit verbreitet. Die Baltimore Longitudinal Study of Aging kam zu dem Ergebnis, dass in der Altersklasse der 50- bis 59-Jährigen 10 % einen formal erniedrigten Gesamttestosteronspiegel besitzen. Mit steigendem Alter steigt der Anteil: Unter den 60- bis 69-Jährigen sind es schon 20 % und im Alter von über 80 Jahren liegt bei über 50 % der Männer der Testosteronspiegel unterhalb des Normbereichs.
Dafür gibt es eine Reihe Erklärungen: Einerseits fällt das Testosteron rein altersbedingt jedes Jahr um ca. 1–2 % ab; andererseits gibt es weit verbreitete Komorbiditäten, die zu erniedrigten Testosteronspiegeln führen. Im Falle eines krankheitsbedingten Hormonmangels ist eine Substitutionstherapie angebracht, um die Werte wieder in den Normbereich zu bringen. Im Falle der altersbedingten Abnahme wird ihr Einsatz durchaus kontrovers diskutiert. Weltweit ist die Anzahl von Verschreibungen von Testosteronsubstitutionen über die letzten Jahre deutlich angestiegen.
Wann besteht bei einem Patienten aber wirklich ein behandlungsbedürftiger Mangel? Diese Frage zu klären ist nicht so simpel, wie man denken möchte, führt Prof. Stephan Petersenn auf der gemeinsamen Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) und der Deutschen Diabetesgesellschaft (DDG) aus. „Wenn sie das Wort Testosteronmangel für sich alleine betrachten, könnte man annehmen, man muss einfach nur das Testosteron im Blut messen und dann hat man die Diagnose gestellt – genau das ist aber schwierig.“
Das Problem beginnt schon bei der richtigen Messung. Der Testosteronspiegel ist stark von der Tageszeit abhängig, zum Nachmittag hin sei eine etwa 25 %-ige Abnahme zu beobachten, so Petersenn. Auch nach der Nahrungsaufnahme trete eine 25 %-ige Abnahme des Werts auf. Daher ist es unabdinglich, morgens und nüchtern zu messen – und das mehr als einmal. Der Testosteronspiegel unterliegt auch einer erheblichen Variabilität von Tag zu Tag, daher braucht es mindestens zwei unabhängige Bestimmungen, um einen tatsächlich erniedrigten Spiegel feststellen zu können. Das sollte zwar an sich bekannt sein, jedoch erzählt Petersenn aus eigener Erfahrung in der Praxis: „Das ist ein häufiges Problem. […] Wenn wir die Werte kontrollieren, dann finden wir bei einem Drittel der Patienten, dass sich die Diagnose allein durch die Tageszeit-korrekte Messung nicht bestätigen lässt.“
Die nächste Schwierigkeit: Korrekt interpretieren. Das physiologisch aktive, freie Hormon macht nur 0,5–3 % des Gesamttestosteronspiegels aus, der größte Teil ist bekanntlich an die Transporteiweiße Albumin und SHBG (Sexualhormon-bindendes Globulin) gebunden. Das Testosteron darf dementsprechend nicht alleine interpretiert werden – SHBG müsse ebenfalls gemessen werden, um in Relation den freien Testosteron-Spiegel abschätzen zu können. Befindet sich das freie Testosteron trotz erniedrigtem Gesamttestosteron in den Normbereichen, besteht kein Bedarf einer Hormonsubstitution, erklärt Petersenn.
Petersenn betont allerdings: „Wir sollten nicht alleine den Testosteronspiegel messen, sondern wir müssen auch die entsprechenden Symptome wahrnehmen.“ Dabei geht es nicht um unspezifische Symptome wie Müdigkeit und verminderte Kraft, die gerne als Anlass genommen werden, am ausreichenden Testosteronspiegel zu zweifeln. Da sie bei einer Vielzahl anderer Erkrankungen und stressbedingt auftreten können, helfen sie bei der Diagnose nicht weiter. Aussagekräftiger sind die merkliche Reduktion der Libido, Erektionsstörungen und das Nachlassen der Morgenerektion – diese drei Symptome seien deutlich spezifischer für Hypogonadismus betont Petersenn. Bei Vorliegen dieser klinischen Symptomatik sei die Messung des Testosteronspiegels angebracht.
Geht man nun nach dieser Definition eines Testosteronmangels – das Vorliegen klinischer Symptome plus ein korrekt bestimmter Mangel freien Testosterons – reduziert sich die Prävalenz und der Behandlungsbedarf deutlich. Petersenn spricht von 0,6 % der 50- bis 59-Jährigen, 3,2 % der 60- bis 69-Jährigen und etwa 5% bei über 70-Jährigen, die tatsächlich einer Substitution bedürften. Sinnvoll ist die Therapie, da der Testosteronmangel nicht nur auf Libido, Psyche und Gewicht einen Einfluss hat; niedrige Spiegel des Hormons begünstigen auch die Entwicklung einer Osteoporose und ausgeprägte Mangel gehen Petersenn zufolge oft mit einer Anämie einher.
Insbesondere bei Diabetikern und adipösen Patienten sollten Ärzte ein Auge auf einen möglichen Hypogonadismus haben. Bei ca. 25 % der Patienten mit Typ-2-Diabetes bestehe eine Testosteronmangel mit klinischer Symptomatik, bei dem eine Substitution eingeleitet werden solle. Der Behandlungszweck ist hier zwar auch primär die Verbesserung der klinischen Symptomatik, allerdings ließe sich feststellen, dass sich unter Testosteronsubstitution sowohl der BMI, als auch die glykämische Kontrolle verbessern können. Es muss auch nicht immer eine Substitution sein, um den Testosteronspeigel auf Vordermann zu bringen: Eine Lebensstiländerung kann bereits zu Verbesserungen führen. „Wenn [die Patienten] ihre Hyperglykämiesituation verbessern und Gewicht verlieren, dann wird ihr Testosteronspiegel wieder ansteigen.“
Sollte dann bei einer so hohen Prävalenz unter männlichen Diabetikern automatisch der Testosteron-Spiegel bestimmt werden, um ja nichts zu übersehen? Nein, findet Petersenn. „Wir würden allerdings dafür plädieren, dass man aktiv nach den spezifischen Symptomen eines Mangels fragt.“
Auch zu den möglichen Nebenwirkungen einer Testosteronsubstitution kam Petersenn abschließend noch zu sprechen. Gehe es darum, einen korrekt diagnostizierten Mangel auszugleichen, seien kaum Nebenwirkungen zu erwarten – schließlich werde nur der Soll-Zustand wieder hergestellt. Geht es darum, ob man Diabetikern ohne Mangel Testosteron geben sollte, um die Krankheitsentwicklung zu verbessern (oder auch die Testosteronsubstitution im Alter), müssen die damit einhergehenden Risiken betrachtet werden. Ein Problem sei beispielsweise ein Anstieg des Hämatokrit, was mit einem erhöhten Risiko für Durchblutungsstörungen und Schlaganfällen verbunden ist. Auch die Leberwerte werden durch zusätzliche Testosterongabe erhöht.
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