Proteine und andere Biomoleküle werden oft im Reagenzglas in wässrigen Lösungen untersucht. Es ist jedoch nicht klar, ob diese Studien auf die dicht-gepackte zelluläre Umgebung übertragbar sind. Ein Sensor erlaubt es, diese Effekte der Enge in lebenden Zellen mikroskopisch zu untersuchen.
Proteine haben mannigfaltige Funktionen innerhalb der Zelle. Verschiedenste Proteine übernehmen Aufgaben der Strukturbildung, der Katalyse chemischer Reaktionen oder der Übermittlung von zellulären Signalen. Schon geringe Fehler in Proteinen können schwerwiegende Folgen haben: Sie sind zum Beispiel für Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson oder Chorea Huntington verantwortlich. Für die biochemische und medizinische Forschung sind Proteine daher äußerst interessant. Für die Untersuchung werden sie jedoch oft aus ihrer natürlichen Arbeitsumgebung isoliert, um sie in wässrigen Lösungen zu analysieren. „Dabei wird aber vernachlässigt, dass die Umgebung der Zelle eine dicht gepackte Matrix ist, die aus diversen Makromolekülen sowie kleinen organischen und anorganischen Stoffen besteht, sodass das Innere einer Zelle äußerst zähflüssig und hochkonzentriert ist“, erklärt Simon Ebbinghaus. „Daraus ergibt sich die Frage, ob die analytischen Methoden in wässrigen Lösungen das natürliche Verhalten der Proteine in der zellulären Umgebung widerspiegeln können.“
Die gebräuchlichste Theorie, um die Effekte der zellulären Umgebung zu beschreiben, ist die „Excluded Volume“-Theorie. Vereinfacht erklärt: Wenn in der Weihnachtszeit die Weihnachtsmärkte, Kaufhäuser oder öffentlichen Verkehrsmittel überlaufen sind, versucht jeder den Kontakt mit dem unbekannten Nachbarn zu vermeiden, indem er eine möglichst kompakte Körperhaltung einnimmt. Diese Form der Abstoßung lässt sich auf Proteine übertragen, welche somit in dicht gepackten Umgebungen eine kompaktere Struktur einnehmen. Da Proteine je kompakter desto stabiler sind, sagt die Theorie eine erhöhte Stabilität innerhalb der Zelle voraus.
Um diese Effekte besser zu verstehen, haben die RUB-Forscher eine Methode entwickelt, um die Kompression eines Makromoleküls in der Zelle zu verfolgen. Ein mit Farbstoffen markiertes Polymer dient dabei als Sensor. Wird er durch Enge zusammengedrückt, rücken die Farbstoffe näher zusammen und unter dem Mikroskop ändert sich die Frequenz des gemessenen Lichts. „Schaut man nur auf das Licht, stellt man bei größerer Enge eine Veränderung von Grün nach Rot fest“, beschreibt Simon Ebbinghaus.
Mithilfe verschiedener makromolekularer Zusätze (Crowding Reagenzien), mit denen sie eine vorher festgelegte Enge herstellten, konnten die RUB-Forscher im Reagenzglas zeigen, dass der Sensor funktioniert und besonders sensitiv auf die dicht gepackte Umgebung reagiert. Anschließend injizierten sie den Sensor in lebende Zellen und erlebten eine Überraschung: Entgegen der Erwartung zeigte der Sensor, dass in der Zelle eine Kraft herrscht, die seine kompakte Form „auseinanderzieht“. Das deutet darauf hin, dass innerhalb der Zelle Anziehungskräfte herrschen, die die theoretisch vorhergesagten Kompressions-Effekte überlagern.
Die Forscher setzten die Zelle dann unter osmotischen Stress, indem sie die Salzkonzentration in der Umgebung erhöhten. Dieser osmotische Stress verstärkte die zellulären Kompressionseffekte deutlich. „Solche Veränderungen in der zellulären Umgebung könnten drastische Folgen haben und Protein-Funktionen nachhaltig beeinflussen“, erläutert Simon Ebbinghaus. „Auch andere Formen von Stress – zum Beispiel durch ungefaltete oder fehlgefaltete Proteine, die sich in bestimmten Bereichen der Zelle anhäufen, könnten die zelluläre Umgebung ähnlich verändern. Solche Veränderungen könnten Protein-Verklumpungen fördern, die in der Entstehung neurodegenerativer Erkrankungen eine entscheidende Rolle spielen.“ Originalpublikation: Excluded volume effects in the living cell D. Gnutt et al.; Angewandte Chemie International Edition, DOI: 10.1002/anie.201409847, 2014